[422] Brille, Apparat mit zwei Augengläsern, der zur Besserung des Sehvermögens oder zum Schutz des Auges gegen äußere Schädlichkeiten dicht vor den Augen getragen wird. Schutzbrillen zur Verhütung einer Beschädigung des Auges durch Metall-, Stein-, Kohlensplitter werden mit starkem Fensterglas, Glimmer, Zelluloid oder Drahtgazegeflecht hergestellt. Droht Gefahr vom Nebenarbeiter, so müssen Schutzbrillen seitliche Schutzgitter erhalten, die indes das Gesichtsfeld verkleinern und nur bei den gefährlichsten Arbeiten getragen werden. Schutzbrillen zur Abhaltung von Licht haben meist blaue Gläser, weil blaues Licht das Auge weniger reizt als weißes. Graue Neutralgläser (Smoke-Gläser) verdienen indes wenigstens bei Tageslicht den Vorzug, weil sie alle Farben gleichmäßig abschwächen. Man benutzt in der Regel große, uhrglasähnliche Gläser (Muschelgläser) bisweilen mit Seitenklappen von Seide oder einem ähnlichen halbdurchsichtigen Stoff. Die Brillen zur Verbesserung des Sehvermögens haben Konvex- oder Sammellinsen, die parallele Lichtstrahlen konvergent machen und zur Korrektion von Hypermetropie, Presbyopie und Akkommodationslähmung dienen, oder Konkavgläser, Zerstreuungslinsen, die parallele Strahlen divergent machen und bei Kurzsichtigkeit angewendet werden. Früher benannte man die Linsen nach ihrer in Zoll ausgedrückten Brennweite, ein Glas Nr. 8 z. B. bezeichnete eine Linse von 8 Zoll Brennweite. Da nun die Brechkraft der Linsen umgekehrt proportional ist der Brennweite, so entsprechen den höchsten Nummern des Zollsystems die schwächsten Gläser. Seit 1875 schleift man nach dem Metersystem und benennt die Linsen nicht nach der Brennweite, sondern nach der Brechkraft. Einheit ist eine Linse von 1 m Brennweite (Meterlinse). Diese hat die Brechkraft 1 (1 Dioptrie = 1 D). Eine Linse von 5 D hat also eine fünfmal so große Brechkraft wie die Einheitslinse. Nach dem Metersystem bezeichnen also die höhern Nummern die stärkern Gläser. Da die Brennweite umgekehrt proportional der Brechkraft ist, so setzt eine fünfmal so große Brechkraft als die der Einheitslinse 1/2 der Brennweite der Meterlinse voraus, d. h. 100/5 = 20 cm Brennweite. Setzt man nun statt 100 cm 30 Pariser oder 40 englische Zoll, so erhält man durch Division sofort auch die Brillennummer nach der alten Rechnung, also statt 100/5 = 20 cm erhalten wir 40/5'' = 8'', d. h. also eine Linse von 20 cm Brennweite und einer Brechkraft von 5 D entspricht nach alter Benennung Nr. 8, d. h. einer Linse von 8'' Brennweite. Der Form nach unterscheidet man von sphärischen Gläsern: bikonvexe und bikonkave, auf beiden Seiten gleich geschliffen; plankonvexe und plankonkave, mit einer sphärischen und einer planen Seite; periskopische Gläser (bei denen man durch den Rand der Gläser ebenso deutlich sieht wie durch die Mitte) sind konvex-konkav mit verschiedenen Radien beider Seiten, so daß der Wirkung nach ein Konvex- oder Konkavglas, der Form nach ein konvexkonkaver oder ein konkavkonvexer Meniskus vorliegt. Bei der Franklinschen B. haben die Gläser oberhalb der horizontalen Halbierungslinie einen andern Schliff als unterhalb derselben, die obere Hälfte dient zum Fernsehen, die untere zum Nahesehen. Pantoskopische Brillen sind zur Naharbeit bestimmte Konvexgläser, die schief nach abwärts gerichtet und oben etwas abgeschliffen sind, so daß man darüber hinweg in die Ferne blicken kann. Bei Perspektivbrillen ist die vordere Basis eines kurzen Glaszylinders konvex, die hintere konkav, derart, daß die optische Wirkung des Galileischen Fernrohrs erzielt wird. Zylindergläser zur Korrektion des Astigmatismus haben Flächen, die Abschnitte eines Zylindermantels sind. Sie können konkav oder konvex sein; Verwendung finden meist Linsen, deren eine Seite sphärisch oder plan und deren andre zylindrisch ist; seltener sind Kombinationen von Konkav- und Konvexzylindern, deren Achsen sich unter 90° kreuzen. Prismenbrillen bewirken nicht wie die vorhergehenden eine Refraktions-, sondern eine Stellungskorrektion der Augen. Die Lichtstrahlen werden gegen die Basis des Prismas abgelenkt, wodurch das Auge zu einer ausgleichenden Bewegung in der Richtung der brechenden Kante veranlaßt wird. Um den Konvergenzwinkel beider Sehlinien zu vergrößern, benutzt man Prismen, die mit dem brechenden Winkel nasenwärts gerichtet sind (adduzierende Prismen), im entgegengesetzten Falle legt man den brechenden Winkel schläfenwärts. Die Prismenbrillen benutzt man besonders bei Schwäche der innern Augenmuskeln, um Doppelbilder zu vermeiden. Man kann sie gleichzeitig durch konkav oder konvex geschliffene Flächen für kurz- und fernsichtige Augen anpassen. Brückes Dissektionsbrille hat zwei bikonvex geschliffene Prismen mit kurzer Brennweite in Abduktionsstellung. Sie wirkt wie eine vor beide Augen gestellte Lupe mit großer Öffnung und gleicher Brennweite. Die von Donders angegebenen stenopäischen Brillen gestatten dem Licht nur durch ein enges Loch oder einen schmalen Schlitz Zugang zum Auge. Bei Trübungen der brechenden Medien, Hornhautflecken, beginnendem Grauen Star, Nachstar etc. bessern sie das Sehvermögen oft erheblich, doch haben sie nur ein sehr kleines Gesichtsfeld. Stenopäische Lorgnetten empfahl Donders für hochgradige Kurzsichtigkeit mit Herabsetzung der Sehschärfe, bei denen durch Konkavgläser das Sehen in die Ferne nur wenig gebessert wird, da das Netzhautbild zu klein ist. Stenopäische Schlitzbrillen benutzt man zur Bestimmung der Sehschärfe und Refraktion in den verschiedenen Meridianen des Auges bei Astigmatismus. Schielbrillen, die das Sehfeld des nicht schielenden Auges ganz oder teilweise verdecken, um es zeitweilig vom Sehakt auszuschließen, werden nur noch in bestimmten Fällen gebraucht, z. B. bei Augenmuskellähmungen. Isochromatische Brillen sind Kombinationen von farblosen Linsen mit gefärbten Gläsern oder mit durchsichtigem farbigen Lack überzogene Linsen.
Gewöhnliche Brillengläser werden aus Kronglas (Crownglas) verfertigt, weil es das wohlfeilste ist; es ist jedoch selten rein und hat gewöhnlich eine ins Meergrüne spielende Farbe. Bei weitem vorzüglicher, dichter und reiner ist Flintglas und verdient daher besonders bei Gläsern für Kurzsichtige unbedingt den Vorzug. Die reinsten und dauerhaftesten Gläser gewinnt man aus sogen. brasilischem Kiesel oder Bergkristall.
Die Gestelle der Brillen sind gewöhnlich aus Metall gefertigt, mit einer Fassung für die Gläser, einer ≭förmigen Stütze für die Nase und zwei Stangen zur Befestigung hinter jedem Ohr. Als Anschmiegebrillen hat Clément (Berlin) ganz besonders gut sitzende Gestelle konstruiert, die das häufige Abgleiten[422] verhindern und fest und weich ansitzen. Die Gläser müssen im Gestell so angebracht sein, daß das Auge durch ihren Mittelpunkt blickt; man hat sie, um die Blicklinie stets senkrecht auf das Glas fallen zu lassen, für Arbeiten, die mit gesenkter Blicklinie ausgeführt werden, auch beweglich gemacht, so daß der obere Rand etwas weiter vom Auge entfernt werden kann als der untere. Auch die durch die Gesichtsbildung gebotene Entfernung der Gläser vom Auge ist zu berücksichtigen, da Konvexgläser stärker wirken, je weiter sie vom Auge abstehen, Konkavgläser aber, je näher sie an das Auge heranrücken.
Die Benutzung von Lorgnetten, die dem Auge vorgehalten werden, und Nasenklemmern (Pincenez) für zeitweise Korrektion ist in ihrer Wirkung der B. gleichzusetzen. Die einseitige Korrektion durch ein Monokel ist nur bei besonderer Ungleichheit der Augen zuweilen ratsam, meist aber unnötig. Bisweilen benutzt man für bestimmte Sehdistanzen je 2 Gläser übereinander, eine schwächere B. z. B. zum Lesen und einen vor diese gesteckten Kneifer zum Fernsehen.
Da das Akkommodationsvermögen sich mit vorrückendem Lebensalter vermindert, so bedarf auch das normale Auge, sobald sich Alterssichtigkeit einstellt, zu längerer Nahearbeit eines Konvexglases. Beim übersichtigen Auge muß zu dem durch Alterssichtigkeit geforderten Konvexglas noch das die Hyperopie korrigierende hinzu addiert, beim Kurzsichtigen muß das für die Ferne nötige Konkavglas in Abzug gebracht werden. Kurzsichtige mittlern und höhern Grades bedürfen daher in spätern Jahren zur Arbeit einer schwächern Konkavbrille; bei geringer Kurzsichtigkeit kann im Alter zum Lesen sogar ein Konvexglas erforderlich werden. Bei jugendlichen Kurzsichtigen sind, wenn der Fernpunkt weiter liegt als 30 cm, Konkavgläser für die Nähe überflüssig. Bei höhern Graden schadet die große Annäherung der Arbeit durch die damit verbundene starke Konvergenz der Sehachsen und durch das Vorbeugen des Kopfes. Es muß dann in der Regel der Fernpunkt durch Konkavgläser hinausgerückt werden. Der stärksten Konvexgläser benötigen Star-Operierte, weil die B. die entfernte Linse ersetzen muß; da nun mit der Linse auch das Anpassungsvermögen verloren gegangen ist, so bedürfen Star-Operierte für verschiedene Entfernungen verschieden starker Gläser. Vielfach herrscht die irrtümliche Meinung, daß man durch eine Konvexbrille das Auge derart »stärken« könne, daß es später jede B. entbehren kann; auch ist es falsch, den Brillengebrauch möglichst lange hinauszuschieben, um sich nicht daran zu gewöhnen. Man mutet damit dem Anpassungsvermögen übermäßige Anstrengung zu, die oft schadet. Konservationsbrillen gibt es nur in dem Sinne, daß in der Tat gut ausgewählte und richtig angewendete Augengläser die Nachteile der verschiedenen Refraktionsanomalien in vielen Fällen ausgleichen, ja selbst das Zunehmen derselben verhüten oder sehr hintanhalten können. Brillen dagegen, die eine geschwächte Sehkraft wiederherzustellen imstande wären, gibt es nicht. Bei der Wahl einer B. soll man sich niemals auf eignes Probieren oder auf einen Händler verlassen; nur der Augenarzt kann nach Untersuchung mit dem Augenspiegel (s.d. nebst Text zur Tafel »Augenuntersuchung«) mit Sicherheit angeben, welches Glas zuträglich ist und dauernd ohne Schaden getragen werden darf.
Der Name B. rührt vom spätlateinischen berilli her, der Bezeichnung für durchsichtige Stein- (später Glas-) Stücke, deren man sich bediente, um besser zu sehen. So soll nach Plinius schon der Kaiser Nero durch einen konkaven Smaragd die Gladiatorenkämpfe beobachtet haben. Jedenfalls fällt die Erfindung der B. in eine sehr frühe Zeit. Die erste Spur von Vergrößerungsbrillen kommt in der Optik des Arabers Alhazan im 11. Jahrh. vor, und Roger Bacon (gest. 1294) spricht von den die Refraktion korrigierenden sphärischen Brillen. In einer Grabschrift von 1317 in Florenz wird ein Salvinus Armatus als Erfinder der B. genannt, obgleich von dem Mönch Alexander von Spina (gest. 1313 in Pisa) gerühmt wird, daß er die Brillen gekannt und andern gern mitgeteilt habe. 1482 werden Brillenmacher in Nürnberg erwähnt. Vgl. Florschütz, Auge und B. (4. Aufl., Koburg 1884); Neumann, Die Brillen (für praktische Optiker, Wien 1887); Königstein, Die Anomalien der Refraktion und Akkommodation (2. Aufl., das. 1895); Stöwer, Anleitung zur Brillenverordnung (das. 1895); Klette, Sehstörungen bei Kindern (Berl. 1900); Hartmann u. Villaret, Arbeiterschutzbrillen (das. 1900); Feilchenfeld, Heilwert der B. (Halle 1901).
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