[847] Entzündung (Inflammatio, Phlogosis) ist der häufigste und wichtigste krankhafte Vorgang, dessen je nach dem Orte des Auftretens, der Ursache und den äußern Bedingungen außerordentlich verschiedene Art der Erscheinung und des Verlaufs eine umfassende Begriffsbestimmung sehr schwierig macht. Die von dem römischen Arzt Celsus herrührende Ausstellung der drei Kardinalsymptome der E., bestehend in Rötung (rubor), Schwellung (tumor), Hitze (calor), denen sich noch der Schmerz (dolor) und die gestörte Verrichtung (functio laesa) hinzugesellten, trifft wohl für eine große Zahl von entzündlichen Prozessen zu, vermag aber ebensowenig alle Formen zu umfassen als über das Wesen der E. etwas auszusagen. Das Wesen der E. besteht in einer örtlichen Gewebsschädigung, mit der sich eine krankhafte Ausschwitzung aus den Gefäßen in das Gewebe verbindet, und die gewöhnlich von einer Gewebswucherung gefolgt ist. Die Schädigung befällt gleichmäßig die gesamten Gefäßbestandteile oder bewirkt, wenn sie vom Blut aus einwirkt, zunächst eine Alteration der Gefäßwände, in deren Folge veränderte Beziehungen des Blutstroms zu den Gefäßwänden sich ergeben. Hierdurch entstehen Kreislaufveränderungen, die in der Hauptsache den Charakter der Blutüberfüllung (der Kongestion oder Hyperämie) an sich tragen. Ganz im Beginn der E., wenn der verursachende Reiz die größern Gefäße mit betroffen hat, beobachtet man eine Erweiterung der Arterien und Venen mit Beschleunigung des Blutstroms, nachdem zuweilen eine ganz kurz dauernde Verengerung der Arterien vorausgegangen ist. Nach einiger Zeit jedoch wird der Blutstrom in den erweiterten Gefäßen verlangsamt, ohne daß eine mechanische Ursache dieser Verzögerung sichtbar ist. Es liegt daher nahe, anzunehmen, daß in den Gefäßwandungen pathologische Veränderungen vor sich gehen, die dem Blutstrom durch Reibung bedeutende Hindernisse darbieten. Gleichzeitig ändert auch der Blutstrom seinen bisherigen Charakter. In den weiten Arterien fließt das Blut langsam dahin, und zwar in der Achse des Stromes nicht wesentlich schneller als in der Nähe der Gefäßwand. Die Haargefäße erscheinen mit Blutkörperchen strotzend gefüllt; diese rücken nur sehr langsam vorwärts oder stehen selbst, dicht aneinander gedrängt, ganz still (Stasis). In den Venen treten die farblosen Blutkörperchen an den Rand des Stromes und haften der innern Gefäßoberfläche an, während die roten Blutkörper in der Achse des Venenlumens langsamer weiterfließen. Infolge abnormer Durchlässigkeit der Gefäßwand tritt eine gesteigerte Ausschwitzung aus den blutüberfüllten Gefäßen (Exsudation) ein. Das entzündliche Exsudat ist eiweißreicher als das gewöhnliche Transsudat aus gesunden Blutgefäßen. In leichtern Fällen der E. kommt nur ein seröses, d.h. wässeriges Exsudat zu stande. War der Entzündungsreiz stärker, so lassen die trotz normalen histologischen Aussehens physikalisch veränderten Blutgefäßwände nicht bloß Serum, sondern auch die farblosen Blutzellen aus dem stark verlangsamten Blutstrom austreten, und es kommt zur Bildung eines eiterigen Exsudats (vgl. Eiter). In noch schwereren Fällen, wo der Blutstrom bis zur Stagnation verlangsamt ist, treten durch die schwer erkrankten Gefäßwände außer dem Serum und den farblosen Blutzellen auch noch rote Blutkörperchen, zuweilen in großen Massen, aus, und es entsteht das blutige oder hämorrhagische Exsudat. Die Ausschwitzung sammelt sich zunächst in der Nähe der Gefäße, häuft sich hier besonders in den seinen, das Gewebe[847] durchziehenden Lymphspalten an und bildet. wenn es durch diese nicht rasch abgeführt wird, das entzündliche Odem. Auch wird es in die Gewebszellen aufgenommen, die infolgedessen aufquellen. Sind diese durch die Entzündungsursache oder die entzündliche Exsudation schwerer geschädigt, so kommen sie nicht selten zum Absterben und zur Auflösung, bei langsam verlaufendem Absterbeprozeß erfolgt rückschreitende (degenerative) Metamorphose, vor allem Verfettung, der namentlich die empfindlichern Parenchymzellen (Drüsenepithel, Nerven- und Muskelzellen) ausgesetzt sind. In andern Fällen beginnen die Gewebszellen durch den Reiz des Entzündungsvorganges ihrerseits zu wuchern, so daß der Zellreichtum entzündlicher Herde außer von den eingewanderten weißen Blutkörperchen auch von der Vermehrung der festen Gewebszellen herrührt. Jedoch ist dies ein sekundärer Vorgang; und es mußte daher die ältere diese Wucherung in den Vordergrund stellende Proliferationstheorie der Einwanderungstheorie in der Entwickelung der Entzündungslehre weichen.
Liegt das Exsudat vorwiegend im Stützgewebe eines Organs, und treten hier besonders die Wucherungsvorgänge auf, so spricht man von interstitieller E., sind dagegen die spezifischen Gewebselemente (z. B. die Nierenepithelien, die Leberzellen) vorzugsweise durchtränkt, so handelt es sich um eine parenchymatöse E. Befindet sich der Entzündungsherd an der Oberfläche eines Organs, so kann die Ausschwitzung an der Oberfläche austreten; dies ist der Fall beim Katarrh der Schleimhäute und bei der E. der serösen Häute, die ihr (wässeriges, eiteriges etc.) Exsudat in die betreffenden serösen Höhlen (Brust-, Bauch-, Gelenkhöhle) absondern. In manchen Fällen kommt das Exsudat durch Bildung von Faserstoff zur Gerinnung, wie bei den krupösen oder diphtheritischen Erkrankungen. Die Bildung von faserstoffigen Ausschwitzungen ist besonders bedeutungsvoll, wenn entzündete aneinanderliegende Flächen hierdurch verkleben und im weitern Verlauf miteinander verwachsen; unter Umständen, z. B. durch Verklebungen entzündeter Bauchfellstrecken (adhäsive E.) und Abkapselung des E. erregenden Herdes, kann dieser Vorgang heilsam sein, ebenso bei der Wundheilung, wo eine Verlötung getrennter Teile herbeigeführt wird.
Die Ursachen der zur E. führenden Gewebsschädigung sind Reize aller Art, wie z. B. mechanische Einwirkungen, Wärmeeinfluß, Licht, Elektrizität, Röntgenstrahlen, vor allem aber die chemischen Wirkungen vieler Gifte. Als Träger dieser letztern kommen vor allem die krankmachenden Mikroorganismen in Betracht, die E. erregende Gifte erzeugen. Diese Gifte üben häufig eine anlockende Wirkung auf die weißen Blutkörperchen aus (sogen. Chemotaxis), die bei deren Auswanderung gewiß von großer Bedeutung ist. Von der Art der Menge und der Virulenz der Mikroorganismen hängt häufig die Art der E. ab, ob diese zu Eiterung oder nur zu seröser Ausschwitzung, zum Absterben oder zur Wucherung führt, daneben ist aber auch die Konstitution des erkrankten Organismus und die Stelle des Krankheitsherdes von Bedeutung.
Der Verlauf der E. ist bald ein akuter, der sich über einige Stunden bis zu wenigen (68) Tagen erstreckt, bald ein chronischer, wobei der entzündliche Prozeß wochen- und monatelang anhält. Ihre Dauer hängt vorzugsweise ab von der Natur der die E. erregenden Ursachen und der damit zusammenhängenden Intensität der Ernährungsstörung, sodann von der Ausdehnung des Entzündungsherdes und vorzugsweise auch von der Struktur und dem feinern Bau der betroffenen Gewebe. In zarten, blutgefäß- und zellenreichen Teilen verläuft die E. im allgemeinen schneller als in harten, gefäßlosen oder gefäßarmen Geweben, da der Ausgleich der Störung durch reichlichen Zufluß von Ernährungsmaterial befördet wird. Anderseits tritt sie hier mei st heftiger auf als z. B. in dem gefäßarmen Gewebe der Sehnen und sehnigen Häute oder an den gefäßlosen Knorpeln. In diesen Gebieten besteht eine besondere Neigung zu chronischer E.; jedoch wird ein chronischer Verlauf auch in andern Gewebsarten häufig durch bestimmte Entzündungsursachen bewirkt, namentlich wenn sie fortgesetzt einwirken oder im Beginn schon schwere Veränderungen hervorgebracht haben. Dabei besteht eine besondere Neigung zu örtlicher Gewebswucherung und zur Bildung von Bindegewebe. Die Ausgänge der E. gestalten sich aus denselben Gründen sehr verschieden. Sehr häufig geht die E., namentlich in leichtern Fällen, in Zerteilung oder Resolution über, d.h. es kommt nur zur Hyperämie und vermehrten Ausschwitzung von Serum, nicht aber zur Neubildung von Geweben oder zum Untergang der entzündeten Teile, und die C. verschwindet, ohne eine Spur an den Geweben zurückzulassen, indem sich die normale Zirkulation des Blutes wiederherstellt und der vorhandene Überschuß an Gewebesaft durch die Lymphgefäße abgeführt wird. Heftigere Grade der E. führen zur Vereiterung, bez. zur Verschwärung (Suppuration und Ulceration), d.h. die durch den Reiz geschädigten Gewebe werden eingeschmolzen, die erweichten Massen ausgestoßen, und es kann Heilung unter Substanzverlust, der eine Narbe zurückläßt, erfolgen. Je chronischer die E. verläuft, und je reichlicher die Gewebswucherung auftrat, um so fester und härter sind die Narben, die aus schrumpfendem, entzündlich gewuchertem Bindegewebe bestehen. Eine gewöhnliche Begleiterscheinung der E. ist das Fieber (s. d.).
Die Behandlung der E. (Antiphlogose) gestaltet sich nach der Natur des Einzelfalles ungemein verschieden. Wo es immer möglich ist, da muß zuerst die E. erregende Ursache beseitigt werden. Fremde Körper, Splitter etc. müssen entfernt, chemisch reizende Stoffe beseitigt und neutralisiert, physikalische Reize (Hitze, starke Kälte) vom Körper fern gehalten werden. Wunden sind mit fäulniswidrigen Mitteln, geschwollene Hautstellen mit Eis oder Blutentziehungen zu behandeln; gegen Schmerzen reicht man Morphium etc. Kommt es zur Eiterung, so macht man warme Umschläge und, sobald das Vorhandensein von Eiter festgestellt ist, Einschnitte. Ist im Gefolge einer E. Brand eingetreten, so kann man abwarten, bis sich das Brandige auf natürlichem Wege vom Gesunden ablöst, schreitet der Brand weiter fort, so versucht man ihn durch chirurgisches Eingreifen (Anwendung des Glüheisens) zum Stillstand zu bringen. Vgl. Birchow, Cellularpathologie (4. Aufl., Berl. 1871); Billroth, Die allgemeine chirurgische Pathologie und Therapie (15. Aufl., das. 1893); Cohnheim, Vorlesungen über allgemeine Pathologie (2. Aufl., das. 1882, 2 Bde.); Leber, Die Entstehung der E. (Leipz. 1891).
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