[705] Hyperämīe (griech., »Blutüberfüllung«), die örtliche Blutfülle einer bestimmten Gefäßprovinz gegenüber der allgemeinen, den ganzen Körper betreffenden Blutüberfülle, die als Vollblütigkeit bezeichnet wird. Man unterscheidet Blutwallung und Blutstauung. Das wesentlichste Merkmal der Blutwallung (Fluxion) ist der vermehrte Zufluß von arteriellem Blut, sie wird deshalb auch als arterielle H. (unpassend als aktive H.) bezeichnet. Sie äußert sich durch lebhafte Rötung, mäßige Schwellung, größere Wärme, zuweilen durch ein eigentümliches Pulsationsgefühl, d. h. wir fühlen die in die kleinern Arterien vordringenden Pulsschläge, wenn letztere die sensibeln Nervenenden mit erschüttern (an der Fingerspitze, beim Zahnschmerz etc.). Bei h ach gradiger arterieller H. kommt es manchmal zu Gefäßzerreißungen und Blutungen, zur ödematösen Anschwellung des betroffenen Teiles; in der Regel aber fehlen gröbere Störungen der Ernährung und der Funktion der hyperämischen Teile. Ihre Ursachen sind sehr mannigfaltig, sie kommen zustande im Anfang der Entzündung, durch verschiedenartige Reizung der gefäßerweiternden Vorrichtungen, namentlich durch Wärme und als Nachwirkung von kurzdauernder Kälteeinwirkung, vor allem durch das jeweils vorhandene Blutbedürfnis der Zellen, so daß man treffend von einem »Blutgefühl der Gewebe« spricht. Die Blutstauung kommt durch Verhinderung des Blutabflusses aus einem Gefäßgebiet zustande, also z. B. bei Kompression der abführenden Venen durch Geschwülste, fest angelegte Binden u. dgl., durch Verstopfung der Venen durch Blutgerinnsel. Hierher gehört auch die Stauungshyperämie durch Senkung (Hypostase), wenn die Schwerkraft des Blutes bei geschwächtem Herzen, langsamem Blutstrom und erschlafften Gefäßwänden zur Blutansammlung in tiefliegenden Körperteilen führt. Die H. wird neuerdings vielfach als Heilmittel angewendet; auch bei vielen altbekannten Methoden (Wärmeanwendung) bediente man sich derselben, ohne darüber sich klar zu sein. Die bakterienfeindlichen Kräfte des Blutes[705] (s. Immunität) kommen in gesteigertem Maße zur Geltung, wenn das Blut reichlicher vorhanden ist. Daneben erzielt die reichlichere Durchtränkung und Durchspülung des Gewebes bei arterieller H. Aufsaugung von Resten entzündlicher Vorgänge. Daher ist die arterielle H. nützlich bei chronischen rheumatischen Leiden, namentlich bei chronischem Gelenkrheumatismus. Man erzielt sie am besten, indem man das betreffende Gelenk (s. Abbildung) in einem Kasten mit einem Loch zur Aufnahme des Gliedes und Abdichtung durch Watte oder manschettenähnliche Vorrichtungen mit heißer Luft umgibt, die durch einen in den Kasten mündenden Blechschornstein von einer untergestellten Flamme zugeleitet wird. Die Stauungshyperämie wurde besonders von Bier gegen Knochen- und Gelenktuberkulose, bei Gelenkentzündungen u. Versteifungen, akutem Gelenkrheumatismus, schweren Phlegmonen, zur Aufsaugung von lokalen Ödemen, zur Beseitigung neuralgischer Schmerzen und von Unterschenkelgeschwüren und Ekzemen verwendet.
Sie bewirkt in vielen Fällen Ausheilung der tuberkulösen Herde und befördert die Wucherung von Bindegewebe, das die Krankheitsherde umgibt und später zu Narbengewebe schrumpft. Die Stauungshyperämie wird erzielt durch mäßig feste Umwickelung des Gliedes mit Binden zentral vom Sitz der Erkrankung; auch dadurch, daß man das kranke Glied, z. B. den Fuß, unter luftdichtem Abschluß in ein starkes Glasgefäß bringt, aus dem Luft herausgepumpt werden kann; da das Glied unter vermindertem Luftdruck steht, sammelt sich reichlich Blut in demselben an (Junodscher Stiefel). Vgl. Bier, H. als Heilmittel (Leipz. 1903).