Funktionswechsel

[212] Funktionswechsel (Arbeitswechsel, Metergie), der Vorgang, daß ein bestimmtes Organ des Tier- oder Pflanzenkörpers im Laufe der Generationen eine qualitativ andre Funktion übernimmt, als ihm ursprünglich zukam. Die Ursachen sind vor allem in einem Wechsel der Lebensweise zu suchen, der durch Veränderungen der Umgebung, des Klimas etc. bedingt sein kann. So hat z. B. der Übergang der Wirbeltiere vom Wasser-zum Landleben, der spätestens in der Steinkohlenzeit erfolgte, einen F. in verschiedenen wichtigen Organen hervorgerufen. Aus vergleichend-anatomischen und entwickelungsgeschichtlichen[212] Gründen geht hervor, daß die das spezifische Gewicht regelnde Schwimmblase der ältern Fische sich bei einem Teil ihrer Nachkommen in die luftatmende Lunge der Landtiere umgewandelt hat. Dies begann zu der Zeit, als ein Teil der Fische, wie es heute noch der Lurchfisch Australiens tut, anfing, zeitweise an Land zu gehen und Luft zu atmen. Dabei traten die Blutgefäße der Schwimmblase in den Dienst des Gasaustausches zwischen dem Körper und der umgebenden Luft, und der allmählich unnütz werdende hydrostatische Apparat widmete sich der Atmung, während die Kiemenatmung zunächst daneben bestand, dann ganz verging. Ein besonders lehrreiches Beispiel bieten die seitlichen Gliedmaßen der Krebstiere, die bei den niedersten Formen sogen. Spaltfüße darstellen, bestehend aus einem einfachen Stiel, der sich an seinem Ende in zwei Äste gabelt. Dieser ursprünglich zum Schwimmen dienende lokomotorische Spaltfuß hat nun im Laufe von Generationen die verschiedensten andern Funktionen übernommen. Bei unserm Flußkrebs z. B. haben sich die vordersten Gliedmaßen in zwei Paar Fühlhörner, also in Sinnesorgane, die folgenden in Kiefer zum Zerkleinern der Nahrung, das größte Paar zu einer scherenförmigen Greifwaffe, ein Paar der hintern Körperregion beim Männchen zu einem Begattungsorgan umgebildet. Nur fünf Paare der zahlreichen Gliedmaßen haben die ursprüngliche lokomotorische Funktion beibehalten. Der F. hat fast überall in der Keimesentwickelung (Ontogenese) deutliche Spuren hinterlassen, so daß wir z. B. bei den Krebsen die Umformung der Schwimmbeine deutlich verfolgen können. Vgl. Dohrn, Der Ursprung der Wirbeltiere und das Prinzip des Funktionswechsels (Leipz. 1875), und Tafel »Entwickelungsgeschichte I«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 212-213.
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