[138] Görlitz, Stadt und Stadtkreis im preuß. Regbez. Liegnitz, an der Lausitzer oder Görlitzer Neiße, 221 m ü. M., ist eine der schönsten und durch ihren ausgedehnten[138] Waldbesitz (33,329 Hektar) auch reichsten Städte des Deutschen Reiches. Unter den zu gottesdienstlichen Zwecken bestimmten Gebäuden (6 evangelische und 2 kath. Kirchen, mehrere Bethäuser von Sektierern und eine Synogoge) sind die gotische St. Peter- und Paulskirche (142397 ausgeführt, mit 2 stattlichen Türmen, 5 Schiffen und einer Krypte), die Dreifaltigkeitskirche mit kunstvollen Holzschnitzereien, die Luther-, die Frauen- und die katholische Jakobus-Kirche bemerkenswert. Vor der Stadt liegt das heilige Grab mit der dazugehörigen Kapelle zum Heiligen Kreuz, eine Nachbildung des heiligen Grabes zu Jerusalem aus den Jahren 148189.
Die hervorragendsten weltlichen Gebäude sind: das Rathaus (1537) mit reicher Bibliothek (ein neues Rathaus ist 1904 im Bau begriffen), die alte Bastei, Kaisertrutz genannt, das Ständehaus mit schönen Anlagen, das Weinbergshaus mit Aussichtsturm, die Oberlausitzer Ruhmeshalle mit Kaiser Friedrich-Museum etc. An Denkmälern besitzt G. ein Reiterstandbild des Kaisers Wilhelm I. auf dem Obermarkt, Bronzestandbilder des Prinzen Friedrich Karl und des Bürgermeisters Demiani am Demianiplatz, Denkmäler des Kriegsministers v. Roon, Goethes, des Theosophen Jak. Böhme und Öttels, des Stifters der Geflügelzuchtvereine, sowie ein schönes Kriegerdenkmal. Die Zahl der Einwohner belief sich (1900) mit der Garnison (2 Bataillone Infanterie Nr. 19) auf 80,931 Seelen, davon 11,462 Katholiken und 627 Juden. Die Industrie ist bedeutend. Hervorzuheben ist die Eisenbahnwaggonfabrik, die Görlitzer Maschinenbauanstalt (1100 Arbeiter), ferner Tuch-, Orleans-, Halbwoll-, Baumwoll- und Leinenfabrikation, Fabriken für Nähmaschinenteile, Glas, Porzellan, Schamotte- und Marmorwaren, Parkettfußböden, Holzstoff, Leder, Posamenten, Knöpfe, Stahlwaren, künstliche Blumen etc., ferner die Bierbrauerei, Müllerei und Ziegelbrennerei. Der Handel, unterstützt durch eine Handelskammer, eine Reichsbankstelle (Umsatz 1903: 589 Mill. Mk.), durch die Kommunalständische Bank und andre Geldinstitute, beschäftigt sich außer mit den genannten Fabrikaten mit Getreide, Produkten, Lumpen, Kolonial- und Materialwaren etc. Nennenswert sind auch die Speditionsgeschäfte. G. ist Knotenpunkt der Preußischen, bez. Sächsischen Staatsbahnlinien Berlin-G., Kohlfurt-G., G.-Lauban, G.-Seidenberg sowie Dresden-G. Den Verkehr in der Stadt vermittelt eine elektrische Straßenbahn. G. hat ein Gymnasium, Realgymnasium mit Oberrealschule, Realschule, Baugewerk- und Maschinenbauschule, 2 Theater, Altertumsmuseum, mehrere wissenschaftliche Vereine (darunter die Naturforschende und die Oberlausitzer Gesellschaft zur Forderung der Wissenschaften, beide mit Bibliothek und reichen Sammlungen; vgl. Jecht, Wegweiser durch die Geschichte der oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften zu G., Görl. 1904) und einen Kunstverein, ferner ein Rettungshaus, Asyl für gefallene Mädchen etc. G. ist Sitz eines Landgerichts, des Landratsamtes für den Landkreis G., eines Hauptsteueramtes, eines österreichischen Hauptzollamtes, der kommunalständischen Verwaltung des preußischen Markgrafentums Oberlausitz, einer Spezialkommission und eines Bergreviers; die städtischen Behörden zählen 19 Magistratsmitglieder und 60 Stadtverordnete. Zum Landgerichtsbezirk G. gehören die 10 Amtsgerichte zu: G., Hoyerswerda, Lauban, Marklissa, Muskau, Niesky, Reichenbach i. O.-L., Rothenburg i. O.-L., Ruhland und Seidenberg. In der nächsten Umgegend liegt der herrliche Stadtpark mit einem Denkmal A. v. Humboldts, das Blockhaus, ebenfalls in Parkanlagen, mit schöner Aussicht, dicht dabei eine Schillerbüste auf Marmorpostament; ferner die 830 m lange, 36 m hohe und auf 34 Pfeilern ruhende Eisenbahnbrücke über das Neißetal und weiter der Basaltkegel der Landeskrone (s. d.). G., dessen Name entweder als Zgorzelice (»Brandstadt«) erklärt oder von gora (»Berg«) abgeleitet wird, ist slawischen Ursprungs und erscheint zuerst um 1071 als Dorf (Gorelitz) im Gau Milsen. Im 12. Jahrh. erhielt es Stadtrecht und Mauern, trat 1346 zum Sechsstädtebund und war von 137796 unter Johann von G. Hauptstadt des Herzogtums G., eines Teiles der Oberlausitz. 1429 ward die Stadt gegen die Hussiten erfolgreich verteidigt und von Kaiser Siegmund dafür durch die Verleihung eines Wappens (s. Tafel »Heraldik«, Fig. 4) belohnt, das unter Karl V. seine jetzige Gestalt erhielt. Im Dreißigjährigen Krieg wurde sie 1623 von den Schweden und Kaiserlichen abwechselnd, namentlich 1633 von Wallenstein mit Sturm genommen und mußte, von den Schweden seit 1639 besetzt, 1641 eine harte Belagerung durch die kaiserlich-kurfürstliche Armee aushalten. 1635 ward G. mit der Lausitz von dem Kaiser an Kursachsen abgetreten. Im Gefecht bei Moys in der Nähe, 7. Sept. 1757, fiel General v. Winterfeldt, dem am Holzberg ein Denkstein errichtet ist. 1815 kam G. mit einem Teil der Oberlausitz an Preußen. G. ist Geburts- und Sterbeort des theosophischen Schusters Jak. Böhme. Vgl. Neumann, Geschichte von G. (Görl. 1850); Jecht, Die Schweden in G. während der J. 1639, 1640 u. 1641 (das. 1890); Kwiecinski, Das Wichtigste aus der Geschichte von G. (das. 1902); Neuer Führer durch G. (das. 1903).