Gesellschaftsreisen

[722] Gesellschaftsreisen, Unternehmungen, deren Veranstalter, und zwar meist Reisebureaus oder Dampfschiffgesellschaften, eine Anzahl Reiselustiger vereinigen, um sie unter einheitlicher Leitung nach einem vorher bekannt gegebenen Programm nach interessanten Orten und Gegenden des In- und Auslandes zu führen. Für die von den Teilnehmern der G. zu zahlenden Bauschsummen wird gewöhnlich gewährt: freie Fahrt, Ab- und Zugänge von und nach den Stationen, Gepäckbesorgung, Unterkommen mit voller Verpflegung einschl. Trinkgelder (jedoch ohne Wein und Heizung), orts- und sprachkundige Führer, freie Besichtigung aller Sehenswürdigkeiten einschl. Beförderung sowie im Programm vorgesehene Ausflüge. Der Begründer der G. ist Louis Stangen, der 1864 die erste derartige Reise nach Ägypten unternahm, wohin die älteste englische Gesellschaftsreise erst 1870 stattfand. Schon in den 60er Jahren hatte der Lehrer Karl Riesel gemeinschaftliche Schülerreisen veranstaltet. 1868 gründete Karl Stangen, der bis dahin Vorsteher einer Postexpedition in Schlesien war, in Berlin das erste Reisebureau, das bis Ende 1902: 883 G. mit 18,617 Personen nach dem Ausland ausführte, insbes. nach allen europäischen Ländern einschl. Rußland, nach Tunis, Algier, dem Orient, Vorderindien und Nordamerika, sowie seit 1878 zwölf Reisen um die Erde, z. B. von Berlin über Triest, Suez, Indien (Himalaja), China, Japan, Honululu, San Francisco, New York, Hamburg zurück nach Berlin in 8 Monaten (Preis: 11,500 Mk. für eine Person). Bei einzelnen Orientreisen, die je nach Dauer, Ausdehnung etc. für eine Person 2–5000 Mk. kosten, ist auch ein zehntägiger Ritt durch Palästina vorgesehen. Mit der Veranstaltung von G. befassen sich auch Karl Riesels Reisebureau, begründet 1870, die Hamburg-Amerikalinie seit 1891 und die deutsche Levantelinie seit 1899, in London die Firmen Thos. Cook u. Son (s. Cook 2) sowie Gaze u. Son. Die Hamburg-Amerikalinie legt den Hauptwert auf die Seereise selbst, weshalb sie für G. geschwinde und vorzüglich ausgestattete Schnelldampfer (Auguste Viktoria und Prinzessin Viktoria Luise) verwendet, so daß der Reisende auch im Hafen auf dem Schiffe wohnen kann; sie veranstaltet Nordland-, Orient-, Westindien-sowie Vergnügungsfahrten zu den Regatten in der Kieler Föhrde, sorgt aber für die Reisenden nur während deren Aufenthalt auf dem Schiff und überläßt die Führung, Verpflegung etc. am Lande den Reisebureaus, z. B. in Norwegen dem[722] Reisebureau von F. Beyer in Bergen. Der Preis für eine Westindienfahrt, 40 Tage, schwankt je nach der Kajüte zwischen 1300 und 2600 Mk., für eine Nordlandfahrt, 16 Tage, zwischen 650 und 1050 Mk. Die Dampfer Therapia, Pera und Stambul der deutschen Levantelinie führen nach dem Mittelmeer und dem Orient G. aus, bei denen Stangen die Führung an Land übernimmt; Gesamtpreis für eine Person gegen 900 Mk. Um größern Gesellschaften in kürzester Frist recht viel Sehenswertes zu zeigen, werden billigere Sonderfahrten auch zum Besuch von Ausstellungen, z. B. der in St. Louis 1904, veranstaltet. Die Reisebureaus geben über Reiseangelegenheiten jeglicher Art Auskunft, sie verkaufen Fahrkarten ohne Preisaufschlag nach und von allen größern Orten des Weltverkehrs sowie zu Sonderzügen, Posten etc., auch besorgen sie Rundreisehefte. Die Firma Stangen führt ez. B. 1902 an die preußische Staatskasse 1,5 Mill. Mk. für verkaufte Eisenbahnkarten ab.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 722-723.
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