[776] Gewandung, allgemein soviel wie Bekleidung, Kostüm (s.d.). Speziell in der bildenden Kunst (Draperie, Faltenwurf) die Anordnung der Gewänder, mit denen menschliche Figuren bekleidet sind. Ein wohl angelegtes, edel gefaltetes Gewand, das eine Figur oder Gruppe nach Charakter, Form und Kolorit harmonisch vorteilhaft drapiert, ist eine der schwierigsten Aufgaben der bildenden Kunst. Es kommt dabei auf möglichst edle und einfache Behandlungs- und Auffassungsweise und vor allem darauf an, daß die G. Form und Bewegung des Körpers auf ungezwungene Weise erkennen lasse, weshalb Winckelmann das Gewand treffend das »Echo des Körpers« nannte. Die Modelldraperie darf nicht über einen sogen. Gliedermann, sondern muß über ein lebendes Modell geworfen und dann in der Weise zum Studium benutzt werden, daß man das Modell vorher erst mehrere andre als die gerade gewünschte Bewegung machen und hierauf erst plötzlich die eben nötige Stellung annehmen läßt, wodurch es allein möglich wird, Leben und Bewegung in sie zu bringen. Die griechisch-römische Kunst (z. B. Menelaos für die schöne Gruppe in Villa Ludovisi) verwendete auch nasse, über lebende Modelle geworfene Leinwand zum Muster (sogen. Wassergewänder), damit die Falten in der einmal gewählten Anordnung verblieben. Sehr schwierig ist es, in der Plastik die einzelnen Stoffe, Tuch, Samt, Leder, Seide, Leinwand, entsprechend wiederzugeben. Doch hat die moderne Plastik nach dem Vorgang der italienischen auch diese Schwierigkeiten überwunden, wobei sie freilich oft ins Kleinliche verfallen ist. Die ältesten griechischen Skulpturen zeigen zahlreiche enge, einander parallel laufende Falten, die in zickzackförmig gefältelte Säume auslaufen, so die Athene des Äginetengiebels in der Münchener Glyptothek, die aus der Zeit um 475 v. Chr. herrührt (s. Tafel »Bildhauerkunst III«, Fig. 1), und die archaische Figur einer Athenepriesterin von Antenor (s. Tafel »Bildhauerkunst II«, Fig. 9). Zur höchsten Schönheit ausgebildet erscheint die G. an den Skulpturen aus der Blütezeit der griechischen Kunst, namentlich an den Giebelfiguren des Parthenon. In der folgenden Zeit wird das Durchscheinen des Körpers durch die G. immer geflissentlicher betont. Doch erzeugte noch eine jüngere Periode Meisterwerke, wie die Statue des Sophokles im lateranischen Museum zu Rom (s. Tafel »Bildhauerkunst III«, Fig. 8), und selbst an den Porträtfiguren der römischen Zeit erkennt man noch die Traditionen der großen Vergangenheit (s. Tafel »Bildhauerkunst V«, Fig. 9). Auch die Byzantiner knüpften an die antiken Prinzipien an, wurden aber in steigendem Maße durch die langen, durchlaufenden Falten und die Schneckenwindungen starr und schematisch. Im Abendland fanden die Byzantiner nur teilweise Nachahmung. Giotto namentlich wandte sich von Byzanz ab, und er zuerst verlieh seinen Figuren eine großartig-einfache Gewandbildung, die das Erbteil der italienischen Kunst blieb und von Meistern wie Michelangelo, Leonardo und Raffael zu idealer Vollkommenheit ausgebildet wurde. Correggio behauptete nicht die gleiche Höhe, und die Italiener des 17. und 18. Jahrh., die von ihm beeinflußt wurden, vermochten noch weniger die Reinheit jener Meister zu bewahren. In Deutschland anderseits wurde mit dem gotischen Stil ein eigentümlicher Faltenwurf vorherrschend, wobei die G. in weichen Linien herabfällt. Unter dem Einfluß der Bildhauerei, nach der sich die ältesten Niederländer, die van Eyck und ihre Schüler, richteten, wurden hauptsächlich die eckigen Falten beliebt, die Schongauer u. a. noch mehr übertrieben, was zu der eigentümlich zerknitterten Dürerschen Draperie den Anstoß gab. Letztere drang in alle Zweige der Kunst, der Malerei, des Kupferstichs, der Plastik etc., ein. Rubens' breit und kühn geworfene Gewänder schließen sich wieder an die klassischen Italiener an, während die holländische Kunst zumeist ohne jede Idealisierung die Natur zum Vorbild nahm. Die neuere Zeit hat noch keineswegs die Meister des 16. Jahrh. erreicht; der Faltenwurf bei Overbeck, Cornelius, Schwanthaler u. a. ist teils zu streng, teils auch zu oberflächlich. Vortreffliches leisteten Rauch (s. Tafel »Bildhauerkunst XIII«, Fig. 4 u. 5.), Rietschel (Tafel XVI, Fig. 4 u. 6), Hähnel (Tafel XV, Fig. 3), Schilling (Tafel XVI, Fig. 8 u. 9) und Schaper (Tafel XVII, Fig. 8). Wie alle Ausdrucksmittel und Erscheinungsformen der bildenden Künste, ist auch die G. dem Geschmack und der Stilrichtung der verschiedenen Kunstepochen unterworfen und daher je nach der Stellung des Künstlers idealistisch oder naturalistisch. Die neueste Kunst verfährt in der Anordnung der G. überhaupt nicht mehr nach bestimmten Regeln, sondern nur nach der individuellen Neigung des Künstlers. Nur auf der Akademie wird die Anordnung der Gewänder noch systematisch gelehrt, wofür auf einzelnen Kunstschulen sogen. Gewandklassen eingerichtet sind.