[616] Sophŏkles, einer der drei großen tragischen Dichter des griechischen Altertums, 496406 v. Chr., geboren im attischen Demos Kolonos, Sohn des Sophillos, erhielt eine sorgfältige Bildung in den musischen Künsten und soll 480 den Siegesreigen nach der Schlacht bei Salamis angeführt haben. Gleich beim ersten Auftreten als Dichter im Alter von 28 Jahren (468) gewann er den Sieg über den 30 Jahre ältern Äschylos, um fortan den ersten Rang in der Tragödie bis in sein hohes Alter zu behaupten. Er hat gegen[616] 20mal den ersten, nie aber den dritten Preis erhalten. Anders als Euripides beteiligte er sich am politischen Leben und bekleidete mehrere Ämter; so war er 440 mit Perikles Befehlshaber der Flotte gegen Samos. Daß er im hohen Alter von seinem Sohn Iophon wegen Unzurechnungsfähigkeit vor Gericht gezogen sei, aber durch Vorlesung eines Liedes aus dem »Ödipus auf Kolonos« seine Freisprechung erwirkt habe, scheint Sage zu sein, wie sich auch mancherlei Sagen an seinen Tod, der nach dem Zeugnis eines Zeitgenossen seinem Leben entsprechend ein schöner war, und sein Begräbnis knüpften. Die Athener errichteten ihm später, wie Äschylos und Euripides, ein ehernes Standbild im Theater, auf das wohl die berühmte Marmorstatue im Lateran (s. Tafel »Bildhauerkunst III«, Fig. 8) zurückgeht. S. galt als Vollender und Meister der Tragödie. Er erweiterte die dramatische Handlung durch Einführung eines dritten Schauspielers und durch die Beschränkung des Chors, dem er anderseits kunstreichere Ausbildung gab, wie er ihn auch von 13 auf 15 Mitglieder vermehrte. Indem er die Komposition der Äschyleischen Tetralogie oder Trilogie verließ, gestaltete er jede Tragödie zu einem einheitlichen Kunstwerk mit in sich abgeschlossener Handlung, die er zuerst im einzelnen künstlerisch motivierte, namentlich aus dem Charakter der Handelnden. Mit seiner sorgfältig durchgeführten Charakteristik hält er die Mitte zwischen Äschylos' übermenschlicher Erhabenheit und Euripides' Neigung, das gewöhnliche Leben zu kopieren; berühmt ist sein Ausspruch: er stelle die Menschen dar, wie sie sein sollten, Euripides, wie sie wirklich wären. Mit Äschylos hat er die tiefe Frömmigkeit gemein, die jedoch bei ihm auf weit milderer Anschauung von der Stellung der Götter zu den Menschen beruht. Die seinem Wesen eigentümliche Anmut zeigt sich auch in der Sprache, deren Schönheit von den Alten allgemein gerühmt wird, und die in edler Einfachheit die Mitte zwischen dem großartigen Pathos des Äschylos und der Glätte und dem rhetorischen Schmuck des Euripides hält. S. gehört zu den fruchtbarsten Dichtern. Außer Päanen, Elegien, Epigrammen und einer Schrift über den Chor hat er ca. 123 Dramen verfaßt, von denen uns über 100 durch Titel und Bruchstücke bekannt, aber nur 7 vollständig erhalten sind: »Aias«, »Elektra«, »König Ödipus«, »Antigone«, »Trachinierinnen« (Tod des Herakles), »Philoktetes«, »Ödipus auf Kolonos«, die, mit Ausnahme der »Trachinierinnen«, unter die berühmtesten des S. gehörten. Von ihnen wurde »Antigone« 441, »Philoktet« 409, »Ödipus auf Kolonos« angeblich erst nach dem Tode des S. von seinem gleichnamigen Enkel 401 auf die Bühne gebracht. Namentlich die »Antigone« und der »Ödipus auf Kolonos« wurden in neuer Zeit durch deutsche Übersetzungen und die Musikbegleitung von Mendelssohn-Bartholdy für die Bühne bearbeitet und seit 1841 (zuerst in Berlin) mit Beifall ausgeführt. Neuere Gesamtausgaben von Erfurdt (Leipz. 180211, 6 Bde.; Bd. 7 von Heller und Döderlein. 1825; neue Ausg. von G. Hermann, zum Teil 3. Aufl., das. 183051, 7 Bde.), Wunder (zum Teil 5. Ausg. von Wecklein, das., 2 Bde.), Dindorf (3. Aufl., Oxf. 1860, 8 Bde.; auch in dessen »Poetae scenici graeci«, 5. Aufl., Leipz. 1869; Text, 6. Aufl. von Mekler, das.), Jebb (Cambr. 1890, 7 Bde.), Schneidewin-Nauck-Bruhn (zum Teil schon 10. Aufl., Berl., 8 Bde.), Wolff und Bellermann (5 Stücke, zum Teil in 5. Aufl., das.), Wecklein (zum Teil 3. Aufl., Münch.). Bearbeitungen einzelner Stücke: »Aias« von Lobeck (3. Aufl., Berl. 1866); »Antigone« von Böckh (mit Übersetzung, neue Ausg., Leipz. 1884); Schmidt (Jena 1880); »König Ödipus« von Elmsley (Cambr. 1811, Leipz. 1821), Herwerden (Utrecht 1867), Ritter (Leipz. 1870); »Ödipus auf Kolonos« von Reisig (Jena 1820), Elmsley (Oxf. 1823, Leipz. 1824); »Philoktetes« von Buttmann (Leipz. 1822); »Elektra« von O. Jahn (3. Aufl. von Michaelis, Bonn 1882), von Kaibel (Leipz. 1896). Die Fragmente der übrigen Stücke in Naucks »Tragicorum graecorum fragmenta« (2. Aufl., Leipz. 1889). Ausgaben der Scholien von Elmsley, Dindorf (3. Aufl., Oxf. 1860) und Papageorg (Leipz. 1888). »Lexicon Sophocleum« von Ellendt (2. Aufl. von Genthe, Berl. 1872, 2 Bde.) und von Dindorf (Leipz. 1871). Übersetzungen von Solger (3. Aufl., Berl. 1837, 2 Bde.), Donner (11. Aufl. 1889), Thudichum (3. Aufl., das. 1875), Hartung (das. 1853), Minckwitz (neue Aufl., Stuttg. 1869). W. Jordan (Berl. 1862, 2 Bde.), Viehoff (Hildburghausen 1866), Schöll (Stuttg. 1871), Bruch (Bresl. 1879), Prell-Erckens (Leipz. 1883), Wendt (Stuttg. 1884, 2 Bde.) und Türkheim (das. 1887, 2 Bde.). Wilbrandt veröffentlichte »Ausgewählte Dramen des S. und Euripides, mit Rücksicht auf die Bühne bearbeitet« (Nördling. 1866; 2. Aufl., Münch. 1903). Vgl. Lessing, Leben des S. (in dessen Werken); Schöll, S., sein Leben und Wirken (Frankf. 1842); Muff, Die chorische Technik des S. (Halle 1877); Hense, Der Chor des S. (Berl. 1877); A. Müller, Ästhetischer Kommentar zu den Tragödien des S. (Paderb. 1904); Allègre, Sophocle (Lyon 1906).