[438] Grubenunfälle. Die Zahl der Unfälle ist, wie die nachstehenden Ziffern zeigen, in Deutschland bei der Knappschaftsberufsgenossenschaft verhältnismäßig weit höher als im Durchschnitt bei sämtlichen gewerblichen Berufsgenossenschaften. Die Zahl der versicherten Personen betrug 1902 bei der Knappschaftsberufsgenossenschaft 601,132, davon waren 438,693 = 73 Proz. beim Steinkohlenbergbau beschäftigt. Von den 8143 entschädigungspflichtigen Unfällen dieser Berufsgenossenschaft entfielen auf den Steinkohlenbergbau 6567 = 80 Proz.
Die größere Gefährlichkeit des Steinkohlenbergbaues erklärt sich dadurch, daß die Unfälle durch Schlagende Wetter sich fast ausschließlich auf den Steinkohlenbergbau beschränken, und daß die Förderung der großen Masse bei diesem Bergbau an sich größere Gefahren hervorruft. Die nachstehenden Zahlen lassen erkennen, daß die Verunglückungsziffer beim Steinkohlenbergbau in Preußen weit höher ist als in Großbritannien, Belgien und Frankreich. Es kamen nämlich auf 1000 beschäftigte Arbeiter durchschnittlich jährlich zu Tode beim Steinkohlenbergbau in
Diese Tatsache ist z. T. auf die im allgemeinen ungünstigern natürlichen Verhältnisse des preußischen Steinkohlenbergbaues, z. T. auf die verhältnismäßig weit stärkere Entwickelung seiner Förderung zurückzuführen, die dazu zwang, viele mit dem Bergbau gänzlich unvertraute Arbeiter heranzuziehen.
Von den tödlichen Unfällen beim, Bergbau in Preußen entfielen in den letzten 4 Jahren durchschnittlich 39 Proz. auf die durch Einsturz von Gebirgsmassen, 24 Proz. auf die in Schächten, Bremsschächten und Bremsbergen, 3 Proz. auf die durch Explosionen, die übrigen 34 Proz. auf sonstige Verunglückungen unter Tage und auf die Unfälle über Tage.
Die Gebirgsschichten bestehen selten aus derartig festen Massen, daß die beim Abbau einer Lagerstätte über ihr befindlichen Schichten sich ohne künstliche Unterstützung längere Zeit frei tragen können. Auch die Kohle selbst ist meist zerklüftet, wodurch das Ablösen einzelner Stücke begünstigt wird. Es ist daher für gewöhnlich notwendig, daß die unterirdisch getriebenen Strecken und die Arbeitsplätze durch künstliche Stützen gegen das unerwartete Hereinbrechen loser Gesteins- und Kohlenmassen gesichert werden. In welchem Maße diese Sicherung zu erfolgen hat, hängt von den Verhältnissen ab, die oft selbst auf ein und derselben Grube ganz verschieden sind, und deren richtige Beurteilung mitunter recht schwierig ist. Auf Grund der Untersuchungen der 1897 vom preußischen Handelsminister eingesetzten Stein- und Kohlenfallkommission geht man in Preußen von dem Standpunkt, die Beurteilung dieser Frage dem einzelnen Arbeiter zu überlassen, mehr und mehr ab und hält eine systematische Verzimmerung, d. h. eine solche, bei der die Entfernung der Hölzer etc. von der Grubenverwaltung festgesetzt wird, für notwendig.
Die Unfälle in Schächten werden hauptsächlich veranlaßt durch Absturz des Förderkorbes infolge von Seilbrüchen u. dgl., durch zu starkes Aufsetzen, unzeitiges Betreten oder Verlassen des Förderkorbes oder durch Absturz von Personen, die in oder an den [438] Schächten Arbeiten zu verrichten haben. Auch die Unfälle in Bremsschächten und Bremsbergen sind häufig verursacht durch den Absturz pou Personen, die dort Arbeiten vornehmen oder sich unbefugt dort aufhalten. Nicht selten aber auch sind durchgehende Wagen oder unzeitige Bewegung des Bremsgestelles die Veranlassung zu Unfällen.
Obwohl durch Grubenexplosionen (s. d.) viel weniger Menschen verunglücken als durch Einsturz von Gebirgsmassen, erregen sie doch weit mehr das öffentliche Interesse, weil sie vielfach Massenunfälle hervorrufen. Die Zahl der Opfer einer solchen Explosion beträgt nicht selten mehr als 100.
Die Ursachen dieser Unfälle und die Mittel zu ihrer Verhütung sind in den 1880er und 1890er Jahren im In- und Auslande Gegenstand eingehender Untersuchungen durch staatlich eingesetzte Kommissionen gewesen, die zu wichtigen praktischen Erfolgen geführt haben. Trotzdem mit dem fortschreitenden Eindringen in die Tiefe die Gefahren zunehmen, insbes. die Gefahr, die der Kohlenstaub in sich birgt, und die früher noch zu sehr unterschätzt wurde, haben in den letzten Jahren die Unfälle durch Explosionen infolge verbesserter Ventilation und Einführung der Kohlenstaubbefeuchtung mittels Spritzwasserleitungen erheblich abgenommen. Die vielfach noch verbreitet gewesene Ansicht, daß eine größere Kohlenstaubexplosion bei Abwesenheit von Schlagwettern unmöglich und deshalb auf den Steinkohlengruben in Oberschlesien, wo Schlagwetter nicht auftreten, ausgeschlossen sei, ist durch die am 2. April 1903 erfolgte Explosion auf Grube Königin Luise, bei der 23 Mann zu Tode kamen, widerlegt worden.
Sonstige Unfälle beim Bergbau erfolgen bei der Sprengarbeit unter anderm durch unvorsichtige Handhabung von Sprengstoffen, vorzeitiges oder verspätetes Losgehen der Sprengschüsse, bei der unterirdischen Streckenförderung und bei der Förderung und Verladung über Tage durch Überfahrenwerden, Entgleisen oder Zusammenstöße von Wagen, beim Bedienen von Maschinen etc. Diese Unfälle fordern in der Regel nur einzelne Opfer. Seltener, aber dann auch meist verheerender, sind die Unfälle durch Brände oder Wasserdurchbrüche.
Die Erfahrung hat gelehrt, daß zur möglichsten Verhütung von Unfällen beim Bergbau außer der Herstellung zweckmäßiger Sicherheitseinrichtungen eine systematische Erziehung der Arbeiter für ihren Beruf notwendig ist. Sodann ist eine intensive Beaufsichtigung der Arbeiter und eine regelmäßige Untersuchung der Grubenräume durch Angestellte des Bergwerksbesitzers sowie eine strenge Überwachung der Befolgung der von der Bergbehörde erlassenen Sicherheitsvorschriften durch staatliche Organe ein unbedingtes Erfordernis.