Hautflügler

[905] Hautflügler (Aderflügler, Hymenoptera; hierzu Tafel »Hautflügler I u. II«), Ordnung der Insekten, Kerbtiere mit beißenden und leckenden Mundteilen, unbeweglichem Prothorax, vier häutigen, wenig geäderten Flügeln und vollkommener Metamorphose. Der Kopf ist frei beweglich, der Rumpf ziemlich lang.

Fig. 1. Stachelapparat der Biene.
Fig. 1. Stachelapparat der Biene.

Der Hinterleib ist meist vorn ganz schmal und sitzt mit diesem sog. Stiel der Brust an. Beim weiblichen Geschlecht endet er mit einem in der Ruhe gewöhnlich verborgenen Legestachel oder Giftstachel, der aus einer äußern sogen. Stachelrinne, zwei Stachelscheiden und ebenso vielen Stechborsten zusammengesetzt ist (Fig. 1). Die Fühler haben meist ein großes Basalglied und 11 oder 12 kürzere[905] Glieder. Die Mundwerkzeuge (Fig. 2) sind beißend und zugleich leckend: Oberlippe und Oberkiefer (Mandibeln) sind wie bei den Käfern und Geradflüglern gebildet, Unterkiefer (Maxillen) und Unterlippe dagegen verlängert, zum Lecken eingerichtet, in der Ruhe häufig knieförmig umgelegt. Bei den Bienen kann ein Teil der Unterlippe, die sogen. Zunge, die Form eines Saugrüssels annehmen. Die Flügel sind durchsichtig, die vordern beträchtlich größer als die hintern, anderen Außenrand kleine, übergreifende Häkchen entspringen, die sich an dem untern Rande der Vorderflügel befestigen, so daß für den Flug eine größere einheitliche Fläche zustande kommt. Doch fehlen auch wohl die Flügel einem der beiden Geschlechter oder bei den gesellig lebenden Hautflüglern den Arbeitern. Die sehr beweglichen Beine haben fünfgliederige, meist verbreiterte Tarsen. Die Netzaugen sind gewöhnlich groß und stoßen beim männlichen Geschlecht fast zusammen; allgemein finden sich drei Einzelaugen (Ocellen). Das Gehirn ist kompliziert gebaut; an dem langen Darm finden sich viele Nierenschläuche (Malpighische Gefäße, s. Bienen, Textfig. 2); die Längsstämme der gut entwickelten Tracheen bilden blasige Erweiterungen. Der Giftstachel steht in Verbindung mit fadenförmigen oder verästelten Giftdrüsen und einer Giftblase.

Fig. 2. Mundteile der Arbeitsbiene.
Fig. 2. Mundteile der Arbeitsbiene.

Die Larven sind meist fußlos und leben entweder parasitisch im Leibe von Insekten oder Pflanzen, oder in Bruträumen (Zellen) sowohl von pflanzlichen als von tierischen Stoffen, mit denen sie häufig von den Arbeitern (der Bienen und Wespen) gefüttert werden; ihr Darm kann blind enden, so daß keine Exkremente von ihnen abgegeben werden. Die den Schmetterlingsraupen ähnlichen Larven der Blatt- und Holzwespen haben außer den 3 Paar Brustbeinen 6–8 Paar Hinterleibsbeine und leben selbständig von Blättern oder Holz. Zur Verpuppung können die Larven einen seidenartigen Kokon spinnen, die Puppen aber gleichen denen der Käfer. – Die oft kleinen und äußerlich unscheinbaren H. zeigen hohe Intelligenz, namentlich in der Sorge für die Brut. Die meisten Weibchen zwar suchen nur passende Orte zum Ablegen der Eier: die Gallwespen durchbrechen die Oberhaut bestimmter Pflanzen und bringen das Ei in das innere Gewebe derselben; die Schlupfwespen stechen die Haut andrer Insekten an und legen die Eier in deren Leibesraum; andre legen die Eier in die Zellen von Bienen, Wespen, Hummeln, wo die ausschlüpfenden Larven entweder von den Bewohnern der Zellen oder von dem darin angehäuften Proviant leben. In vielen Fällen aber bauen die weiblichen H. Wohnungen für ihre Brut in Erde, Holz etc., und zwar für jedes Ei eine Zelle, die mit Lebensmitteln für die Larven gefüllt wird. Die aus letztern hervorgegangene neue Generation zerstreut sich aber bei einigen Arten nicht, sondern gründet gemeinsame Galerien und größere Wohnungen, und diese Arten bilden den Übergang zu jenen, die in Gesellschaften mit staatlicher Einrichtung leben, wie Ameisen, zahlreiche Wespen, Hummeln und Honigbienen. Bei diesen reduziert sich die Zahl der eierlegenden Weibchen; dagegen sind geschlechtlich verkümmerte Weibchen (Arbeiter) vorhanden, denen der Bau der Wohnungen, die Verteidigung, die Herbeischaffung der Nahrung etc. obliegen. Die Arbeiter sind meist geflügelt, haben verkümmerte Geschlechtsorgane und sind nicht selten fähig, unbefruchtete, zu Männchen sich entwickelnde Eier zu legen. (Vgl. wegen der Einzelheiten die Artikel »Bienen, Wespen« etc.)

Die H. sind über die ganze Erde verbreitet; von der weit größern Zahl der vorhandenen kennt man über 15,000 Arten. Man unterscheidet: 1) Hymenoptera terebrantia, Weibchen mit einem meist frei hervorragenden Legebohrer; Hinterleib gestielt oder sitzend; Larven entweder raupenähnlich und pflanzenfressend (Phytophaga), oder fußlos und in pflanzliche Gewebe (Gallen) eingeschlossen (Gallicola), oder endlich in Larven andrer Insekten schmarotzend (Entomophaga). Hierher gehören z. B. die Familien der Blattwespen (Tenthredinidae, Tafel I, Fig. 4, 6, 8), Holzwespen (Uroceridae, Fig. 5), Gallwespen (Cynipidae, Fig. 2, 10), Chalcidier (Chalcididae, Fig. 1), Proktotrypiden (Fig. 11) und Schlupfwespen (Ichneumonidae, Fig. 3, 7, 9, 12). 2) Hymenoptera aculeata, Weibchen (und Arbeiter) mit einem in den Hinterleib zurückziehbaren Giftstachel, Hinterleib gestielt. Die Weibchen (oder Arbeiter) füttern meist ihre fußlosen Larven selbst und bauen gewöhnlich für sie eigne Nester oder Zellen. Hierher unter andern die Familien der Grabwespen (Crabronidae, Tafel II, Fig. 7), Wespen (Vespidae, Fig. 6, 8, 9), Goldwespen (Chrysididae, Fig. 5), Bienen (Apidae, Fig. 1–4, und Tafel »Bienen«), zu denen auch die Hummeln gehören, und Ameisen (Formicidae, s. Tafel »Ameisen«).

Vgl. Fabricius, Systema Piezatorum (Braunschweig 1804); Lepeletier de Saint-Fargeau, Histoire naturelle des insectes. Hyménoptères (Par. 1836–46, 4 Bde.); Dahlbom, Hymenoptera europaea (Lund 1845); Hartig, Die Aderflügler Deutschlands (Berl. 1837); Taschenberg, Die Hymenopteren Deutschlands (Leipz. 1866); Dalla Torre, Catalogus Hymenopterorum (das. 1892 ff.); Edmond André, Species des Hyménoptères d'Europe et d'Algérie (Bd. 1–4, Par. 1882–90; Bd. 5–7 von Ernest André, 1891–97); »Zeitschrift für systematische Hymenopterologie und Dipterologie« (Stargard u. Leipz., seit 1901).[906]

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 1.
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