Darm

[519] Darm (Darmkanal, Darmrohr, Intestinum), der Verdauungskanal der Tiere, der sich meistens in drei Abschnitte sondert: Vorderdarm (mit Speiseröhre und Kaumagen), Mitteldarm (eigentlichen Magen) und Hinterdarm. Nur der Mitteldarm und ein Teil des Hinterdarms dienen alsdann zur Verdauung, während der vordere meist nur die Zuleitung (durch den Mund), die Zerkleinerung und Auflockerung (Vorverdauung) der Speisen besorgt. Die unverdauten Reste gelangen durch den Endabschnitt des Hinterdarius, den En d- oder Mastdarm, mittels des Afters nach außen. Im engern Sinne, namentlich bei den Wirbeltieren, versteht man unter D. die auf den Magen folgenden Teile des Darmkanals, die sich gewöhnlich von dem weiten Magen durch größere Enge (Dünndarm) unterscheiden und häufig sehr lang sind. Die Strecke des Dünndarms unmittelbar nach dem Magen wird bei den Säugetieren Zwölffingerdarm, der Rest Dünndarm im engern Sinne genannt, bis auf das letzte Stück, das nach seiner bedeutendern Weite Dickdarm heißt und meist auch einen Blinddarm zum Anhang hat, dessen Funktion dunkel ist. Drüsige Anhänge des Vorderdarms sind die Speicheldrüsen, des Mitteldarms Leber und Bauchspeicheldrüse. Bei manchen Fischen sitzen am Anfang des Mitteldarms dicht am Pförtner des Magens die sogen. Pförtneranhänge (appendices pyloricae), d. h. Blindschläuche von verschiedener Form und Gruppierung; auch hat wohl der ganze Mitteldarm innen eine spiralig verlaufende Schleimhautfalte (Spiralklappe), welche die innere Oberfläche des Darmes vergrößert und zugleich der Nahrung einen längern Weg vorschreibt, also ihre bessere Ausnutzung ermöglicht. Bei den Vögeln ist der Blinddarm paarig, bei den Säugern unpaarig oder fehlt auch ganz (Bären); sein Ende verkümmert oft und bildet so den Wurmfortsatz (Nager, Affen, Mensch). Das kurze Endstück des sehr verschieden langen Hinterdarms, der Mastdarm, mündet bei den meisten Wirbeltieren zusammen mit den Gängen der Harn- und Geschlechtswerkzeuge in einen besondern Raum, die Kloake, bei den Säugetieren (mit Ausnahme der Schnabeltiere) jedoch durch den Äster direkt nach außen; auch am Ende des Mastdarms befinden sich bei manchen Wirbeltieren drüsige Anhänge.

Beim Menschen (s. die Tafeln »Eingeweide I-III« und Tafel »Blutgefäße«, Fig. 4) liegt der D. in der [519] Bauch- und Beckenhöhle und ist beim Erwachsenen im Durchschnitt 8 m, also etwa fünfmal so lang wieder Körper. Der vorderste Abschnitt heißt Zwölffingerdarm (intestinum duodenum), weil seine Länge etwa der Breite von zwölf Fingern entspricht. Er hat bei mittlerer Füllung einen Durchmesser von etwa 4 cm und umfaßt mit einer nach rechts gewendeten Schlinge die Bauchspeicheldrüse; in ihn münden der Ausführungsgang dieser Drüse sowie der Gallengang gemeinschaftlich ein. Der eigentliche Dünndarm ist ein 4–8,5, gewöhnlich 5,5–6 m langes, in vielfache Schlingen gelegtes Rohr; seine ersten zwei Fünftel heißen Leerdarm (i. jejunum), der Rest Krummdarm (i. ileum). Dem letztern folgt der Dickdarm (i. crassum) mit einer Länge von 1,1–2,3, meist 1,3–1,6 m und einer Weite von 4–6 cm; an der Grenze von beiden befindet sich innen eine kreisförmige Schleimhautfalte, die sogen. Bauhinsche oder Blinddarmklappe (valvula Bauhini s. coli). Der Dickdarm besitzt als sackförmigen Anhang den Blinddarm (i. coecum), von 6–8 cm Länge; dieser endet mit dem 5–7 mm weiten und etwa 5–8 cm langen Wurmfortsatz (processus vermiformis). Der Dickdarm steigt zunächst bis zur Leber empor (aufsteigen der Grimmdarm, colon ascendens); dann geht er als Quergrimmdarm (c. transversum) am Magen links zur Milz hinüber; hier biegt er um und verläuft als absteigen der Grimmdarm (c. descendens) links abwärts, bildet dann eine S-förmige Krümmung (flexura sigmoidea oder S romanum) und geht zuletzt in den etwa 16 cm langen Mastdarm (intestinum rectum) über. Dieser senkt sich gerade von oben nach unten und mündet durch den After nach außen. – Die Darmwand besteht aus drei Schichten; die äußerste (sogen. seröse) Haut (s. Tafel »Eingeweide III«, Fig. 1 r) gehört dem Bauchfell an und befestigt den D. in der Bauchhöhle. Die mittlere oder Muskelhaut besteht aus einer äußern Längsfaser- und einer innern Ringfaserschicht; die durch sie hervorgerufenen (peristaltischen) Bewegungen des Darmes gleichen somit denen eines Wurmes und schreiten vom Magen her gegen den After hin fort. (In umgekehrter Richtung verlaufen die antiperistaltischen Bewegungen, die den Inhalt des Darmes nach dem Magen zurückdrängen, so daß selbst Kot erbrochen werden kann.) Die Ringfaserschicht bildet am Ende des Mastdarms den innern Schließmuskel des Afters (sphincter ani internus), der durch den äußern (innerhalb gewisser Grenzen der Willkür gehorchenden) Schließmuskel unterstützt wird und schon im Ruhezustande den After leicht geschlossen hält. Die Längsfaserschicht erstreckt sich kontinuierlich über den ganzen Dünndarm, am Dickdarm beschränkt sie sich auf drei etwa 9 mm breite Bänder (taeniae coli), die sich erst weiter hinten über den ganzen Umfang verbreiten. Die innerste oder Schleimhaut ist weich, etwa 1 mm dick, an Blut- (c) und Lymph- (resp. Chylus-) Gefäßen (l), die in der untersten Lage der Schleimhaut, der Submukosa s, Geflechte bilden, sowie an Drüsen überaus reich und an ihrer freien Fläche mit einer Lage von Epithelzellen e überkleidet. Die Schleimhaut des Dünndarms ist in zahlreiche Querfalten (sogen. Kerckringsche Falten) gelegt und in ihrer ganzen Länge mit kleinen Zotten, den Darmzotten (villi intestinales) z (den stärker vergrößerten Durchschnitt einer Darmzotte s. Tafel »Eingeweide III«, Fig. 2; vgl. Verdauung), besetzt; durch sie wird die innere Fläche des Darmes bedeutend (auf das Fünffache) vergrößert, sie saugen aus dem Speisebrei den Chylus (s.d.) auf und führen ihn der Säftemasse des Körpers zu. Überall zwischen den Darmzotten kommen die sogen. Lieberkühnschen Drüsen d (s.d.) zur Absonderung des Darmsaftes (succus entericus) in ungeheurer Anzahl vor. Auf das Anfangsstück des Zwölffingerdarms sind die traubenförmigen Brunnerschen Drüsen beschränkt, die eine dem Bauchspeichel ähnliche Flüssigkeit absondern. Im ganzen Dünndarm finden sich kleine Lymphdrüsen oder geschlossene (sogen. solitäre) Follikel f, etwa von der Größe eines Hirsekorns (s. Lymphdrüsen), die sich im hintern Abschnitt des Dünndarms zu den sogen. Peyerschen Drüsen ff (s.d.) anordnen. Der Dickdarm enthält viele Falten von geringer Höhe, aber keine Zotten und wenige Drüsen. In Fig. 1 der Tafel III, der ein ideales Bild des Dünndarms darstellt, gibt B den Durchschnitt, A die Ansicht der Oberfläche mit den frei hervorragenden Zotten und den Öffnungen der Lieberkühnschen Drüsen a a, die an den Stellen fehlen, wo die Follikel das Epithel vorwölben. – Die Arterien des Darmes stammen aus den beiden Gekrösarterien; die Venen münden in die Pfortader (s. Tafel »Blutgefäße«, Fig. 4); die Nerven (nervi splanchnici) gehören zum Sympathikus (s.d.). Über die Verrichtungen des Dünndarms s. Verdauung.

Die Krankheiten des Darmes sind größtenteils Erkrankungen der Schleimhaut, die auf die Muskelschicht und den serösen Überzug des Darmes übergreifen können; sie sind sehr selten auf die Muskel- und Nervenschicht des Darmes beschränkt, selten auch ist die seröse Haut einziger Sitz des Leidens, da dasselbe dann gewöhnlich Teilerscheinung einer allgemeinen Bauchfellentzündung zu sein pflegt. Katarrh, Amyloidentartung, Blutungen etc. kommen gleich häufig in allen Teilen des Darmes vor, während vorwiegend die runden Geschwüre im Zwölffingerdarm, die typhösen Veränderungen im untern Teil des Dünndarms, die Ruhr im Dickdarm, die Syphilis im Mastdarm, die Tuberkulose vorwiegend im untern Dünndarm beobachtet wird. Für Geschwulstbildungen sind die Blinddarmklappe und der Mastdarm besonders disponiert. Die Geschwülste sind so überwiegend krebsiger Natur, daß die wenigen Schleimhautpolypen, Myome, Fettgeschwülste, die sonst noch vorkommen, dagegen ganz zurücktreten. Vgl. Nothnagel, Die Erkrankungen des Darms und des Peritoneum (2. Aufl., Wien 1903).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 519-520.
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