[21] Hebamme (Wehmutter, lat. Obstetrix, franz. Sage-femme), eine für die Hilfeleistungen bei Entbindungen geprüfte weibliche Medizinalperson, welche die Befugnis hat, normale Geburten selbständig zu besorgen (vgl. Geburtshilfe). Im Deutschen Reich bedürfen die Hebammen nach § 30 der Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 eines Prüfungszeugnisses der nach den Landesgesetzen zuständigen Behörde. Ihre Ausbildung erhalten die Hebammen in den Hebammenlehranstalten, die sich an den meisten Universitäten (Universitäts-Frauenkliniken) und auch sonst in größern Städten als öffentliche Entbindungsanstalten finden; namentlich in Preußen haben die Provinzen vielfach besondere Hebammenlehranstalten geschaffen. Die Ausbildungszeit der Hebammen in diesen Anstalten beträgt z. B. in Bayern 4, in Elsaß-Lothringen 9 Monate; im Mittel dauert sie etwa 6 Monate. Aufnahmebedingungen sind im allgemeinen Alter zwischen 20 und 35 Jahren, unbescholtener Ruf, Gesundheit, geistige Befähigung und Schulbildung. In Holland, Belgien, Italien, Rußland beträgt die Ausbildungszeit der Hebammen 2 Jahre. Um das Wissen der Hebammen nicht verfallen zu lassen, werden sie in Abständen von 23 Jahren durch den beamteten Arzt nachgeprüft. Stellenweise finden neben diesen Nachprüfungen auch Wiederholungskurse statt; namentlich in Hessen, wo alle praktizierenden Hebammen nach und nach zu 814 tägigen Wiederholungskursen in die Lehranstalt nach Gießen auf Staatskosten eingezogen werden. Den Niederlassungsort kann sich die H. frei wählen, doch erkennen die einzelnen deutschen Bundesstaaten nicht alle gegenseitig die Prüfungszeugnisse an, können es auch nicht infolge der verschiedenen Ausbildungsanforderungen. Fast überall. ist die Tätigkeit der H. durch Dienstanweisungen geregelt, außerdem gibt es mehrere für die staatlichen Kurse zugrunde gelegte Lehrbücher, nach denen sich die Hebammen zu richten haben. In Sachsen besteht keine freie Niederlassung, sondern eine Art Konzessionssystem; dafür ist Sachsen auch der einzige Bundesstaat, der die Besoldung und Unterstützung der Hebammen gesetzlich geregelt hat; die Hebammen werden dort mit einem garantierten oder festen Gehalt angestellt; sie können zwangsweise pensioniert werden, erhalten aber dann etwa 300 Mk. Ruhegehalt. Die H. kann zeitweilig zwangsweise von der Praxis abgehalten werden, wenn durch sie eine Übertragung von Krankheiten (Kindbettfieber u. a.) droht; ihr Prüfungszeugnis verliert sie nur, wenn aus Tatsachen hervorgeht, daß sie die damals nötigen Kenntnisse und sonstigen Vorbedingungen nicht mehr besitzt (§ 53 der Reichsgewerbeordnung). Der Betrieb einer Privatentbindungsanstalt durch eine H. ist nach § 30 der Gewerbeordnung konzessionspflichtig. Eine Reform des Hebammenwesens ist ein dringendes Bedürfnis;[21] der Bildungsgrad der meisten Hebammen ist für ihren verantwortungsvollen Beruf ein zu niedriger; hochgebildete Frauen dagegen wenden sich diesem Gewerbe, das unter einer gewissen sozialen Mißachtung und unter wirtschaftlichem Druck leidet, einstweilen nur ungern zu. Die Vorbildungszeit wird mit der Zeit auf ein Jahr gesteigert werden müssen, und die stellenweise stattfindenden Wiederholungskurse werden allgemein einzuführen sein. Die Sorge für Pensionierung der Hebammen darf nicht den Gemeinden überlassen bleiben, sondern muß auf Staat oder Provinz genommen, bez. gesetzlich geregelt werden; nur so ist es möglich, alte, verdiente, aber nicht mehr tüchtige Hebammen, wie sie fast in jeder größern Gemeinde zu finden sind, zur rechtzeitigen Niederlegung des Berufs zu veranlassen. Zahlreiche Hebammenvereine bestreben die wirtschaftliche und wissenschaftliche Hebung des Standes. Über Geschichte des Hebammenwesens s. Geburtshilfe. Vgl. E. Dietrich, Das Hebammenwesen in Preußen (Merseb. 1896); Springfeld, Die Rechte und Pflichten der H. (Berl. 1898); Rapmund u. Dietrich, Ärztliche Rechts- und Gesetzkunde (Leipz. 1899); Poten, Hebammenunterricht und Hebammenwesen (Berl. 1895); neuere Hebammenlehrbücher von B. R. Schultze (13. Aufl., Leipz. 1904), Leopold und Zweifel (7. Aufl., das. 1902), Frank (Wien 1900), Vogel (Stuttg. 1901) u. a.; »Hebammen-Lehrbuch«, im Auftrag des preußischen Ministers etc. (Berl. 1904); »Allgemeine deutsche Hebammenzeitung« (hrsg. von Winter, das., seit 1896).