Ibisse

[725] Ibisse (Ibidae), Familie der Watvögel, mittelgroße, kräftig gebaute Vögel mit kleinem Kopf, mittellangem Hals, schlankem, langem, sichelförmig abwärts gekrümmtem, rundem, nur an der Spitze hartem Schnabel, mäßig hohen Füßen, ziemlich langen Zehen, deren drei vordere durch eine kleine Spannhaut vereinigt sind, scharfen Krallen, großen, breiten, zugerundeten Flügeln und kurzem, abgerundetem oder etwas ausgeschnittenem Schwanz. Hierher gehört der Sichler (brauner Ibis, brauner Sichler, Sichelreiher, Storch-, Schwarzschnepfe, Plegadis autumnalis Hasselq., Falcinellus igneus Gray), 60 cm lang, 98 cm breit, mit langem, bogenförmigem Schnabel und längern, den kurzen Schwanz deckenden Flügeln, ist kastanienbraunrot, auf dem Scheitel, Rücken, den Schwung- und Steuerfedern dunkelbraun mit violettem oder grünlichem Schimmer, mit grüngrauem, nacktem Augenkreis und dunkelgrünem Schnabel. Er findet sich in den Mittelmeerländern nördlich bis zu den Donautiefländern und dem südlichen Polen, verfliegt sich bisweilen nach Deutschland, ferner in Südasien, Ost- und Südafrika, auf den Sundainseln, Neuguinea, Australien, Westindien und in den südöstlichen Vereinigten Staaten, lebt gesellig in Brüchern, Morästen oder in deren Nähe und fliegt stets in zu einer langen Linie geordneten Gesellschaften. Er nährt sich von Insekten, Muscheln, Würmern, Fischen, Amphibien etc., nistet in buschreichen Sümpfen, am liebsten in alten Reihernestern, und legt 3–4 blaugrüne Eier; sein Fleisch ist sehr schmackhaft. Der rote Ibis (Ibis rubra Vieill.), 63 ein lang, dem vorigen sehr ähnlich, aber im Gesicht nackt, gleichmäßig lebhaft scharlachrot, mit gelben Augen, fleischrotem, an der Spitze bräunlichem Schnabel und gelbroten Füßen, bewohnt Mittelamerika und das nördliche Südamerika, lebt an Küsten oder Flußmündungen und nistet im Schilf. Die Jungen sind blaßbraun, unten weiß und werden erst nach der zweiten Mauser rot. Der heilige Ibis (1. [Treskiornis] religiosa Gray, s. Tafel »Watvögel IV«, Fig. 3), 75 cm lang, 1,3 m breit, mit am Grund ziemlich dickem, schwarzem Schnabel, nacktem Kopf und Hals, verlängerten, zerschlissenen Schulterfedern und langen, starken, schwarzbraunen Füßen, ist weiß, unter den Flügeln gelblich, mit bläulichschwarzen Schwingenspitzen und Schulterfedern, karminroten Augen, lebt gesellig im südlichen Nubien, im Sudân, erscheint dort mit Beginn der Regenzeit, brütet und verschwindet mit seinen Jungen nach 3–4 Monaten wieder, ohne indes weit fortzuziehen. Er schreitet gemessen, fliegt leicht und schön, baut ein flaches, kunstloses Nest auf dornigen Mimosen und legt 3–4 weiße Eier. Er nährt sich hauptsächlich von Insekten, frißt aber auch Süßwasserweichtiere und kleine Lurche. In der Gefangenschaft hält er sich gut und pflanzt sich auch bei guter Pflege fort. Im Sudân stellt man ihm nicht nach, verzehrt aber gern das Fleisch eines zufällig gefangenen. Früher erschien der Ibis in Ägypten mit dem Steigen des Nils und wurde deshalb heilig gehalten; sein Leib wurde einbalsamiert, und in der Pyramide von Sakkâra fanden sich Tausende von Ibismumien. Der Ibis war das Symbol des Thoth,[725] des Gottes der Weisheit, der mit einem Ibiskopf dargestellt wurde. In seinen Tempeln unterhielt man mehrere I., und in den Straßen der Städte liefen die Vögel ungefährdet umher. Nach Herodot bekämpfte der Ibis Drachen, Schlangen und andres Ungeziefer Ägyptens, und die alten Schriftsteller erzählten die wunderbarsten Dinge vom Ibis. Er galt als Lehrmeister des Menschen in vielen Dingen und sollte nach der Aussage der Priester von Hermopolis unsterblich sein. Älian u. a. bringen ihn mit dem Mond in Verbindung: er soll sich mit der Zahl seiner Eier (4) nach dem Mond richten und sie in so viel Tagen ausbrüten, wie der Mond zur Vollendung seiner Bahn braucht.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 725-726.
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