Amphibĭen

[452] Amphibĭen (Amphibia, griech., »doppellebige Tiere«) oder Lurche, Klasse der Wirbeltiere, die ihren Namen wegen ihres Lebens (als Jugendstadien) im Wasser und (im ausgebildeten Zustand) auf dem Lande führen. Dementsprechend atmen sie in der Jugend durch Kiemen, später durch Lungen, welches Verhalten sie in gewisser Weise den Fischen nähert und sie scharf von den Reptilien trennt. Der Körper ist ziemlich lang gestreckt (Schwanzlurche, Blindwühler) oder gedrungen (Frösche, Kröten). Die Gliedmaßen sind gut entwickelt (Schwanzlurche, Molche) oder fehlen auch ganz (Blindwühler); sie sind nach dem Typus der fünfgliederigen Extremität gebaut, dienen zum Vorwärtsschieben des Körpers, seltener zum Springen, Klettern und Schwimmen (Frösche). Bei letztern schwindet der Schwanz (Anuren), der sonst ein wichtiges Bewegungsorgan der A. wie der Fische darstellt. Die Haut ist nackt, glatt und schlüpfrig (nur die Blindwühler besitzen Schuppen) und voll zahlreicher Drüsen, die Schleim oder ätzende, stark riechende, auf kleinere Tiere giftig wirkende Flüssigkeiten absondern. Ferner liegen in ihr Pigmentzellen (s. Chromatophoren), deren Ausdehnung oder Zusammenziehung einen Farbenwechsel zur Folge hat. Bei einigen Arten ändert die Haut der Männchen zur Zeit der Begattung nicht nur die Farbe, sondern auch die Form, so daß z. B. der Rücken einen Kamm erhält (Hochzeitskleid, s. Tafel »Hochzeitskleider II«, Fig. 8 u. 9). Die Haut wird in regelmäßigen Perioden abgestoßen, und diese Häutung unterbleibt nur bei nicht normalem Zustand unter ungünstigen Lebensbedingungen (z. B. mangelnder Feuchtigkeit). Das Skelett ist meist verknöchert, doch erhalten sich am Schädel viele Reste des ursprünglichen Knorpels. Die Zahl der Wirbel ist gewöhnlich sehr bedeutend (bei den Fröschen nur zehn); die Rippen verbinden sich nicht mit dem stets knorpelig bleibenden Brustbein und fehlen den Fröschen ganz. Brustbein und Becken können gleichfalls fehlen. Das Gehirn bleibt klein. Augen sind stets vorhanden, jedoch manchmal unter der Haut versteckt (Proteus); dagegen fehlen die Lider gänzlich, oder sind aus dem obern und untern Lid oder dem obern und einer sogen. Nickhaut gebildet. Das Gehörorgan ist wenig entwickelt, ein äußeres Ohr fehlt stets. Zwei Nasenöffnungen sind vorhanden, die mit der Mundhöhle in Verbindung stehen. Die bei den Fröschen gut entwickelte und weit herausschlagbare Zunge kann andern A. ganz fehlen; die Zähne dienen weniger zum Kauen als zum Erfassen der Beute, den Kröten fehlen sie. Der Darm pflegt kurz zu sein; bei den teilweise pflanzenfressenden Larven dagegen ist er recht lang. Die Larven atmen zunächst durch 2–3 als gefiederte Hautanhänge hinter dem Kopf erscheinende Kiemen. Diese bestehen zeitlebens neben den Lungen bei den Kiemenlurchen, sonst gehen sie zu Grunde und werden durch die Lungen ersetzt; diese schließen sich als zwei dünnwandige Säcke ziemlich dicht und ohne Bildung einer eigentlichen Luftröhre an die Stimmritze an. Bei einigen Molchen und Salamandern (Spelerpes, Salamandrina, Desmognathus) gehen außer den Kiemen auch die Lungen verloren, und die Atmung erfolgt größtenteils durch die Haut, die auch sonst bei den A. als Respirationsorgan von Bedeutung ist. Entsprechend der verschiedenartigen Ausbildung der Respirationsorgane zeigt sich auch das Gefäßsystem recht different gebaut, bei bloßer Kiemenatmung ähnelt es dem der Fische und kompliziert sich mit dem Auftreten der Lungen, doch hat auch dann das Herz neben zwei Vorkammern für das arterielle und venöse Blut nur eine Herzkammer und enthält also in ihr stets gemischtes Blut. Die Lymphgefäße sind gut entwickelt, wichtig sind die weiten Lymphräume unter der Haut, besonders bei den Fröschen. Die langgestreckten Nieren liegen zu beiten Seiten der Wirbelsäule; die Harnleiter münden in die Kloake, und hier bildet sich eine weite Harnblase. Die Genitalorgane stehen in enger Verbindung mit den Nieren, besonders beim Männchen, bei denen dieselben von den Ausführungsgängen der Hoden durchsetzt werden. Die Eier fallen vom Ovarium in die Bauchhöhle, um hier durch das ostium tubae aufgenommen und ebenfalls der Kloake zugeführt zu werden. Begattungsorgane fehlen fast überall, und so werden die Eier meist gleich beim Austritt aus dem Körper befruchtet. Nur bei den Salamandern findet eine wirkliche Begattung statt, und manche von ihnen gebären lebendige Junge. Werden die Eier abgelegt, so geschieht dies gewöhnlich in Laichform; meist werden sie sich selbst überlassen, indessen kommt auch bei den A. eine Brutpflege vor, indem die Weibchen oder Männchen die Eier behüten oder auch mit sich herumtragen (das Weibchen der Pipa dorsigera auf dem Rücken, ebenso das Männchen von Phyllobates trinitatis; beim Männchen unsrer einheimischen Geburtshelferkröte wird die Laichschnur um die Beine gewickelt). Die Entwickelung geschieht meist mittels Metamorphose durch eine geschwänzte, fast fischähnliche Larve (s. Frösche).

Der Aufenthaltsort der A. ist sehr verschieden, jedoch stets feucht. Die Nahrung ist bei den Erwachsenen animalischer (Insekten, Würmer), bei den Larven vieler Arten vegetabilischer Natur. In den gemäßigten Zonen verfallen die A. gewöhnlich während der Kälte in einen Winterschlaf; überhaupt sind sie sehr widerstandsfähig, auch gegen Verletzung einzelner Körperteile, die bei Verlust ersetzt werden können. Man kennt etwa 700 Arten, davon 100 fossile, von denen die älteste Form im Oberdevon Pennsylvaniens gefunden wurde. In der Steinkohlenformation treten[452] zahlreiche Stegokephalen auf. Tertiär sind Tritonen, Salamander, Frösche und Kröten; bemerkenswert ist hier der Andrias Scheuchzeri (s. d.). Man teilt sie gewöhnlich in vier Ordnungen:


1) Die fossilen Stegokephalen (s. d.).

2) Schleichenlurche (Blindwühler, Ringelwühler, Gymnophiona, Apoda, Coecilia), mit Schuppen, ohne Gliedmaßen, schlangenähnlich, stets in der Erde: Coecilia.

3) Schwanzlurche (Urodela, Caudata), zeitlebens mit Schwanz und meist auch mit vier kurzen Beinen:

a) Perennibranchiaten, dauernd mit 2–3 Paar Kiemenspalten und 3 äußern Kiemenbüscheln: Siren, Proteus.

b) Derotremen, die Kiemen schwinden, es erhält sich aber eine Kiemenspalte: Cryptobranchus, Amphiuma.

c) Molche (Salamandrinen), nach Verlust der Kiemen schließen sich die Kiemenspalten: Triton, Salamandra.

4) Frösche (Batrachia) oder schwanzlose Lurche (Anura), s. Frösche.


Geographische Verbreitung (s. Karte bei Art. »Reptilien«). Die weiteste Verbreitung besitzen die Froschlurche, die fast universell sind, doch haben nur die Familien der eigentlichen Frösche und der Polypedatidae die annähernd gleiche kosmopolitische Verbreitung der ganzen Gruppe. Die Mehrzahl gehört den wärmern Gegenden an. Die Unken sind neotropisch und paläarktisch. Die Laubfrösche gehören sämtlichen Subregionen der neotropischen und nearktischen Region an, außerdem der paläarktischen Region mit Ausnahme Japans, ferner der indochinesischen Subregion, der austromalaiischen Subregion und dem australischen Festland. Fast universell sind die Kröten. Von der Unterordnung der Froschlurche (Aglossa) ist die eine Gattung, Dactylethra, auf die äthiopische Region in Afrika beschränkt, die andre, die Wabenkröte Pipa, findet sich in Guayana und Brasilien. Von den Schwanzlurchen sind die Molche charakteristisch für die nördlichen gemäßigten Regionen; sie fehlen völlig der äthiopischen und australischen Region und finden sich in der orientalischen und in der indochinesischen Subregion; auf der westlichen Halbkugel sind die Molche charakteristisch für Nordamerika. Die Fischlurche haben eine sehr versprengte Verbreitung. Japan und Nordwestchina ist eigen der Riesensalamander, in den Flüssen Pennsylvaniens und Virginias lebt die Gattung Menopoma, in den südlichen Vereinigten Staaten die Gattung Amphiuma, im Schlamm der Sümpfe von Carolina die Gattung Siren, endlich die Gattung Proteus in den Höhlengewässern Dalmatiens und Krains. Die Schleichenlurche finden sich vereinzelt in der orientalischen, äthiopischen und neotropischen Region; auf Ceylon die Fühlerwühle (Ichthyophys), in Brasilien, Mexiko, aber auch in Westafrika die Lochwühle (Siphonops). Vgl. Lacépède, Histoire naturelle des Quadrupèdes ovipares et des Serpents (Par. 1788–89, 2 Bde.); Schneider, Historia amphibiorum naturalis et literaria (Jena 1799–1801, 2 Tle.); Duméril und Bibron, Erpétologie générale (Par. 1834–54, 9 Bde.); Schreiber, Herpetologia europaea (Braunschw. 1875); Knauer, Naturgeschichte der Lurche (Wien 1878); Cope, The Batrachia of North America (Washingt. 1889); populär. Lachmann, Die Reptilien und A. Deutschlands (Berl. 1890); Dürigen, Deutschlands A. und Reptilien (Magdeb. 1897).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 452-453.
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