Sudân

[175] Sudân (Beled es S., »Land der Schwarzen«, Nigritien), der Teil des Binnenlandes von Nordafrika (s. Karten »Ägypten« und »Guinea«), der vom 5.° nördl. Br. im W. bis zum 14.°, im O. bis zum 22.° nördl. Br. reicht, zwischen Sahara, Libyscher und Nubischer Wüste (N.), den innern Bergländern Senegambiens und Guineas (W. und S.), der Nil-Kongo-Wasserscheide (S.) und Abessinien, Erythräa und Rotem Meer (O.). Bei über 5 Mill. qkm Fläche kann man das Gebiet in drei Teile: West-S. (ca. 11/2 Mill. qkm; Senegal- und Nigerländer), Mittlerer S. (die ehemaligen [175] Reiche Bornu, Adamaua, Bagirmi, Wadai; 1,5 Mill. qkm) und Ost-S. (Ägyptischer S.; über 2 Mill. qkm), oder in zwei Teile zerlegen: Hochsudân (W.) und Flachsudân (O.), getrennt etwa durch die Tsadsee-Schari-Linie, die in noch etwa 200 m Meereshöhe liegt. Der Name S. ist jetzt auf den östlichen Teil (ägyptischer S.) beschränkt. Doch kann man in Anbetracht der verhältnismäßig gleichmäßig zusammengesetzten Bevölkerung (s. unten) und der Einheitlichkeit des innern Baues das oben umschriebene Gebiet als S. weiter bezeichnen. Der Untergrund besteht aus einem Granitgebirge, das in zahlreichen Kuppen an die Oberfläche tritt, und über das Sedimentärbildungen, Sand- und Kalkstein, Diluvium- und Alluvium-Laterit gelagert sind. Das im allgemeinen hügelige (durchschnittlich 400–570 m), im W. sogar ganz ebene Land hat aber auch einige bedeutende Erhebungen, so in Dar Für (Dschebel Marrah 1830 m), in Adamaua (Gendereberge 3000, Atlantika 2700, Mendif 2000 m). Hydrographisch gehört der S. dem Gebiete des Niger und Binuë mit deren Zuflüssen, dem Tsadsee mit dem Schari und dem Nilgebiet an. Man kennt zwei Jahreszeiten: eine trockene, sehr heiße (November bis Mai) und eine Regenzeit (Juni bis Oktober), in der das Thermometer manchmal bis 0° fällt, die Flußniederungen aber zu Fieber hauchenden Sümpfen werden. Im O. herrscht Steppencharakter, sonst ist tropische Vegetation. Zu den einheimischen Kulturpflanzen (Reis, Durra, Yams, Bohnen, Erbsen) sind Bananen, Erdnuß, Weizen, Mais, Zwiebeln, Indigo, Baumwolle etc. eingeführt worden. Die Tierwelt ist durch alle afrikanischen Arten vertreten; Haustiere sind Buckelrinder, Schafe, Ziegen, Pferde, Esel, Kamele, Hühner und Tauben. An Mineralschätzen kommen Eisen- und Kupfererze häufig vor neben Gold, Blei, Zinn, Salpeter, Schwefel; Salz fehlt gänzlich und wird in großen Mengen aus der Sahara eingeführt. Die Bevölkerung (60–70 Mill.) gehört hauptsächlich einheimischen Negerstämmen an, zwischen denen sich als Herren über jene festgesetzt haben: Fulbe von W., Tuareg von N. und Araber von O. kommend, zugleich den Islam unter den überwiegend heidnischen Volksmassen verbreitend. Araber herrschen in Wadai und Dar Für, mohammedanische Mischvölker (Kanuri u. a.) in Bornu, Bagirmi und in den westlichen Fulbestaaten. Roh betriebener Ackerbau (der Pflug ist nur im nördlichen Dar Für bekannt) bildet die feste Grundlage der nicht unbedeutenden Kultur des Sudâns. Feldarbeit besorgen fast durchweg Frauen, ebenso Spinnen, Weben der Baumwolle und Färberei. Der Westsudân erzeugt die in der Sahara und Marokko begehrten seidenen und halbseidenen Gewebe (Sudânstoffe). Der Handel ist bei der Bedürfnislosigkeit des Volkes gering. Eingeführt werden Salz aus Bilma (Sahara), Dar Für und Borku nach den westlichen Gebieten, europäische Fabrikate, farbiges Leder und Tabak aus Marokko, Kaurimuscheln aus Indien; ausgeführt Baumwolle, Elfenbein, Straußfedern, Gummi, Senna, Rhinozeroshörner, Tamarinden, Sudânstoffe sowie Sklaven. Handelsstraßen (vgl. auch Sahara und Nil) ziehen zum Niger-Binuëgebiet von Sokoto, Wurno und Kuka, von Salaga über Wagadugu, von Sokoto nach Timbuktu, das neben Kano, Kuka und Kong einer der wichtigsten Märkte des Sudâns ist. Als Geld gilt der Mariatheresientaler, im W. vornehmlich die Kaurimuschel, im O. Salzstangen, Baumwollstreifen, Eisenplatten, auch Goldstaub. Politisch gilt der Name S. nur für den Osten, d. h. den Ägyptischen S., südlich des 22.° nördl. Br. und nördlich der Nil-Kongo-Wasserscheide, begrenzt im W. von französischem Gebiet (Vertrag von 1899), im O. vom Roten Meer, Erythräa und Abessinien. Bei 2,035,000 qkm Fläche und einer Bevölkerung von 2, höchstens 4 Mill. Einw. (vor dem Mahdistenaufstand [s. Geschichte] 11 Mill.) ist dieser in 8 Provinzen (Mudirieh): Dongola, Berber, Khartum, Gesireh, Sennar, Kassala, Kordofan, Bahr el Gazal, und 3 Gouvernements (Mohafsa): Wadi Halfa, Suakin (nicht die Stadt), Ober-Nil (früher Faschoda), eingeteilt und steht unter englisch-ägyptischem Kondominium (seit 1899), umschließt also von früher einheimischen Staaten Kordofan und Dar Fur. An der Spitze der Provinzen stehen britische Offiziere des ägyptischen Heeres, an der der Distrikte ägyptische Offiziere. in Dar Für noch ein einheimischer Scheich. Die Einnahmen betrugen 1904: 469,122, die Ausgaben 848,855 ägyptische Pfd. Sterl. (für 1906 auf 621,943, bez. 1,001,706 geschätzt); Eisenbahn und Telegraph gehen von Chartum nach Kairo und von Berber nach Suakin, Telegraph 1903 nach Taufikia (Obernil), eine Eisenbahn von Kassala zum Roten Meer nach Suakin ist im Bau. Den ganzen westlichen Teil kann man als Französisch-Westafrika bezeichnen, das mit Französisch-Kongo im Süden unmittelbar zusammenhängt. Nur von den Küstengebieten sind einige Teile in andern Händen: es besitzen die Deutschen Kamerun und Togoland, die Engländer Nigeria, Goldküste, Sierra Leone und Gambia; sonst ist alles Land, abgesehen von Liberia u. Portugiesisch-Guinea, in die französische Interessensphäre einbezogen (s. Geschichte). Das ungeheure französische Gebiet umfaßt 1) die Küstengebiete Dahomé, Elfenbeinküste, Französisch-Guinea und Senegal, 2) das Hinterland dieser letztgenannten Kolonie: Senegambien, 3) die drei, 1899/1900 errichteten Militärterritorien. Von diesen umfaßt nach der Neuorganisation vom Jahre 1904 das erste, mit der Hauptstadt Timbuktu, die Gebiete Timbuktu, Goundam, Raz-el-Mâ, Bamba und Gao; das zweite, mit der Hauptstadt Niamey (Niamé), Djerma, Dounzon und Dori; das dritte, mit der Hauptstadt Sinder (Zinder), Tahoua, Zinder und Gouré. Mit dieser Aufteilung unter die Europäer sind die alten Reiche Ghana, Melle, Sonrhay, Adamaua, Gando, Bornu, Kanem, Sokoto, Bagirmi, Massina, Wadai, Dar Für, Kordofan von der Karte Afrikas als selbständige Gebilde verschwunden. Vgl. über die in der politischen Übersicht genannten Staaten die Einzelartikel.

Geschichte. Der ägyptische S., der außer Dar Für, Kordofan und Senaar auch den Süden bis zu den großen Nilseen und der Nordgrenze des Kongostaates umfaßte. wurde 1874 von den Ägyptern erobert, die aus dem südlichsten Teile die Provinzen Bahr el Gazal und Äquatoria (s. d.) bildeten. Doch ging dieser ganze Besitz seit 1881 durch den Aufstand des Mahdi (s. d.) verloren; durch die Niederlage der ägyptischen Truppen unter Hicks Pascha 3. Nov. 1883 bei Kaschgil und unter Baker Pascha 4. Febr. 1884 bei dem Brunnen El Teb durch Osman Digna (s. d.) fielen die von ägyptischen Garnisonen besetzten Plätze Kassala, Sinkat und Tokar und 26. Jan. 1885 auch Chartum, in dem die Mahdisten den im Januar 1884 von England als Generalgouverneur von S. abgesandten Gordon eingeschlossen hatten. Zwar wurde Osman Digna durch General Graham 29. Febr. 1884 bei El Teb und 13. März bei Tamanieb am Roten Meere geschlagen; doch vermochte Graham nicht weiter vorzudringen, und Lord Wolseley, der mit 16,000[176] Mann Gordon entsetzen sollte, kam zu spät. Nur Koscheh und Wadi Halfa blieben besetzt. Suakin war durch Osman Digna eng eingeschlossen. Der Mahdi Mohammed Ahmed war bereits 22. Juni 1885 in Omdurman (gegenüber Chartum) gestorben, Abdullahi el-Teischi (s. d.) sein Nachfolger geworden. Dessen Feldherr Mohammed-el-Kheir wurde zwar 20. Dez. 1885 bei Koscheh durch die Engländer geschlagen; aber Abdullahi blieb im Besitz von Dongola und Nubien. Auch die Äquatorialprovinz, von Emin Pascha verwaltet, fiel bald in die Hand der Mahdisten, 1889 sogar Wadelai, als Emin 1889 durch Stanley bewogen wurde, seinen verlornen Posten aufzugeben. Schon 1886 hatten die Mahdisten Gallabat erobert. Im November 1887 siegte der Emir Abu Angar bei Debra Din, Gondar wurde zerstört, und 9. März 1889 fiel Negus Johannes bei Metemmeh.

Im August 1889 aber wurden die Mahdisten von den Engländern bei dem nubischen Dorf Toski entscheidend geschlagen, 10. Febr. 1891 Osman Digna bei Suakin und 21. Dez. 1893 eine dritte mahdistische Truppe bei dem Fort Agordat; durch die Besetzung von Kassala sperrte Baratieri die italienische Kolonie Erythräa vom Roten Meer ab. Die Mahdisten erlitten von 1896 an durch die angloägyptische Armee unter Kitchener Pascha wiederholt blutige Niederlagen (unter andern 2. Sept. 1898 bei Omdurman). Nachdem der ägyptische S. im Januar 1899 durch einen Vertrag unter englische Schutzherrschaft gestellt worden war, wurde die Westgrenze nach Abwehr des Marchandschen Vorstoßes bei Faschoda durch Verständigung mit Frankreich festgestellt. Abdullahi wurde 24. Nov. 1899 von Oberst Wingate bei Om Debrikat geschlagen und fiel. Mit Osman Dignas Gefangennahme war der S. unterworfen. Nach Abberufung Kitcheners wurde Wingate als »Sirdar« Generalgouverneur des Sudâns. Die zivile Reorganisation des ägyptischen S., in der Hauptsache das Verdienst Earl Cromers (s. d.), der, bis 1883 britischer Generalkonsul in Ägypten, bis Anfang 1907 die Verwaltung tatsächlich leitete, verschlang zwar ungeheure Summen (Eisenbahnbauten Berber-Suakin u. a., Nilkorrektion, namentlich bei Assuan, etc.), war aber schließlich von unbestritten großen kulturellen Erfolgen begleitet. Ein neuer Mahdi, Mohammed-el-Amin, wurde im Oktober 1903 durch Oberst Mahon unschädlich gemacht, ein andrer in Uad Medani am Blauen Nil im August 1904 durch Seki Effendi erschossen. Im Juni 1906 führte eine gefährliche islamische Gärung in Denschawi zu Angriffen von Fellahin auf englische Offiziere und zu harten Bestrafungen. Unterm 25. Juli wurden die bisherigen ägyptischen Gouverneure durch Engländer ersetzt. Die seit Ende 1900 strittige Frage der englischen Besitzergreifung des Bahr el Gazal (s. Kongostaat, S. 373) wurde im April 1906 vorläufig dahin geregelt, daß der Kongostaat seine Posten nördlich von der Wasserscheide Nil-Kongo zurückzog, die strittigen Gebiete durch sudanesische Beamte verwaltet werden und dafür die Nilsperre für belgische Waren aufgehoben wurde. Vgl. Nachtigal, Sahara und S. (Berl. u. Leipz. 1879–89, 2 Bde.); Paulitschke, Die Sudânländer (Freiburg 1884); Wingate, Mahdism and the Egyptian S. (Lond. 1891); Russell und Gattie, Ruin of the Soudan, 1883–1891 (das. 1892); Slatin Pascha, Feuer und Schwert in S. (11. Aufl., Leipz. 1906); »Sudan Compaign, 1896–1898, by an officer« (Lond. 1899); Neufeld, In Ketten des Chalifen (Berl. 1899); Cuzzi, 15 Jahre Gefangener des falschen Propheten (deutsch, Leipz. 1900); Graf Gleichen, Handbook of the S. (Lond. 1898); Churchill, The river war, historical account of reconquest of the S. (2. Aufl., das. 1902); Schönfeld, Erythräa und der ägyptische S. (Berl. 1904); Cocheris, Situation internationale de l'Egypte et du Soudan (Par. 1903, mit Karten); Peel, The binding of the Nile and the New S. (Lond. 1904); »The Anglo-Egyptian S.« (das. 1905, 2 Bde.); Ward, Our S., its pyramids and progress (Lond. 1905); Giffen, The Egyptian S. (das. 1906); Budge, »The Egyptian S. in history and monuments« (das. 1907, 2 Bde.); Kumm, The S., short compendium (das. 1907); M. v. Oppenheim, Rabbeh und das Tschadseegebiet (Berl. 1902); P. C. Meyer, Erforschungsgeschichte und Staatenbildungen des Westsudân (Ergänzungsheft 121 zu »Petermanns Mitteilungen«, Gotha 1897); Gatelet, Histoire de la conquête du S. français (Par. 1901); D'Ollone, De la Côte d'Ivoire an Soudan et à la Guinée (2. Aufl., das. 1901); Foureau, Mission Saharienne Foureau-Lamy. D'Alger an Congo par le Tchad (das. 1902); Lenfant, La grande route du Tchad (das. 1905). Vgl. außerdem die Literatur bei den einzelnen Ländern.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 175-177.
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