Knosos

[191] Knosos (lat. Gnossus), die größte Stadt der Insel Kreta, berühmt als Residenz des Minos, der eine Zeitlang über die ganze Insel und das Ägäische Meer geherrscht hat, im 3. Jahrh. v. Chr. mit Gortyn zusammen Herrin der Insel, später unter den Römern Kolonie, lag in der Mitte der Nordküste, 5 km vom Meer entfernt, und hatte zum Hafen in älterer Zeit Amnisos, dann Herakleon oder Mation (heute Kandia oder Herakleion). Ihre dorischen Bewohner zeigten in der Nähe am Ida die Stelle der Geburt des Zeus, seiner Hochzeit mit Hera und seines Grabes, die ältere Bevölkerung, eine vorhellenische, in Griechenland die mykenische genannt, feierte den Himmelsgott, dessen Symbol das Doppelbeil, die Labrys, war, in der diktäischen Höhle am Lasithi-Gebirge (s. Dikte), in der die Ausgrabungen Halbherrs, Evans' und Hogarths in den Jahren 1896–99 aus der über 2 m tiefen Aschenschicht um den dort entdeckten Altar Reste einer über ein Jahrtausend währenden, vor der dorischen Einwanderung liegenden Verehrung zutage gefördert hat. In dieser ältern Zeit, deren Blüte in das 15. vorchristliche Jahrhundert zu setzen ist, sind auf einer noch ältern Schicht, für die einfache Tonnäpfchen (die sogen. Kamaresware) charakteristisch sind, auch die Paläste in K. und in Phaistos (s. d.) erbaut worden, von denen in dem letzten Jahrzehnt stattliche Reste, hier von dem Engländer A. Evans, dort von einer italienischen Expedition unter der Leitung Halbherrs, entdeckt worden sind; sie ergänzen sich gegenseitig und geben ein anschauliches Bild von der Großartigkeit, bis zu der sich in dem 2. vorchristlichen Jahrtausend die kretisch-mykenische Kultur entwickelt hatte. Beide Bauten, nicht auf einmal, sondern von mehreren Generationen errichtet, waren wenigstens dreistöckige Anlagen, die sich an einen allmählich ansteigenden Hügel von mäßiger Höhe anlehnten und zahlreiche Korridore, Treppen und Zimmer (in K. mehr als 120) in einer klaren, um Höfe gruppierten Anordnung umschlossen. Die Ausdehnung des Palastes von K. übertraf den von Tiryns um das Vierfache, das Material war in der Nähe gebrochener Kalkstein, zum Teil Bruchsteine, die verputzt und geglättet waren, zum Teil Quader. Schächte verbreiteten das Licht durch alle Räume des Palastes, in dem für jede Bequemlichkeit, schon durch Klosetts mit Wasserspülung gesorgt war. Der Prachtraum ist der Thronsaal oder vielmehr das Thronzimmer, 6 m lang, 4 m breit, 2 m hoch mit einem in die Wand eingelassenen Sessel und Bänken an der Wand; von der Verpflegung gewähren uns die Hunderte von über mannshohen Pithoi (Krügen) in den teilweise auch noch unterkellerten Magazinen eine Vorstellung. Die Kunst hat sich besonders in der Metalltechnik und in der Malerei entwickelt; in bunten Farben führt diese uns [191] Kunstreiter und Kunstreiterinnen auf Stieren vor, Prozessionen mit lebensgroßen Figuren, Tänzerinnen, auch vereinzelt Landschaftliches. Die Schriftzeichen sind noch nicht entziffert. Für die Religion hat hervorragende Wichtigkeit die in dem Palast entdeckte Hauskapelle mit den Symbolen des stierköpfigen Gottes und der Ariagen, der »Hochheiligen« von K. Der Name dieses Heiligtums (Labyrinthos, von labrys, Doppelbeil) hat sich später auf das ganze Gebäude und von da auf jede ausgedehnte Palastanlage übertragen; als sein Gründer aber galt der Überlieferung König Minos, der Repräsentant dieses Kulturkreises, und als sein Bewohner der von der Vorliebe der Kreter für Mischgestalten geschaffene Minotauros. Der alte Palast ging in Flammen auf, als die Dorer unter Tektamos die Insel eroberten und in Besitz nahmen. Vgl. A. J. Evans, The Palace of K. (»Annual of the British School at Athens VII., 1900–1901«); K. Tittel, Der Palast zu K. (in den »Neuen Jahrbüchern für das klassische Altertum etc.«, Bd. 11, 1903).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 191-192.
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