Mandäer

[206] Mandäer, eine heidnisch-christliche, in ihren Anfängen vorläufig nicht bestimmbare Sekte des Euphrat- und Tigrisgebiets, entstanden etwa in der Gegend von Upî, später in den heißen Sumpfdistrikten des untern Babylonien (im Gebiet von Wâsit und Basra) und des benachbarten Chusistan. Von jeher nicht sehr zahlreich, zählen sie jetzt keine 2000 Köpfe mehr. Sie nennen sich selbst Mandâjê, »Mandäer« (nach Mandâ d'Chaijê, ihrem Erlöser und einem der Äonen ihrer sehr reich entwickelten religiösen Mythologie), daneben auch Nâßôrâjê, »Nazarener«, »Christen«; die Namen »Johanneschriften« und »Sabier« oder »Zabier«, die man ihnen (den erstern seit der Schrift des Karmelitermissionars Ignatius a Jesu: »Narratio originis rituum et errorum Christianorum S. Joannis«, Rom 1652) oft in Europa beilegt, sind unpassend. Die M. bedienen sich heutzutage wohl durchweg der arabischen Sprache, ihre heiligen Schriften aber sind in einem eigentümlichen, dem Babylonisch-Talmudischen und Syrischen am nächsten stehenden ostaramäischen Dialekt verfaßt, den Nöldeke (»Über die Mundart der M.«, Götting. 1862, und »Mandäische Grammatik«, Halle 1875) meisterlich bearbeitet hat, und der für die semitische Sprachforschung besonders deshalb interessant ist, weil er vom Hebräischen kaum berührt ist. Die ältesten und wichtigsten dieser Religionsschriften (niedergeschrieben teilweise schon unter den Sasaniden, redigiert aber erst im 7. u. 8. christl. Jahrh.) sind: das »Ginzâ« (»Der Schatz«), oder »Sidrâ Rabbâ« (»Das große Buch«), grundlos oft »Liber Adami« genannt (sehr schlecht hrsg. von Norberg, Lund 1815–16, 3 Bde.; weit besser von Petermann: »Thesaurus sive Liber magnus«, Berl. u. Leipz. 1867, 2 Bde.); »Sidrâ d'Jahjâ« (»Buch des Johannes«, hrsg. von Lidzbarski, Gießen 1905); die Lieder und Formeln in der sogen. »Qolâstâ« (»Reinheit«, hrsg. von Euting: »Q. oder Gesänge und Lehren von der Taufe und dem Ausgang der Seele«, Stuttg. 1867), und im »Hochzeitsformular«. Bedeutend jünger und daher in religiöser wie sprachlicher Hinsicht weniger wertvoll sind die Gebrauchsanweisungen in der »Qolâstâ« und im »Hochzeitsformular«, der »Dîwân« (eine Art mandäisches Totenbuch, hrsg. von J. Euting, nach photographischen Aufnahmen von P. Pörtner, Straßb. 1904) und das »Asfar Malwâschê« (»Buch des Tierkreises«) etc. Jünger als der eigentliche Text der rituellen Schriften sind auch die Inschriften uns erhaltener mandäischer Zauberschalen (vgl. H. Pognon, [206] Inscriptions mandaïtes des coupes de Khouabir, Par. 1898–99, Teil 1–3). Eine genaue Darstellung des Mandaismus ist bei den Schwierigkeiten, die seine heiligen Texte dem Verständnis bieten, bei dem Mangel einer exegetischen Tradition unter den Mandäern und älterer Nachrichten über sie und bei dem jugendlichen Alter der uns erhaltenen mandäischen Dokumente (die ältesten Handschriften stammen aus dem 16. Jahrh.) zurzeit unmöglich. Soweit wir ihn kennen, stellt er sich als Reflex verschiedener alter großer Religionssysteme dar, dessen Grundelement vielleicht in religiösen Vorstellungen des babylonischen Heidentums liegt. Er ist verwandt mit dem Manichäismus und anderseits mit der Lehre der Elkesaïten, aber doch von beiden wesentlich verschieden. Neben jüdischen und christlichen Lehren und Bräuchen zeigt er Einflüsse der persischen Lichtreligion. Obschon Gnostiker und namentlich in ihrer Äonenlehre mit der ophitischen Gnosis verwandt, sind die M. doch von den christlichen Gnostikern streng zu trennen. Denn der christliche Gnostiker geht von der Voraussetzung aus, der Mensch sei gefallen und bedürfe der Erlösung von der Sünde und ihren Folgen, während der M. des Glaubens lebt, der Mensch sei von Anfang an über seine Zugehörigkeit zur Lichtwelt klar, aber, weil die Seele von dem Leibe gefangen gehalten wird, durch letztern den Anschlägen des Bösen ausgesetzt. Die Erlösung ist dem M. daher mit dem Tode identisch, durch den der Mensch in die Ätherwelt gelangt, wo ihm die Anschauung des »großen Geistes« zuteil wird. Darum ist ihm auch die Totenklage verboten. Trotzdem sich die M., wie bemerkt, selbst »Christen« nennen, polemisieren sie leidenschaftlich gegen die christliche Kirche und erklären Jesus für ein böses Wesen und den Heiligen Geist, den sie nach alter juden-christlicher Vorstellung für seine Mutter halten, für eine Teufelin. Geradezu fanatisch ist ihr Haß gegen das Judentum. Hier macht sich, möglicherweise neben sozialpolitischen Motiven, der tiefe innere Gegensatz in der Lebensauffassung beider geltend: das Judentum sucht das Glück auf Erden; der M. dagegen kennt kein andres Glück als im Jenseits und verharrt bei den frommen Vorschriften nur zu dem Zwecke, dieses künftigen Glückes einst teilhaftig zu werden. In der Sittenlehre der M. sind die zehn Gebote von Einfluß. Stets wiederholte Taufe ist ihnen Bedingung der Erlösung. Priester gibt es in drei verschiedenen Graden. Die besten Nachrichten über die heutigen M. besitzen wir von H. Petermann (»Reisen im Orient«, Bd. 2, Leipz. 1861). Vgl. Chwolsohn, Die Sabier und der Sabismus (Petersb. 1856, 2 Bde.); Sioussi, Études sur la religion des Soubbas ou Sabéens (Par. 1880); Brandt, Die mandäische Religion (Leipz. 1889) und Mandäische Schriften, übersetzt und erläutert (Götting. 1893); auch Nöldeke, Anzeige von Petermanns »Thesaurus« und Eutings »Qolâstâ« (in den »Göttingischen gelehrten Anzeigen«, 1869, I, S. 481 ff.) sowie de Lagarde (ebenda 1890, II, S. 385 ff.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 206-207.
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