[764] Michelet (spr. mīsch'lä), 1) Jules, franz. Geschichtschreiber und Philosoph, geb. 21. Aug. 1798 in Paris, gest. 9. Febr. 1874 in Hyères, ward schon 1821 Professor der Geschichte am Collège Rollin. 1826 erschien seine erste schriftstellerische Arbeit, das »Tableau chronologique de l'histoire moderne«. Die Julirevolution verschaffte ihm die Stelle eines Vorstehers der historischen Sektion im Reichsarchiv. Gleichzeitig berief ihn Guizot als seinen Substituten an die Sorbonne,[764] und Ludwig Philipp ernannte ihn zum Geschichtslehrer der Prinzessin Klementine. Es folgte nun eine Reihe historischer Arbeiten: »Histoire romaine: République« (Par. 1831, 2 Bde.; 5. Aufl. 1876); »Précis de l'histoire de France, jusqu'à la Révolution française« (das. 1833, 4. Aufl. 1841); »Précis de l'histoire moderne« (das. 1828 u. öfter); »Histoire de France« (jusqu'an XVI. siècle, 6 Bde.; au XVI. siècle, 4 Bde.; an XVII. siècle, 4 Bde.; an XVIII. siècle. 3 Bde.; zusammen, das. 1833 bis 1866, 18 Bde.; neue Aufl. 1879, 19 Bde.); »Mémoires de Luther« (1845, 2 Bde., mit vielen schiefen Urteilen); »Origines du droit français cherchées dans les symboles et formules du droit universel« (1837); »Des Jésuites« (mit E. Quinet, 1843; deutsch, Basel 1843); »Le prêtre, la femme et la famille« (1815) und »Le peuple« (1846), beide auch deutsch. 1838 ward M. in die Akademie aufgeommen und gleichzeitig zum Professor der Geschichte am Collège de France ernannt. Wegen seiner fortgesetzten demokratischen Propaganda vom Lehrstuhl aus wurde er 1850 seiner Professur und, da er die Ablegung des Eides auf die Verfassung vom 14. Jan. 1852 verweigerte, im Juni d. J. auch seiner Stelle als Chef der historischen Sektion in den Archiven enthoben. Er lebte darauf in der Bretagne, mit der Ausarbeitung seiner größern Werke, namentlich seiner »Histoire de France« und der berühmten »Histoire de la Révolution française« (Par. 184753, 7 Bde.; 1879, 9 Bde.), beschäftigt. Auch einige oft ausgelegte poetisch naturgeschichtliche Arbeiten lieferte er noch: »L'oiseau« (1856; deutsch, 4. Aufl., Berl. 1869); »L'insecte« (1857; deutsch, Braunschw. 1858); »L'amour« (1858; deutsch von Spielhagen, 5. Aufl., Leipz. 1889); »La femme« (1859; deutsch von demselben, 2. Aufl., das. 1875), eine Philosophie der Liebe und Ehe; »La mer« (1861; deutsch von demselben, das. 1861); »La sorcière« (1862; deutsch, das. 1863). Unter dem Eindruck der Ereignisse von 1870/71 schrieb er »La France devant l'Europe« (Flor. 1871). Seine »Histoire du XIX. siécle« blieb unvollendet (Bd. 13, bis 1815 reichend, Par. 187275). Im Gegensatz zu dem pragmatischen Standpunkt, auf dem die Geschichtschreibung Guizots und Mignets steht, hat M. eine halb philosophische, halb poetische, aber immer tendenziöse und effekthaschende Darstellungsweise. Wenige Schriftsteller sind soviel gelesen worden wie M. Sein Leichenbegängnis gestaltete sich daher auch zu einer Demonstration des republikanischen Frankreich gegen alle Reaktionsgelüste. Am 12. und 13. Aug. 1898 wurde ihm eine große Hundertjahrfeier in Paris veranstaltet. Seine »Œuvres complètes« erschienen 189399 in 40 Bänden, dann 18971903 in 47 Bänden. Nach seinem Tod erschienen von ihm, herausgegeben von seiner zweiten Frau, seiner treuen Mitarbeiterin: »Ma jeunesse« (1884) mit der Fortsetzung »Mon journal 18201823« (1888, neue Ausg. 1904). Vgl. die Schriften von Gabriel Monod. Jules M. (Par. 1876), Les maîtres de l'histoire. Renan, Taine, M. (1894) und Jules M., études sur sa vie et ses œuvres (1905); Noël, Jules M. et ses enfants (1878); Corréard, M., sa vie, etc. (1886); J. Simon, Mignet, M., Henri Martin (1889); Madame Quinet, Cinquante aus d'amitié, Michelet, Quinet, 18251875 (Par. 1899).
2) Karl Ludwig, Philosoph der Hegelschen Schule, geb. 4. Dez. 1801 in Berlin, gest. daselbst 16. Dez. 1893, widmete sich philologischen und philosophischen Studien, habilitierte sich 1826 an der Berliner Universität und ward 1829 zum außerordentlichen Professor der Philosophie ernannt. Einer der ergebensten Schüler Hegels, hat er sich nach dessen Tod als Vertreter der Linken seiner Schule durch seinen vorgeschrittenen, an Radikalismus streifenden politischen und kirchlichen Liberalismus bekannt gemacht. Von seinen Werken sind hervorzuheben: »Die Ethik des Aristoteles in ihrem Verhältnis zum System der Moral« (Berl. 1827); »Das System der philosophischen Moral« (das. 1828); eine Ausgabe der »Nikomachischen Ethik« des Aristoteles (das. 182935, 2 Bde.; 2. Aufl. 1848); das von der Pariser Akademie der moralischen und politischen Wissenschaften 1835 gekrönte »Examen critique de l'ouvrage d'Aristote, intitulé Métaphysique« (Par. 1836); »Geschichte der letzten Systeme der Philosophie in Deutschland von Kant bis Hegel« (Berl. 183738, 2 Bde.); »Entwickelungsgeschichte der neuesten deutschen Philosophie« (das. 1843); »Anthropologie und Psychologie« (das. 1840), in einer von der Hegelschen Darstellung vielfach abweichenden Bearbeitung; »Geschichte der Menschheit in ihrem Entwickelungsgang seit 1775« (das. 185560, 2 Bde.); »Das System der Philosophie als exakter Wissenschaft« (das. 187681, 4 Tle.). Von 183242 nahm er an der Herausgabe der Werke Hegels teil. 1845 stiftete er mit dem Grafen Cieszkowski eine philosophische Gesellschaft in Berlin, deren Zeitschrift »Der Gedanke« (Berl. 186073, 8 Bde.) er herausgab. Vgl. die selbstbiographische Schrift Michelets: »Wahrheit aus meinem Leben« (Berl. 1884).