Nervenschmerz

[528] Nervenschmerz (Neuralgie, Algie) im Gegensatz zu Schmerzen überhaupt, die ja alle durch Nerven vermittelt werden, eine solche Schmerzhaftigkeit, bei der anatomische Veränderungen oder nachweisbare Erkrankungen am Nerv nicht vorhanden sind. Am häufigsten werden vom N. die Empfindungsnerven des Gesichts befallen (s. Gesichtsschmerz), nächstdem die Beinnerven (s. Hüftweh), aber auch an allen übrigen Empfindungsnerven wird zuweilen N. beobachtet. Unter den Ursachen der eigentlichen Neuralgie ist Erkältung sehr häufig, in andern Fällen entsteht der N. durch Wirkung bakterieller Gifte bei Infektionskrankheiten, ferner infolge von Vergiftungen durch Quecksilber, Blei, Kupfer. Auch die abnormen Stoffwechselprodukte bei Zuckerharnruhr, Gicht können N. verursachen, oft ist die Entstehung unbekannt. Bei den meisten Neuralgien kann man zwei Arten des Schmerzes unterscheiden, nämlich einen anhaltenden, durch Druck vermehrten, auf umschriebene Punkte einer Nervenbahn beschränkten, nicht sehr heftigen, aber lästigen Schmerz und einen in Anfällen auftretenden, von jenen Punkten nach dem Verlauf des Nervs ausstrahlenden, überaus quälenden und fast unerträglichen Schmerz. Der Schmerz sitzt gewöhnlich nicht an der Oberfläche, sondern in der Tiefe; gewöhnlich sind mehrere Zweige eines Nervenstammes, aber nur selten alle Zweige eines Nervs an der Affektion beteiligt. Nicht selten breitet sich der N. von einem Nerv auf einen andern aus, der nicht denselben Ursprung hat. Manchmal werden im Verbreitungsbezirk des von dem N. heimgesuchten Nervs Unregelmäßigkeiten der Blutverteilung sowie der Sekretion und der Ernährung beobachtet. Im Beginn neuralgischer Anfälle bemerkt man bisweilen, daß die Haut bleich wird, noch häufiger auf der Höhe der Anfälle, daß sie sich rötet, daß die Absonderung der Nasenschleimhaut, die Tränen- und Speichelsekretion vermehrt wird. Bei manchen Neuralgien, namentlich denjenigen der Zwischenrippennerven, entwickeln sich im Verbreitungsbezirk der kranken Nerven eigentümliche Ausschläge (Herpes zoster). Der Verlauf der Neuralgien ist meistens ein chronischer, dabei wechseln Verschlimmerungen und Nachlässe der Krankheit ab. Bei den durch Malaria bedingten Neuralgien (larvierte Wechselfieber) kehren die Schmerzanfälle zur regelmäßigen Stunde wieder. Die Dauer des Schmerzes kann sich auf Jahre erstrecken, doch wird eine direkte Gefahr für das Leben durch den N. allein nicht gegeben; nur kann dauernde Schlaflosigkeit, durch den N. hervorgebracht, zur Entkräftung führen. Die Behandlung besteht in Ableitung durch Blasenpflaster, Schröpfköpfe etc., bei rheumatischem N. sind römische Bäder, Schwitzkuren, Knetkuren empfehlenswert, bei Malaria hilft Chinin. Zur Betäubung wirkt vorzüglich das Morphium. Zur dauernden Heilung versucht man manchmal die Nervendehnung (s. d.). Schmerzen infolge erkennbarer Krankheiten des Nervs oder Geschwülste und fremder Körper oder Druck innerhalb enger Knochenkanäle sind dem N. sehr ähnlich, sie erfordern örtliche Behandlung, nötigenfalls durch Operation.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 528.
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