Osmose

[162] Osmose (Diosmose), der gegenseitige Austausch zweier miteinander mischbarer Flüssigkeiten (s. Diffusion), die durch eine sein poröse Scheidewand voneinander getrennt sind. Wird in dem Hals eines Fläschchens, dessen Boden abgesprengt ist, mittels eines durchbohrten Korkes eine Glasröhre befestigt, der fehlende Boden durch eine darübergebundene Schweinsblase ersetzt und dies mit einer Flüssigkeit, z. B. Weingeist, gefüllte Gefäß (Endosmometer) in ein weiteres, Wasser enthaltendes Gefäß eingesenkt, so steigt der Weingeist in der Röhre und fließt nach einigen Stunden oben aus, selbst wenn die Röhre 40–50 cm hoch ist. Es ist demnach Wasser durch die Blase zu dem Weingeist in das Gefäß der Schwerkraft entgegen hineingedrungen (Endosmose); anderseits aber ist auch Weingeist aus dem Gefäß zu dem Wasser herausgetreten (Exosmose), wie man leicht an der Färbung des Wassers bemerkt, wenn der angewendete Weinge; st gefärbt war. Das Steigen der Flüssigkeit in der Röhre beweist, daß mehr Wasser zu dem Weingeist durch die Blase hinein- als Weingeist zu dem Wasser heraustrat. Ersetzt man aber die Schweinsblase durch eine Kautschukplatte, so wandert mehr Weingeist zum Wasser als umgekehrt. Es kommt also bei diesem Austausch wesentlich auf die Beschaffenheit der Scheidewand an. Durch tierische Membran erfolgt auch eine relativ starke Strömung von Wasser in Salzlösung und gleichzeitig eine schwächere Gegenströmung von Salzlösung in das Wasser. Die Membran gestattet dem Wasser leichtern Durchtritt als dem gelösten Salz, läßt jedoch beide Stoffe durch. Eine halbdurchlässige Wand, die nur für Wasser durchgängig ist, erhält man unter anderm, wenn man einen Tropfen Kupfervitriol auf Blutlaugensalzlösung auslegt. Es bildet sich an der Grenze eine Haut (Niederschlagsmembran) von Ferrocyankupfer, durch die nur Wasser hindurchdiffundiert, so daß das Gebilde (die künstliche Zelle) rasch wächst (bei geeigneten Konzentrationen der Lösungen, nämlich außen verdünnt, innen konzentriert). Läßt man Niederschlagsmembranen im Innern von Tonzellen entstehen, die oben geschlossen sind und ein Manometer enthalten, und setzt man eine solche Tonzelle mit verschiedenen Lösungen, z. B. einer einprozentigen Zuckerlösung, gefüllt in reines Wasser, so passiert Zucker die Wand nicht, wohl aber das Wasser, das im Innern einen konstanten, sehr beträchtlichen Überdruck (im obigen Fall ca. 2/3 Atmosphäre), den sogen. osmotischen Druck, hervorbringt. Mit der Herstellung dieses Druckes ist ein Gleichgewichtszustand erreicht; solange er noch nicht vorhanden ist, dringt Wasser in das Innere; wird der Druck künstlich innen über den osmotischen Gleichgewichtsdruck erhöht, so wird Wasser (aber keine Zuckerlösung) durch die Wand hinausgepreßt. Der osmotische Druck einer Lösung (gegen das Lösungsmittel) ist nach van t'Hoff gerade gleich dem Druck, den man bekommen würde, wenn man den gelösten Körper bei der Versuchstemperatur in den gasförmigen Zustand überführen könnte und er in diesem Zustande den von der Lösung erfüllten Raum einnehmen würde. Daraus folgt ein dem Avogadroschen Gesetz entsprechender Satz: gleich viele Moleküle der verschiedensten Stoffe geben in Lösung denselben osmotischen Druck. Der osmotische Druck bietet daher umgekehrt eine Möglichkeit, das Molekulargewicht löslicher Stoffe zu ermitteln. Praktisch ist diese Methode[162] nur in seltenen Fällen durchführbar. Da sich aber der osmotische Druck auf theoretischem Weg in Beziehung zu der Siedepunktserhöhung und Gefrierpunktserniedrigung, die das Lösungsmittel durch Auflösung des betreffenden Stoffes erfährt, bringen läßt, so kann man aus den letztern, bequem meßbaren Größen wieder rückwärts auf den osmotischen Druck schließen. Er spielt in der modernen Theorie der Lösungen eine hervorragende und wichtige Rolle. Insbesondere erklärt er die Diffusion, denn ebenso wie die Diffusion eines Gases in ein andres aufgefaßt werden kann als Expansion infolge seines Druckes, beeinträchtigt durch die Reibung an den Teilchen des andern Gases, so erscheint auch die Diffusion eines gelösten Körpers als Expansion infolge seines osmotischen Druckes. Sie erfolgt nur deshalb nicht explosionsartig, weil sie infolge der vielfachen Zusammenstöße der Moleküle mit denen des Lösungsmittels sich nur sehr langsam vollziehen kann.

Daß ein Flüssigkeitstropfen, obschon er nach dieser Auffassung nichts andres ist als eine unter einem Druck von mehreren tausend Atmosphären komprimierte Gasmenge, bestehen kann, ohne daß die Expansivkraft zur Geltung kommt, erklärt sich dadurch, daß der letztern der Binnendruck entgegenwirkt, der durch die als Kohäsion bezeichnete Anziehungskraft zwischen den Molekülen hervorgebracht wird und an allen Stellen der Oberfläche nach innen wirkt (s. Oberflächen spann ung). Bringt man den Tropfen in eine damit unbeschränkt mischbare andre Flüssigkeit, so macht sich die Expansivkraft (man nennt sie in diesem Falle Lösungstension) wirklich geltend, da nun an der Grenze Binnendrucke nach entgegengesetzten Richtungen wirken, die sich gegenseitig aufheben; der Tropfen löst sich auf. Bei beschränkter Mischbarkeit erfolgt die Auflösung nur bis zum Sättigungspunkt, d.h. derjenigen Konzentration, bei welcher der osmotische Druck der gelösten Substanz gerade der Lösungstension der sich lösenden gleich geworden ist. Gleiches gilt für die Lösung eines festen Körpers, z. B. Zucker. Amorpher Zucker ist in Wasser unbeschränkt löslich, Kristallzucker nur bis zu einem bestimmten Sättigungspunkt. Ist Zuckerlösung in eine halbdurchlässige Membran, z. B. Blase, eingeschlossen, die von Wasser umgeben ist, so dringt dieses durch die Poren frei hindurch, d.h. so lange. bis sein Druck außen und innen gleich groß geworden ist. Der Gesamtdruck innen ist aber die Summe von Wasserdruck + Zuckerdruck, somit ist der sich geltend machende osmotische Druck gleich der Expansivkraft (dem Partialdruck) des Zuckers. Daß die beiden Flüssigkeiten in ungleichem Maß zueinander übergehen (die Verschiedenheit der Durchdringlichkeit oder Permeabilität der Membran für dieselben) erklärt sich daraus, daß die Scheidewand von verschiedenen Flüssigkeiten verschieden große Mengen aufzusaugen oder zu resorbieren vermag. So nehmen z. B. nach Liebig 100 Gewichtsteile trockner Ochsenblase in 24 Stunden in sich auf: 268 Gewichtsteile Wasser, 133 Kochsalzlösung, 38 Weingeist, 17 Knochenöl. Sind daher Weingeist und Wasser durch eine solche Blase voneinander getrennt, so nimmt diese von der einen Seite Wasser, von der andern Weingeist in dem Verhältnis von 268 zu 38 in sich auf; das in der Blase aufgesaugte Wasser diffundiert aber, weil sich die Moleküle in beständiger rascher Bewegung befinden, d.h. infolge seines osmotischen Druckes, zu dem Weingeist hinüber, der resorbierte Weingeist ebenso zu dem Wasser, und zwar werden für je 268 Teile Wasser, die zu dem Weingeist hineingehen, nur 38 Teile Weingeist zu dem Wasser heraustreten. Senkt man eine kurze Glasröhre, die an einem Ende mit Blase bespannt ist und eine abgewogene Menge Kochsalz enthält, mit dem verschlossenen Ende in Wasser, so tritt allmählich etwas Wasser ein, löst das Kochsalz, und nun beginnt die Endosmose und Exosmose, d.h. es tritt beständig Wasser ein, während Kochsalz in das umgebende Wasser austritt. Erneuert man letzteres wiederholt, so verläßt endlich auch die letzte Spur des Kochsalzes die Röhre, und diese enthält eine Menge reines Wasser, die, wenn man den Versuch unter denselben Verhältnissen wiederholt, stets gleich groß ist. Bei Anwendung verschiedener Salze erhält man dagegen ungleiche Mengen; die Zahl, die angibt, wie viele Gewichtsteile Wasser gegen einen Gewichtsteil einer bestimmten Substanz durch die Membran hindurchgehen, nennt man das endosmotische Äquivalent derselben. Dasselbe beträgt für:

Tabelle

Das endosmotische Äquivalent ist aber vom Konzentrationsgrad der Lösungen abhängig und wächst im allgemeinen mit der Temperatur. Im alltäglichen Leben begegnen uns mancherlei Beispiele endosmotischer Wirkung. Bohnen und Erbsen, die man in Wasser einweicht, quellen auf, weil mehr Wasser durch die Zellhäute in die Zellen hineindringt, als von dem Zellinhalt heraustritt. Bestreut man einen in Scheiben geschnittenen Rettich mit Kochsalz, so zieht er Wasser; die in den Zellen enthaltene wässerige Flüssigkeit tritt nämlich in größerer Menge zu der konzentrierten Salzlösung heraus, die sich bei Berührung des Salzes mit den feuchten Schnittflächen gebildet hat. Die Endosmose spielt im Leben der Pflanzen und Tiere eine überaus wichtige Rolle, denn der Austausch der Säfte zwischen den rings geschlossenen Zellen und Blutgefäßen kann nur endosmotisch durch deren Wandungen hindurch erfolgen. Graham hat gezeigt, daß Körper, die im festen Zustand kristallinisch sind, und die er deshalb Kristalloidsubstanzen nennt, wie z. B. Zucker, Salze etc., viel leichter durch eine poröse Scheidewand hindurchgehen als gewisse unkristallinische Körper, wie Leim, Eiweiß, Gummi, Karamel, lösliche Kieselsäure u.a., die mit Wasser gallertartige Massen bilden und von Graham Kolloidsubstanzen genannt werden. Man kann sich dieses Verhaltens bedienen, um Körper von beiden Arten, die miteinander gemischt sind, durch Endosmose voneinander zu trennen. Man nennt dieses Verfahren Dialyse und führt dasselbe aus mittels des Dialysators, eines flachen Gefäßes aus Hartkautschuk, dessen Boden aus Pergamentpapier besteht; diese Vorrichtung läßt man in einem eine beträchtliche Menge Wasser enthaltenden Gefäß schwimmen. Gießt man nun in den Dialysator z. B. eine aus Gummi und Zucker gemischte Lösung, so wird der Zucker nach einiger Zeit fast vollständig durch das Pergamentpapier in das Wasser übergegangen sein, während im Dialysator eine fast reine Gummilösung zurückbleibt.

O. (Diosmose) heißt auch das Diffusionsverfahren in den Rübenzuckerfabriken und ein auf Dialyse beruhendes Verfahren zur Verarbeitung der Me lasse (s. Zucker).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 162-163.
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162 | 163
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