Ossēten

[166] Ossēten, ein zum indogerman. Stamm (und zwar zur iranischen Gruppe desselben) gehörendes Volk im Kaukasus, da, wo der Paß von Dariel als einzige natürliche Straße ihn spaltet, im N. vorzugsweise im Tal des Terek, im S. bis zu den Quellen des Rion sich ausdehnend. Westlich von Wladikawkas bewohnen sie eine Ebene, die von der Kabarda durch eine Reihe von Bergen getrennt wird. Ihre Zahl betrug 1891: 156,814, wovon in Ziskaukasien (Terekgebiet) 80,669, in Transkaukasien (vornehmlich Gouv. Tiflis) 76,145 lebten. Sie selbst nennen sich Iron (gleichbedeutend mit Iran); der Name O. stammt vom georgischen Ossethi, womit das von den Os oder Ofen bewohnte Land bezeichnet wird. Nach einigen hängen sie mit den Osiliern des Ptolemäos zusammen, die an der Mündung des Tanais (Don) ihre Sitze hatten, nach andern (Klaproth, Kohl, Koch) mit den Alanen, nach Vivien de Saint-Martin mit den Asen, die nach Skandinavien auswanderten; nach noch andern sollen sie die reinsten Repräsentanten der Arier und nächste Verwandte der Germanen oder auch der Perser sein, wogegen Pfaff behauptet, daß sie mit Semiten vermischt seien. Daß vielfache Mischungen stattgefunden haben, zeigt das Auftreten brauner und schwarzer Augen und Haare unter der meist blondhaarigen und blauäugigen Bevölkerung. Die O. sind kräftig gebaut und von mittlerer Größe, doch stehen sie ihrem Äußern nach weit hinter andern Völkern des Kaukasus zurück; die Frauen sind meist weniger hübsch und haben oftmals etwas Mongolisches in ihren Zügen. Die Kleidung besteht in einem kurzen Hemd, mitunter Beinkleidern und einem tscherkessischen Überrock von grobem Tuch, dazu aus Bindfaden und Riemen geflochtene Schuhe, im Winter Filzstiefel; den Kopf bedeckt eine Filzmütze. Sie bereiten aus Gerste ein bierähnliches Getränk. Ihre Wohnungen sind aus Holz gebaut, in den Hochtälern steinerne Türme. Ihre alten, 4–5 m hohen achteckigen Gräber, Sappads, bilden zuweilen förmliche Nekropolen. Ihre Religion war vor dem Jahre 1000 das Christentum, dann nahmen sie den Islam an, um ihn seit 1171 abermals mit dem Christentum zu vertauschen. Im 15. Jahrh. wurden die meisten abermals Mohammedaner, denen aber heute nur 20–25 Proz. angehören, während die übrigen ein vielfach mit heidnischen Gebräuchen gemischtes Christentum angenommen haben. Die Sprache der O. ist eine indogermanische und gehört speziell zu der iranischen Familie. Vgl. Sjögren, Ossetische Sprachlehre (Petersb. 1844); Rosen, Ossetische Sprachlehre (Berl. 1844); Miller, Die Sprache der O. (Straßb. 1903); Hübschmann, Etymologie und Lautlehre der ossetischen Sprache (das. 1887). Die O. waren in älterer Zeit ein mächtiges Volk, das unter Einem Oberhaupt einen großen Teil des Kaukasus und die ebenen Steppengegenden bis zum Don und zur Wolga innehatte. Batuchan trieb im 13. Jahrh. die O. aus den Ebenen der jetzigen Kabarda in das hohe Gebirge des Kaukasus, wo sie sich in den Felsentälern anbauten. Timur besiegte die O. und setzte einen Emir über sie. Später wurden sie durch die Tscherkessen aus den beiden Kabardas verdrängt. Den Russen haben sie niemals irgend welchen Widerstand entgegengesetzt. Früher lieblen sie es, als Söldner in den Dienst der Byzantiner, Georgier und Perser zu treten. Vgl. Klaproth, Reise in den Kaukasus (Halle u. Berl. 1814, 2 Bde.); v. Erckert, Der Kaukasus und seine Völker (Leipz. 1887); Chantre, Recherches anthropologiques dans le Caucase, Bd. 4 (Par. 1887); Hahn, Aus dem Kaukasus (Leipz. 1892).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 166.
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