[662] Gerste (Hordeum L.), Gattung der Gramineen, ein- oder mehrjährige Gräser mit schmalen, oft borstenartigen Hüllspelzen, die zusammen eine Art Involucrum um die Ährchen bilden, und fünfnervigen, in eine starke Granne auslaufenden Deckspelzen. Von den 16 Arten in Europa, dem gemäßigten Asien, Nordafrika und Amerika gehören 12 zur Untergattung Zeocriton Beauv., bei denen die Ährenspindel (die Kulturformen ausgenommen) brüchig ist und jedes Glied mit einer darüber befindlichen Ährchengruppe abfällt. Die Ährchen stehen zu drei, von denen die[662] seitlichen, meist kurzgestielten, unfruchtbar (nur bei den Kulturformen fruchtbar) sind, die Gipfelährchen sind verkümmert. Die Fruchtspelzen gliedern sich nicht vom Ährchenstiel ab. Bei der Saatgerste (H. sativum Jess.) sind die Seitenährchen sitzend, ihre Hüllspelzen stumpf. Entweder sind alle Ährchen fruchtbar und die dadurch entstehenden sechs Zeilen streng gesondert: sechszeilige G. (H. sat. hexastichon), oder nur die Mittelzeilen sind deutlich gesondert, während die Seitenzeilen ineinander greifen: ungleichzeilige G. (vierzeilige G., H. sat. vulgare), oder es ist nur das Mittelährchen jedes Drillings fruchtbar: zweizeilige G. (H. sat. distichon).
Die zweizeilige G. (Sommergerste, s. Tafel »Getreide II«, Fig. 4) hat stark von der Seite zusammengedrückte Ähren; die sterilen Seitenährchen sind der Spindel angedrückt. Zahlreiche Varietäten: α nutans, Seitenährchen deutlich, Ähre überall gleich breit, locker, schmal, meist nickend, Grannen anliegend; β erectum (Staudengerste), wie α, aber Ähre dicht, breit, aufrecht; γ Zeocriton (Pfauen-, Fächer-, Reisgerste, Tafel II, Fig. 6), wie β, aber die Ähren nach der Spitze verschmälert, die Grannen fächerförmig spreizend. Auch gibt es eine Varietät mit unbeschalten Früchten (H. nudum L.) und verschiedene Farbenspielarten (blaßgelb oder schwarzährig). Man baut zweizeilige G. besonders in Mitteleuropa (in der Schweiz bis 2000 m ü. M.), England, auch in Abessinien. Die sechszeilige G. (Tafel II, Fig. 7) hat im Umkreise rundliche Ähren mit sechs Zeilen, die, von oben gesehen, einen sechsstrahligen Stern bilden; die Spindelglieder sind sehr kurz, und die Ährchen stehen daher dicht übereinander. Sie war schon in vorgeschichtlicher Zeit sehr verbreitet, auch im alten Ägypten und Italien, wird jetzt wohl nur in Südeuropa, selten in der Schweiz und in Deutschland gebaut. Die ungleichzeilige G. (vierzeilige G., Tafel II, Fig. 5) hat vom Rücken her zusammengedrückte, lockere, oft nickende Ähren. Die Mittelzeilen sind der Spindel mehr angedrückt als die unregelmäßigen Zeilen der Seitenährchen. Diese Unterart scheint jüngern Ursprungs zu sein. Ihre Varietät pallidum mit blaßgelber Ähre ist in Nordeuropa und Nordasien die häufigste G.; sie wird hauptsächlich als Sommerfrucht gebaut, da sie ihre Vegetationsperiode auf 90 Tage einzuschränken vermag. In Mitteleuropa ist sie durch die zweizeilige, besonders die Chevaliergerste, stark zurückgedrängt worden, während in Südeuropa und Nordafrika die Varietät caerulescens mit blaugrauen Ähren häufiger gebaut wird. Eine besondere Reihe von Varietäten bildet die nacktfrüchtige oder Himmelsgerste (H. coeleste L.) sowie die Himalajagerste, zu der die erbliche Mißbildung trifurcatum (Löffel-, Zinkengerste) mit dreihörnigen Deckspelzen gehört. Zwischen den drei Unterarten gibt es Übergangsformen, an denen alle Ährchen fruchtbar, aber die seitlichen unbegrannt sind. Von andern Arten kommen in Betracht Mauergerste (Mäusegerste, H. murinum L.), mit knieartig gebogenem Halm, etwa 30 cm hoch, mit über 2,5 cm langen, zylindrischen Ähren, lanzettlichen, begrannten Deckspelzen und aufrechten Ährchen; sie wächst überall an Mauern, Zäunen, Ställen etc. und wird von Schafen gefressen. Die Wiesengerste (H. pratense Sm., H. nodosum L.) ist ausdauernd, 4580 cm hoch, mit tief grasgrünen, flachen Blättern und etwa 2,5 cm langen Ähren, wächst auf guten, frischen Wiesen, ist gutes, nahrhaftes Futter- und Weidegras und verkündet, wo sie vorkommt, reichen Graswuchs. Die Mähnengerste (H. jubatum L., s. Tafel »Gräser V«, Fig. 8), einjährig, 80 cm hoch, buschig, mit langen, an der Spitze etwas rosenroten Grannen, wird als Ziergras kultiviert. Die getrockneten Ähren sind für große Bukette verwendbar.
Bei der kurzen Vegetationszeit der G. (vierzeilige 1214, sechszeilige 1618 Wochen) gedeiht sie noch in mäßig warmem Sommer und hoch im Norden. Aber auch im Süden, in Kleinasien und den Kaukasusländern gibt sie reiche Erträge. Da die Sommergersten bei uns vorzugsweise zur Bierbereitung und zu Graupen verwendet werden, so hat man auf die Tauglichkeit zur Malzbereitung besondere Rücksicht zu nehmen. Die Wintergerste (vierzeilige, kleine gemeine, Sandgerste) wird in Norddeutschland und Schweden am häufigsten (als Sommer- und Winterfrucht) gebaut. Man unterscheidet vier Varietäten: Wintergerste, Perlgerste, Bärengerste und Rettema, mit stets beschalten, gelben oder schwarzen (Rußgerste) Körnern. Letztere Varietät wird besonders in Nordwestdeutschland und am Rhein gebaut, bestockt sich sehr schön, verträgt den geilsten Boden, lagert sich nicht leicht, gibt höhere Erträge als die kleine G. als Sommerfrucht und reichliches, kräftiges Stroh und wird gleich nach dem Einbringen des Heus geerntet (daher Rettema, »rette den Mann«, nämlich durch zeitiges Brot bei hohen Fruchtpreisen). Das Korn ist sehr kleberreich, daher zu Brot und Graupen, aber nicht zur Bierbereitung geeignet; es wiegt nicht sehr schwer. Die Sommergerste mit beschalten Körnern (kleine vierzeilige gemeine, Sand-, Spät-, Zeilen-, Bärengerste), in Norddeutschland die gemeinste Art, gibt noch im guten Mittelboden der Sandregion Erträge, wird in Norwegen noch unter 70° nördl. Br. (Altengard) gebaut, ist leichter als zweizeilige G. und verbraut sich auch nicht so gut wie diese. Die Himmelsgerste (Sommergerste mit nackten Körnern, Himalajagerste, ägyptisches Korn, Russen-, Jerusalemsgerste [zum Teil], Griesgerste, walachische G., Davidskorn) verlangt besonders guten, kräftigen Boden, bestockt sich besser, ist gegen Fröste weniger empfindlich, im Halm kräftiger als die vorige und gibt auf kräftigem Boden ebenso gute Ernten wie die zweizeilige G., eignet sich trefflich zur Graupen-, Gries- und Mehlbereitung, aber nicht zum Malzen, unterliegt sehr stark dem Sperlingsfraß und fällt leicht aus. Die sechszeilige G. (Stock-, Roll-, Kiel-, Rot-, Bärengerste) wird seit etwa 300 Jahren in Deutschland gebaut (nur als Sommerfrucht), hat aber niemals allgemeinere Verbreitung gefunden. Sie geht leicht auf, bestockt sich schön, widersteht gut dem Unkraut, lagert sich weniger leicht, leidet nicht leicht vom Rost und ist in den Ähren sehr ergiebig. Da aber ihre Halme weitläufiger stehen, bringt sie doch keine reichere Ernte als die kleine G. und weniger Stroh. Die Körner malzen zwar gut, sind aber wegen der dicken Spelzen leichter. Die zweizeilige G. (große, Frühgerste) wird in Mittel- und Süddeutschland allgemein, aber nur als Sommerfrucht angebaut. Die gemeine lange G. (große, Ziel-, Zeit-, März-, Frühgerste, H. distichon nutans) verlangt einen reinen, sorgsam bestellten Boden, wird frühzeitig gesät und bestockt sich stark, eignet sich trefflich zur Malzbereitung. Die kurze G. (Standen-, Platt-, Spiegel-, Hainfelder G., H. distichon erectum) hat manche Vorzüge vor der vorigen; doch ist das Stroh etwas geringer, der Ausdrusch schwerer, auch keimt sie schneller beim Malzen und darf daher mit der vorigen nicht gemischt werden. Die zwei- [663] zeilige, nackte G. (Himmels-, Himalaja-, Kaffeegerste) wird wie die gemeine zweizeilige G. kultiviert, verlangt aber ausgesprochen kräftigen Gerstenboden, gibt geringern Ertrag als jene, aber ungemein schwere Körner. Ihre Verwertung ist beschränkt, und deshalb kommt sie nicht in allgemeinere Kultur. Die Fächergerste (Pfauen-, Bart-, Wucher-, Riemen-, türkische, Peters-, Dinkel-, Jerusalemer G. [zum Teil], Hammelkorn) bestockt sich ungemein stark, keimt schneller als gemeine G., hat steife Halme, wird selten vom Rost befallen, widersteht auch der ungünstigen Witterung, fällt nicht aus, ist vor Sperlingsfraß geschützt, vorzüglich zum Malzen geeignet, gibt aber nur im ausgesprochenen Gerstenboden bedeutende Erträge, hat härteres Stroh, drischt sich schwerer und muß beim Malzen auch von der gemeinen G. getrennt werden.
G. enthält im wesentlichen dieselben Bestandteile wie der Weizen; doch kann ihr Stärkemehl nicht, wie beim Weizen, durch Auskneten des Mehles gewonnen werden. Zusammensetzung:
Die Asche enthält besonders Phosphorsäure, Kieselsäure, Kali und Magnesia. Die quantitative Zusammensetzung schwankt nach Art, Varietät, Bodenbeschaffenheit und Klima. Die Eiweißstoffe (Kleberstoffe) der G. bestehen aus Glutenkaseïn, Glutenfibrin, Mucedin und Eiweiß. G. bildet im hohen Norden die wichtigste Brotfrucht, in Mitteleuropa dient sie nur zur Bierbrauerei u. zur Darstellung von (geschälter) Perlengerste und Graupen, in Südeuropa hauptsächlich als Pferdefutter. Auch in Asien, besonders in Tibet, ist sie Brotfrucht sowie in Nordchina und Japan. Sehr viel G. produziert Nordamerika, sehr wenig Südamerika. Zur Bierbereitung wird sie in Malz verwandelt, aus dem auch Malzextrakt bereitet wird. Rohe G. wird auch zur Bereitung von Gerstenwasser benutzt; präpariertes Gerstenmehl wird durch 30stündiges Erhitzen von zusammengedrücktem Gerstenmehl in einem verschlossenen zinnernen Gefäß im Wasserbad bereitet. Es ist rötlichgelb, enthält lösliche Stärke, Stärkegummi und Dextrin und ist dadurch leichter verdaulich geworden. Es wird zuweilen noch für Rekonvaleszenten und Brustleidende angewendet, aber besser durch Malz und Malzextrakt ersetzt. Gerstenwasser wird erhalten durch Kochen von 0,51 Teil ausgelesener und gewaschener G. mit 12 Teilen Wasser, bis die G. aufspringt, worauf man durchseiht und Zucker und Zitronensaft oder Kremortartari oder Himbeeressig hinzufügt. Es ist ein kühlendes, einhüllendes und durstlöschendes Getränk für fiebernde Kranke, bei Ruhr, Heiserkeit u. dgl. Die Saatgerste stammt ohne Zweifel von H. spontaneum C. Koch ab, das von Kleinasien und den Kaukasusländern bis Persien und Belutschistan sowie in Syrien, Palästina und dem Peträischen Arabien wild wächst. Von dieser Art unterscheidet sich die kultivierte zweizeilige G. nur durch die zähe Spindel und etwas kürzere Grannen. Die G. ist vielleicht die älteste Ackerfrucht. In der spätern Steinzeit war sie bereits bis Mitteldeutschland verbreitet, außerdem ist die sechszeilige G. aus Niederlassungen der Schweiz, Österreichs, Ungarns, Italiens, Frankreichs, Spaniens und Griechenlands bekannt. Auch Ägypter, Juden, Griechen und Inder haben sie seit uralter Zeit gebaut. Man fand ihre Körner bei ägyptischen Mumien. Im alten Griechenland wurden alle drei Gerstenarten gebaut. Die Römer kannten die zwei- und sechszeilige G. Vereint mit dem Hafer hat die G. ihre Herrschaft in Europa bis über den Polarkreis, in Asien und Amerika bis nahe an denselben ausgedehnt. Der Anbau beider Zerealien ist vorherrschend in arktischen und in den östlichen Ländern des Kontinents auch im größern Teil des subarktischen Gürtels. S. die Karten »Landwirtschaft in Deutschland« (bei Art. »Deutschland«) und »Landwirtschaft in Österreich« (bei Art. »Österreich«). Vgl. »Getreidebau« und »Futter und Fütterung«.
Die gemeine G. leidet viel vom Brand; der Engerling und der Drahtwurm beschädigen die Wurzel, so daß der ganze Stock vergilbt; unter der Blattscheide saugt die mennigrote Larve des Getreideschänders oder eine der Chlorops-Larven; an der Spindel oder an den Blütenstielen nistet sich die Getreideblattlaus und zwischen den Blütenschuppen die weiße Made der Fritfliege ein. Vgl. Liebenberg, Zur Naturgeschichte und Kultur der Braugerste (Wien 1896).
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