Tyrann [1]

[851] Tyrann (griech. týrannos), ursprünglich jeder unbeschränkte Herrscher, dann insbes. ein Alleinherrscher, der nicht durch Erbschaft, sondern durch den gewaltsamen Umsturz der bestehenden Verfassung an die Spitze des Staates gekommen war, so daß man unter T.[851] im geschichtlichen Sinne den Inhaber einer angemaßten Alleinherrschaft (Tyrannis) zu verstehen hat, während Äsymnet (s. d.) den durch friedliche Übereinkunft zur Neuordnung der Verfassung eingesetzten Herrscher bezeichnet. Die Tyrannis ist im 7. und 6. Jahrh. v. Chr. in vielen griechischen Staaten die Zwischenstufe zwischen der oligarchischen oder aristokratischen Staatsform und der Demokratie, indem sich ein ehrgeiziges Mitglied der Aristokratie an die Spitze des unterdrückten Volkes stellte, sich eine Leibwache geben ließ und mit dieser den Staat nach unbeschränkter Willkür beherrschte;während der reiche Adel unterdrückt wurde, hoben die Tyrannen das Volk durch Erhaltung des Friedens, Begünstigung von Handel und Gewerbe, Bauten u. dgl. Daher gab es unter den Tyrannen viele treffliche Herrscher, wie Peisistratos in Athen, Gelon und Hieron II. in Syrakus, Periandros in Korinth, Kleisthenes in Sikyon u. a.; jedoch auch diese oder ihre Nachkommen wurden meist durch den gewalttätigen Ursprung ihrer Macht schließlich zu Gewalttaten getrieben. Andre, wie Phalaris und Polykrates, machten sich von Anfang an durch Grausamkeit verhaßt. Als daher nach dem allgemeinen Siege der republikanischen Staatsform in Griechenland die Monarchie überhaupt als eine unwürdige, sklavische Staatsform angesehen wurde, verband man mit dem Namen eines Tyrannen den Begriff eines grausamen, willkürlichen Herrschers; in diesem Sinne heißen auch die von Lysandros in Athen zur Einführung einer neuen Verfassung eingesetzten 30 Männer, die ihr Amt zu grausamer Willkürherrschaft mißbrauchten, die Dreißig Tyrannen. In der spätern römischen Geschichte werden die Statthalter, die sich unter Gallienus in den verschiedenen Provinzen des Reiches 260–268 n. Chr. zu Gegenkaisern aufwarfen, aber bald wieder gestürzt wurden, auch als dreißig Tyrannen gezählt und bezeichnet. Vgl. Plaß, Die Tyrannis bei den Griechen (Leipz. 1859, 2 Tle.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 851-852.
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