Zweckmäßigkeit

[1035] Zweckmäßigkeit, die Eigenschaft eines Gegenstandes oder einer Handlung, zur Ausführung einer bestimmten Tätigkeit oder zur Erreichung eines bestimmten Zieles geeignet zu sein. In der Wissenschaft von den lebenden Organismen versteht man unter Z. die Tatsache, daß die einzelnen Organe bei Lebzeiten nicht nur unter normalen Verhältnissen so funktionieren, daß die Tätigkeit jedes einzelnen dem Wohl des ganzen Organismus entspricht, sondern auch unter abnormen Bedingungen, bei Verletzungen und andern störenden Eingriffen ihre Leistung den veränderten Umständen bis zu einem gewissen Grad in einer für die Erhaltung des Lebens möglichst vorteilhaften Weise anzupassen pflegen. Eine ähnliche Z. zeigen die von vielen niedern Tieren beim Nestbau, bei der Eiablage und Brutpflege ausgeführten Instinkthandlungen. Während man in früherer Zeit diese Z. direkt auf den Willen eines persönlichen Schöpfers zurückführte, in der allgemeinen Z. des organischen Baues sogar einen der stärksten Beweise für das Walten eines zwecksetzenden Schöpfers sah, suchte Darwin dieselben durch die Wirkung der natürlichen Zuchtwahl zu erklären, indem er ausführte, daß alle etwa von irgendeinem Organismus auftretenden unzweckmäßigen Abänderungen oder Instinkte ihren Trägern im Kampf ums Dasein nachteilig werden und dessen baldiges Aussterben herbeiführen müßten, so daß nur die zweckmäßigen Abänderungen sich dauernd erhalten könnten (s. Darwinismus). Während zahlreiche Biologen der Ansicht sind, daß durch diese Theorie die Z. in befriedigender Weise erklärt werde, vermögen andere in derselben eine vollkommene Lösung des Problems nicht zu erblicken, und sehen in der Eigenschaft der Organismen, auf äußere Einflüsse zu reagieren, eine besondere, unsrer ursachlichen Erkenntnis einstweilen nicht zugängliche Eigenschaft des lebenden Körpers. Um die von uns unwillkürlich mit dem Worte Zweck verbundene Vorstellung des bewußt Gewollten auszuschließen, sind von verschiedenen Seiten verschiedene andre Ausdrücke vorgeschlagen worden, eine Zielstrebigkeit (K. E. v. Baer), Erhaltungsmäßigkeit (Möbius). – Vgl. Darwin, On the origin of species (Lond. 1859); K. E. v. Baer, Über den Zweck in den Vorgängen der NaturReden und Aufsätze«, Bd. 2, Petersb. 1873–76); Pflüger, Die teleologische Mechanik der lebendigen Natur (Bonn 1877); J. v. Hanstein, Über den Zweckbegriff der organischen Natur (das. 1880); Driesch, Die Biologie als selbständige Grundwissenschaft (Leipz. 1893) und Die Seele als elementarer Naturfaktor (das. 1903); Roux, Der Kampf der Teile im Organismus (das. 1881); Spengel, Zweckmäßigkeit und Anpassung (Jena 1898); Weismann, Über Germinalselektion (das. 1896) und Vorträge über Deszendenztheorie (2. Aufl., das. 1904); Coßmann, Elemente der empirischen Teleologie (Stuttg. 1899); Reinke, Einleitung in die theoretische Biologie (Berl. 1901); Pauly, Darwinismus und Lamarckismus (Münch. 1905).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 1035.
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