Gemüth

[138] Gemüth, im Gegensatz des Vorstellungs- u. Erkenntnißvermögens, das Princip des Gefühls u. des Willens. In dem G. gehen alle einzelne Gefühle u. Neigungen wie in einem Brennpunkte zusammen. Es empfängt die Vorstellungen als Anregungen, u. in ihm wird das Vorgestellte Gegenstand des Begehrens od. Verabscheuens; daher in dem G. der sittliche Werth des Menschen wurzelt. Ein heftiges Begehren od. Verabscheuen heißt eine Gemüthsbewegung; diese werden, wenn sie alle anderen Gefühle überwältigen, zu Leidenschaften u. Affecten (s.b.). Leidet das G. durch geistigen Druck, so entstehen Gemüthsstörungen u. Gemüthskrankheiten, die an sich schon Geisteskrankheiten sind, aber erst bei nicht weichenden Einwirkungen in diese im eigentlichen Sinn übergehen. Ist dagegen die Seele in einem Zustande, wo sinnliche Anregungen kein Übergewicht über Vernunft u. Willen üben, so ist dies Gemüthsruhe. Endlich ist Gemüthswelt der Inbegriff dessen, was das G. in eine eigenthümliche Stimmung versetzt, Gefühle, Leidenschaften etc. Die Gemüthsart des Menschen ist die Beschaffenheit seines Willens- u. Gefühlsvermögens in gegenseitiger Durchdringung u. wird bestimmt durch die Vollkommenheiten (Gemüthstugenden) seines G-s, als Güte, Reinheit, Offenheit, Größe, Stärke, Tiefe, Reichthum, Festigkeit, Sanftheit, Empfänglichkeit, Lebhaftigkeit, Selbständigkeit u.a.; u. durch seine Mängel (Gemüthsfehler), als Bosheit, Unreinheit, Verschlossenheit, Enge, Leerheit, Armuth, Schwäche, Flachheit, Wankelmuth, Rauheit, Reizlosigkeit, Trägheit, Unselbständigkeit. Die verschiedenen Zustände desselben, nach Gegensätzen, werden als Gemüthsstimmungen bezeichnet; dergleichen sind: Ruhe u. Unruhe, Stille u. Bewegung, Gleichmuth u. Störung, Heiterkeit u. Trübheit, Zufriedenheit u. Unzufriedenheit Was das G. anspricht u. von demselben mit Wohlbehagen wahrgenommen wird, heißt gemüthlich; u. gemüthlich ist ein Mensch, welcher G. hat. Der Gemüthliche wird zum Gemüthvollen, wenn er sein G. bethätigt u. bes. wenn er ein tiefes, kräftiges G. hat; wogegen gemüthreich sich mehr in dem Umfang u. der Mannigfaltigkeit der Gemüthsthätigkeit zeigt. Wer wenig G. hat, heißt gemütharm, wer gar keins hat, gemüthlos. Daher heißen Gemüthskrankheiten solche Geisteskrankheiten (s.d.), in denen besonders die Affecten in einem leidenden u. der Herrschaft der Vernunft durchaus entzogenen Zustand sind.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 138.
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