Meridiane

[149] Meridiane, 1) größte Kreise, welche man sich am Himmelsgewölbe von einem Himmelspol zum andern, od. auch auf der Erdoberfläche von einem Erdpole zum andern gezogen denkt. Man kann davon so viele unterscheiden, als man Abschnitte in dem Äquator (der Himmels- od. Erdkugel), od. irgend einem seiner Parallelkreise willkürlich macht. Jeder wird aber dann auf einen bestimmten Standpunkt auf der Erdoberfläche bezogen, den man eben selbst einnimmt, od. den man sich als einnehmbar denkt. Der zugehörige M. am Himmelsgewölbe ist dann derjenige größte Kreis, in welchem die erweiterte Ebene des irdischen M-s die scheinbare Himmelskugel schneidet. Da jene Ebene den Erdmittelpunkt, mithin auch die Verticalen des betreffenden Beobachtungsortes in sich enthält, so folgt, daß der M. jedes Ortes auf dem zugehörigen Horizont senkrecht steht. Auf allen Punkten der Erdoberfläche, welche unter einem u. demselben M. liegen, erlangt jeder Himmelskörper (also auch die Sonne) zu gleicher Zeit ihren höchsten Stand am scheinbaren Himmelsgewölbe (vgl. Culmination), woraus von selbst folgt, daß dieselben Orte zu gleicher Zeit Mittag, also auch alle übrigen Tageszeiten zu derselben Zeit haben. Jeden M. am Himmelsgewölbe kann man auf drei Weisen durch zwei gegenüberstehende Punkte in Halbkreise getheilt denken: a) durch den Horizont in eine sichtbare u. unsichtbare Hälfte; die Schneidungspunkte des M-s mit dem Horizont heißen der Nordpunkt (der dem Nordpol nähere) u. Südpunkt (der vom Nordpol entferntere); b) durch die Verticallinie des Beobachtungsortes in eine südliche, den Südpunkt enthaltende, u. nördliche, den Nordpunkt enthaltende Hälfte; die Schneidungspunkte der Verticallinie mit dem M. heißen Zenith (der obere) u. Nadir (der untere); c) durch die beiden Himmelspole in eine obere (das Zenith enthaltende) u. untere (das Nadir enthaltende). Auf der südlichen Erdhemisphäre sind alle diese Verhältnisse die entsprechenden, aber der Richtung nach in Betreff des oberen u. unteren die entgegengesetzten. Auf der nördlichen Erdhalbkugel treten alle Himmelskörper, welche sich um den nördlichen[149] Himmelspol (scheinbar) täglich in Kreisen drehen, deren Halbmesser nicht größer ist, als die Erhebung des Poles über den Horizont, binnen 24 Stunden zweimal in den M-n, einmal in die obere Hälfte des M-s, wobei sie am höchsten über dem Horizont stehen (obere Culmination), einmal in die untere, wobei sie am tiefsten über dem Horizont stehen (untere, immer nördliche Culmination); diese niemals untergehenden Sterne heißen Circumpolarsterne. Die übrigen haben ihre untere Culmination in der unsichtbaren Häfte des M-s u. gehen also östlich auf u. westlich unter. Von den mehrern am Himmel gedachten M-n haben zwei eine feste, von dem Beobachtungsort unabhängige Bestimmung, die nämlich, welche zugleich die Äquinoctial-, u. die, welche zugleich die Solstitialpunkte durchschneiden (Koluren). Auf der Erde dagegen sind die Bestimmungen, welche M. für erste gelten u. worauf dann die übrigen bezogen werden, willkürlich. Die neueren Geographen, bes. in Frankreich u. Deutschland, haben sich jedoch meist darin vereinigt, den unter Ludwig XIII. als ersten bestimmten M., welcher durch die Insel Ferro, als die westlichste der Canarien, geht, anzuerkennen u. von ihm aus die Grade der (geographischen) Länge in östlichem Abstande fortgehend im ganzen Kreise herum zu zählen, jedoch mit der Modification, daß man den M. der Pariser Sternwarte genau 20° östlich von Ferro steht, wobei dann der ehemalige erste M., welcher die Westküste von Ferro streift, von dem gegenwärtigen ersten nur 30' differirt. Die Engländer (u. nach ihnen auch ein großer Theil der neuesten deutschen Geographen, namentlich bei rein wissenschaftlichen Bestimmungen) rechnen meist vom M. von Greenwich aus (17°39' 37,5'' östl. Länge von Ferro od. 2°20' 22,5'' westl. von Paris) u. zählen sowohl östlichen als westlichen Abstand bis zu 180°. Die Amerikaner rechnen meist vom M. von Washington (77°3' westl. Länge von Greenwich = 59°23' 22,5'' westl. von Ferro = 79°23' 22,5'' westl. von Paris). In der Bestimmung des M-s von Ferro wollte man die ganze so genannte alte Welt in eine östliche Lage gegen einen ersten M. gebracht haben. Nach derselben aber bleiben Island, auch die Azoren ausgeschlossen. Man hat daher versucht, den M. von Flores, welcher die westlichste der Azorischen Inseln berührt, als ersten geltend zu machen. Mehr als diese Bestimmung scheint jedoch, von einem naturwissenschaftlichen Standpunkt aus gefaßt, die für sich zu haben, nach welcher man einen durch die Behringsstraße gehenden M., u. zwar, um einen festen Punkt zu haben, den das Prinz-Wallis-Cap als den westlichsten Punkt der amerikanischen Westküste berührenden M. als ersten od. Hauptmeridian betrachtet. Dieser ist nämlich der einzige, welcher von einem Pol zum andern in bekannten Zwischenerdgegenden völlig über das Meer, od. höchstens nur über ein vereinzeltes Inselchen, hinweg geht. Dieser M. entspricht auch so ziemlich dem 210° der Länge von dem der Insel Ferro aus. Der ihm entgegengesetzte (der 30°) ist dann der, welcher Europa ziemlich gleichmäßig in ein östliches u. westliches theilt. Die von beiden (mittlere M.) gleichweit, u. zwar um 1/4 des Erdkreises, entfernten M. haben das Gemeinschaftliche, daß sie beide die Isthmen beider Erdfesten durchschneiden, der westliche M. unter 300° nach gewöhnlicher Rechnung den wirklichen Isthmus Amerikas, der östliche M. (unter 120° Länge) den durchbrochenen asiatischen Isthmus, od. die Endspitze der Halbinsel Malacca u. die Insel Sumatra; 2) magnetischer M., die durch die magnetische Achse eines freibeweglichen Magneten gelegte Verticalebene, s.u. Magnetismus II.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 11. Altenburg 1860, S. 149-150.
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