[410] Possessorium, 1) (Possessorische Rechtsmittel), die Klagen, welche Folgen des juristischen Besitzes sind od. deren Gegenstand überhaupt der Besitz ist; 2) (Besitzproceß), der Streit über den Besitz selbst. In beiden Beziehungen bildet das Petitorium, welches den Streit über das Recht selbst u. die dazu dienenden Klagen bezeichnet, den Gegensatz. Gegenstand des P-s ist nur der Besitz körperlicher Sachen od. der sogenannte Quasibesitz dinglicher Rechte, Gegenstand des Petitoriums ein dingliches Recht (Eigenthum, Servituten etc.). Nur über den Besitz selbst u. die hieraus entspringenden Vortheile (Jus possessionis) wird im P. verhandelt, nicht aber über das Recht zu besitzen (.Jus possidendi). Im Römischen Recht waren als Rechtsmittel zum Schutze des Besitzes die Possessorischen Interdicte gegeben (s. u. Besitz); an Stelle derselben bildete sich das Besitzverfahren, unter dem Einfluß älterer deutscher Ansichten, des Canonischen Rechtes, der Praktiker u. Reichsgesetze in eigenthümlichen Formen aus. Hiernach findet A) zum Zwecke der Erhaltung des Besitzes ein doppeltes Verfahren: a) das P. ordinarium; hierbei ist der gegenwärtige fehlerfreie Besitz des Klägers Gegenstand des Verfahrens, u. es kann darüber je nach Umständen der unbestimmt summarische [410] Proceß, auch wohl der Mandats proceß, selbst das ordentliche Verfahren eingeleitet werden. Der Kläger hat vor dem Richter der belegenen Sache seinen gegenwärtigen fehlerfreien Besitz u. die erlittene Störung auszuführen, wogegen der Beklagte alle Einreden, die Fehler des Besitzes od. ein besseres Besitzrecht begründen, selbst wenn sie illiquid sind, vorschützen darf, während ihm Einreden, welche sich auf das Recht selbst beziehen, nur insofern verstattet sind, als sie sofort liquid vorliegen. Das Urtheil erstreckt sich nur über den Besitzstand, mit Untersagung fernerer Störung u. nach Befinden Auferlegung einer Caution. b) P. summarium (P. summariissimum), ist nur darauf berechnet, denjenigen, welcher sich im jüngsten juristischen Besitze befindet, provisorisch zu schützen. Nächster Zweck des Verfahrens ist daher nur, einen Zustand herzustellen, welcher eigenmächtige Angriffe Seitens der einen od. anderen Partei ausschließt. Diesem Zwecke gemäß kann daher der Richter sogar von Amtswegen die Besitzverhältnisse momentan reguliren, od. eine Sequestration od. einen gemeinschaftlichen Besitz anordnen. Der Kläger braucht blos eine fehlerfreie Besitzeshandlung darzuthun, der Beklagte wird nur mit Einreden gehört, welche etwa das Verfahren betreffen, nicht liquide Einreden, mögen sie im Übrigen Besitzstand od. Rechtsstand betreffen, werden zum ordentlichen Besitzproceß verwiesen. Das Verfahren wird überhaupt mit möglichster Kürze, im Geiste des unbestimmt summarischen Processes od. des bedingten od. unbedingten Mandatsprocesses geführt. Der richterliche Ausspruch (Manutenenzdecret) wird durch ein dawider eingelegtes Rechtsmittel in seiner Executionsfähigkeit nicht suspendirt. B) Zum Zwecke der Wiedererlangung eines widerrechtlich entzogenen Besitzes wurde durch das Canonische Recht die Spolienklage (Remedium spolii) geschaffen. Jeder, welcher widerrechtlich u. eigenmächtig eines Besitzes einsetzt worden ist, kann hiernach auf Grund der erlittenen Entsetzung (Spolium) nicht blos vom Thäter (Spoliato) selbst, sondern auch von jedem dritten Besitzer, welcher, als er die Sache in die Hände erhielt, Wissenschaft von der Spoliation hatte, Restitution der Sache mit allen Früchten u. Nutzungen erlangen. Die Einreden des Beklagten haben sich darauf zu beschranken, daß keine eigenmächtige u. widerrechtliche Besitzentsetzung stattgefunden habe; das Verfahren selbst wird nach den Grundsätzen des unbestimmt summarischen Processes geleitet. C) Bei den auf Erlangung eines Besitzes gerichteten Rechtsmitteln (Interdicta adipiscendae possession) wird in der Regel ebenfalls nach den Grundsätzen des unbestimmt summarischen od. des Mandatsprocesses verhandelt; Einreden, welche das Recht selbst betreffen, werden auch dabei nicht zugelassen. In der Regel sind alle possessorischen Rechtsmittel nur Vorbereitungen zur Verfolgung des Rechtes selbst.