Staatsservituten

[643] Staatsservituten (Staatsdienstbarkeiten), Beschränkungen, welche sich ein Staat in Betreff des ihm zugehörigen Gebietes in der freien Ausübung seiner Hoheitsrechte gefallen zu lassen hat. Dergleichen Beschränkungen können schon in der natürlichen Beschaffenheit der Dinge begründet sein, so daß sich der betroffene Staat denselben gar nicht entziehen kann, z.B. der Aufnahme des aus den Grenzen eines anderen Staates natürlich abfließenden Gewässers od. der freien Herauslassung eines solchen Gewässers in den Nachbarstaat. Solchenfalls spricht man von natürlichen S. (Servitutes juris gentium naturales). Doch können solche Beschränkungen auch in Folge positiver Bestimmungen entstehen, welchenfalls die S. gewillkürte (Servitutes juris gentium voluntariae) genannt werden. Als Subjecte erscheinen dabei ein berechtigter Staat, zu dessen Gunsten eine solche Beschränkung auf dem fremden Staatsgebiet besteht, od. auch nur ein von dem verpflichteten Staat unabhängiges, durch das Völkerrecht geschütztes Individuum, u. ein verpflichteter Staat, dessen Verpflichtung indessen nicht so weit gehen darf, daß dadurch seine Selbständigkeit ganz aufgehoben würde. Die Gegenstände, worauf sich dergleichen S. erstrecken, sind hohe od. niedere Regalien des verpflichteten Landes. Der Wirkung nach hat man dabei zu unterscheiden, affirmative S., welche darin bestehen, daß der berechtigte Staat eine hoheitliche Befugniß in dem fremden Staate als eine eigene auszuüben hat, z.B. ein auf fremdem Staatsgebiet zustehendes Besteuerungsrecht, das Recht eine Besatzung in einem Platze des fremden Territoriums zu halten, das Recht auf eine Militärstraße, das Flößrecht auf einem dem fremden Staate angehörenden Flusse; u. negative S., welche das Recht enthalten, daß der verpflichtete Staat zu Gunsten des berechtigten sich der Ausübung einer Hoheitsgewalt innerhalb seiner Grenzen bis zu einem festgesetzten Umfang enthalten muß, z.B. das Untersagungsrecht gegen Errichtung fester Plätze in einem gewissen Rayon des Landes, das Verbietungsrecht gegen Aufstellung einer größeren Heeresmacht, gegen Anlage von Häfen u. dgl. Ein Beispiel einer S., wo das berechtigte Subject nicht ein Staat ist, bildet das in der deutschen Bundesacte Artikel 17 geschützte Postregal des Hauses Thurn u. Taxis. Die Bestellung der S. geschieht regelmäßig durch Vertrag, ausnahmsweise auch durch unvordenklichen Besitzstand. Im Zweifel ist die Präsumtion immer für den Verpflichteten, derselbe ist im Zweifel auch bei affirmativen S. nicht von der Ausübung derselben Befugniß (z.B. des Besteuerungsrechtes) ausgeschlossen, wenn nicht die S. ihrer Natur nach sich als eine ausschließliche darstellt od. auf die Mitausübung ausdrücklich Verzicht geleistet worden ist. Vgl. N. G. Gönner, Entwurf des Begriffs u. der Grundsätze der deutschen S., Erl. 1800.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 16. Altenburg 1863, S. 643.
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