[536] Verzicht (Renuntiatio), 1) im weiteren Sinne jede Aufgebung eines Rechtes; 2) diejenige Aufgebung eines Rechtes, welche durch ein Rechtsgeschäft, bes. durch eine verbindliche Erklärung des Verzichtenden, von dem ihm zustehenden Rechte keinen Gebrauch machen zu wollen geschieht. In der Regel kann auf alle Rechte ohne Unterschied verzichtet werden, welche sich als reine Vermögensrechte darstellen; nur der V. auf die aus Familienverhältnissen stammenden Rechte ist der Regel nach unwirksam, weil ihre Entäußerung sich als die Aufgabe natürlich-sittlicher Verhältnisse die Grundlagen der menschlichen Ordnung zerstören würde. Doch gibt es in beiden Beziehungen nach dem positiven Rechte Ausnahmen. Manche Rechte, welche an sich als Vermögensrechte zu betrachten sind, sind doch wegen des allgemeineren Interesses, welches an ihnen haftet, für unverzichtbar erklärt; andererseits kann auch auf manche Familienrechte, wie z.B. das Verhältniß der väterlichen Gewalt, insoweit sie sich nach der vermögensrechtlichen Seite in besonderer Weise entwickelt hat, verzichtet werden. Als Willenserklärung steht der V. unter den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, welche über die Annahme u. Auslegung von Willenserklärungen überhaupt gelten. Da im Zweifel anzunehmen ist, daß ein Berechtigter von seinen Rechten so wenig wie möglich habe schwinden lassen wollen, so ist ein V. im Zweifel immer so eng wie möglich zu verstehen u. auszulegen. Dagegen braucht ein V. nicht immer mit ausdrücklichen Worten, sondern kann auch durch schlüssige Handlungen erklärt sein; z.B. ist es ein gültiger V. auf eine Forderung, wenn der Gläubiger dem Schuldner die darüber ausgestellte Schuldurkunde zurückgegeben hat. Ältere Rechtslehrer haben wohl die Meinung aufgestellt, daß ein allgemeiner V. nicht binde, wenn nicht jedem einzelnen Rechte od. Einwande od. wenigstens einigen derselben besonders entsagt worden sei; allein dies gilt nur da, wo das Gesetz die Gültigkeit eines allgemeinen V-s ausdrücklich in solcher Weise beschränkt hat. Eine wichtige Stelle haben im deutschen Privatfürstenrechte früher die Erbverzichte der Töchter gebildet, mittelst deren die Prinzessinnen des Hauses entweder schon bei erlangter Mannbarkeit (in Baden mit erreichtem 12, in Hannover nach erlangtem 16. Lebensjahre) od. doch bei ihrer Verheirathung auf die Thronfolge u. das etwa damit verbundene Hausfideicommiß zu Gunsten des Mannsstammes zu verzichten verpflichtet sind. Derartige V-e haben indessen nur da einen reellen Werth, wo den Töchtern, wie z.B. bei reinen Allodialbesitzungen, wirkliche Successionsrechte neben den männlichen Gliedern des Hauses zustehen. Wenn dagegen, wie dies jetzt in allen deutschen Fürstenhäusern der Fall ist, die Töchter ohnedies, so lange der Mannsstamm blüht, kein Successionsrecht haben, so erscheinen dergleichen V-e nur als eine Cautel, durch welche nichts weiter anerkannt wird, als was sich von selbst versteht, daher denn auch, wenn etwa ein solcher Erbverzicht bei der Verheirathung einer Prinzessin aus Übersehen unterblieben wäre, die Prinzessin nichts desto weniger als wie durch V. ausgeschlossen zu achten ist.