Verdacht

[456] Verdacht, die aus objectiven Gründen entstandene Vermuthung, daß Jemand ein Unrecht gethan habe od. noch thun wolle. Der V. hat seine besondere Bedeutung im Criminalprocesse, theils als Grund zur Einleitung einer strafrichterlichen Untersuchung überhaupt, od. zur Vornahme eines einzelnen Untersuchungsvorschrittes, wie einer Haussuchung od. Verhaftung; theils als mögliche Unterlage für die Überführung eines Angeschuldigten. Die Verdachtsgründe führen hier den Namen Inzichten, Indicien (s.d.). Außerdem kann der V., welchen eine Partei gegen den Richter um deswillen hegt, weil sie befürchtet, daß derselbe ihre Rechtssache nicht richtig u. gesetzmäßig erörtere od. entscheide, zur Recusation (Perhorrescenz, s.u. Perhorresciren) des Richters führen. Die Verdachtsgründe müssen aber hier entweder auf ein persönliches Verhältniß des Richters zu der einen od. andern Partei, od. auf irgend ein mittelbares Interesse, welches der Richter selbst an dem Ausgange des Processes haben könnte, Bezug haben u. überdies von dem Antragsteller bewiesen werden, wozu nöthigenfalls auch der Perhorrescenzeid (s.u. Perhorresciren) dienen kann. Ein Zeuge ist verdächtig, wenn es zweifelhaft von ihm ist, ob er die Wahrheit sagen werde. Die hierbei vorkommenden Verdachtsgründe theilen sich in absolute, welche schon in den persönlichen Eigenschaften u. Verhältnissen eines Zeugen, für sich betrachtet, liegen; u. in relative, welche entweder aus dem Verhältniß des Zeugen zur Sache selbst, od. zu einem der streitenden Theile hervorgehen. In die erste Klasse gehören namentlich Unmündigkeit, Ehrlosigkeit, schlechter Lebenswandel; in die zweite besondere Vorliebe für eine Partei, Verwandtschaft mit derselben, ein besonderes Pflichtverhältniß, wie z.B. bei Dienstboten, Advocaten etc., besondere Feindschaft od. Abneigung. Die bloße Verdächtigkeit eines Zeugen hindert nicht dessen Abhörung an sich; die Entscheidung aber darüber, ob u. wie viel der Aussage des verdächtigen Zeugen zu glauben sei, hängt von den Umständen ab u. ist in der Regel dem jedesmaligen Ermessen des Richters überlassen.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 456.
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