[127] Baukunst.
Wir betrachten hier die Baukunst nur in so fern der Geschmak einen Antheil daran hat; das mechanische darin, obgleich jeder Baumeister dasselbe genau verstehen muß, gehört nicht hieher. Dieses, nebst dem wissenschaftlichen, das der Baumeister aus der Mathematik schöpfen muß, davon abgesondert, so bleibt noch genug übrig, um dieser Kunst einen Rang unter den schönen Künsten zu geben. Das Genie, wodurch jedes gute Werk der Kunst seine Wichtigkeit und innerliche Größe, oder die Kraft bekommt, sich der Aufmerksamkeit zu bemächtigen, den Geist oder das Herz einzunehmen; den guten Geschmak, wodurch es Schönheit, Annehmlichkeit, Schiklichkeit, und überhaupt einen gewissen Reiz bekommt, der die Einbildungskraft fesselt; diese Talente muß der Baumeister so gut, als jeder andrer Künstler besitzen. Eben der Geist, wodurch Homer oder Raphael groß worden, muß auch den Baumeister beleben, wenn er in seiner Kunst groß seyn soll. Alles, was er, durch diesen Geist geleitet, hervor bringt, ist ein wahres Werk der schönen Künste. Die Nothdurft, zu deren Behuf ein Gebäud aufgeführet wird, bestimmt dessen Haupttheile; durch mechanische und mathematische Regeln bekömmt es seine Festigkeit; aber aus Sachen, die die Nothdurft erfunden, ein Ganzes zusammen zu setzen, das in allen seinen Theilen jedes Bedürfniß unsrer Vorstellungskraft befriediget; dessen überlegte Betrachtung den Geist beständig in einer vortheilhaften Würkung erhält; das durch sein Ansehen Empfindungen von mancherley Art erweket; das dem Gemüthe Bewundrung, Ehrfurcht, Andacht, feyerliche Rührung einpräget; dieses sind Würkungen des durch Geschmak geleiteten Genies; und dadurch erwirbt sich ein großer Baumeister einen ansehnlichen Rang unter den Künstlern.
Wie diese Kunst in ihren Ursachen so edel, als irgend eine andre ist; so kann sie auch ihren Rang durch ihre Würkungen behaupten. Woher hat der Mensch überhaupt seine Begriffe von Ordnung, von Schönheit, von Harmonie und Uebereinstimmung, gewiß nützliche und wichtige Begriffe; woher hat er die ersten Empfindungen von Annehmlichkeit, von Lieblichkeit, von Bewundrung der Größe, und selbst von Ehrfurcht für höhere Kräfte, als aus überlegter Betrachtung körperlicher Gegenstände, die der Bau der Welt ihm vor Augen stellt? Sieht man nicht, daß der erste Anwachs der menschlichen Vollkommenheit, der Schönheit, Annehmlichkeit, Bequemlichkeit und andern vortheilhaften Eindrüken der Gegend, die man bewohnet, zuzuschreiben sey? Und trägt nicht ein elendes, von allen Annehmlichkeiten und Bequemlichkeiten entblößtes Land, das meiste zu der elenden Barbarey und [127] dem viehischen Zustand seiner Einwohner bey? wenn dieses nicht kann geleugnet werden, so kann man auch der Baukunst, die jeden nützlichen Eindruk, den die Schönheit einer Gegend machen kann, auch durch ihre Veranstaltung, nach einer andern Art, hervor bringet, den Nutzen zur Cultur des Geistes und des Gemüthes nicht absprechen.
Wer irgend einen Geschmak an Ordnung, Schönheit und Pracht in blos körperlichen Gegenständen hat, der lese die Nachricht, welche Pausanias von Athen giebt, und überlege hernach, was für Würkungen es auf einen Athenienser müsse gehabt haben, in einer solchen Stadt zu wohnen. Der würde gewiß eine geringe Kenntniß der menschlichen Natur verrathen, der nicht begreifen könnte, wie viel vortheilhafte Würkung auf die Veredlung des Menschen dergleichen Gegenstände haben können. Ist die Nation, die in den besten Gebäuden wohnt, nicht eben die vollkommenste, und giebt es in Ländern, wo nur elende Hütten sind, Menschen, die nichts weniger als barbarisch sind; so folget daraus nicht, daß jene nicht viel gutes an sich haben, das sie in andern Wohnungen nicht haben würden; und daß diese nicht noch vollkommener seyn würden, wenn sie den guten Einfluß dieser Kunst auch empfunden hätten. So wenig man indessen sagen kann, daß die Baukunst eben die wichtigste Kunst zur Cultur des Menschen sey, so wenig kann man ihr den Antheil, den sie nebst andern Künsten an dieser allein wichtigen Sache hat, ganz absprechen.
Das Wesen der Baukunst, in so fern sie die Frucht des vom Geschmak geleiteten Genies ist, besteht darin, daß sie den Gebäuden alle ästhetische Vollkommenheit gebe, deren sie, nach ihrer Bestimmung, fähig sind. Vollkommenheit, Ordnung, Schiklichkeit der innern Einrichtung; Schönheit der Form, ein schiklicher Charakter, Ordnung, Regelmäßigkeit, guter Geschmak in den Verzierungen von außen und innen; dieses sind die Eigenschaften, die der Baumeister jedem Gebäude geben muß.
Also muß er, wenn ihm die eigentliche Bestimmung desselben angezeiget wird, die Haupttheile in der schiklichsten Größe, jeden, wie er zum Gebrauch am vollkommensten ist, erfinden; die gefundenen Haupttheile dergestalt in ein Ganzes zusammen verbinden, und anordnen, daß nicht nur jeder Theil seinen schiklichen Ort bekomme, sondern das ganze, auswendig und inwendig, ein wol überlegtes, bequemes, seinem Charakter und seiner Bestimmung richtig entsprechendes, und nach seiner Form wol in die Augen fallendes Werk ausmache; jeder einzele Theil muß bis auf die geringste Kleinigkeit so seyn, wie er sich zu dem, was er seyn soll, am besten schiket. Es muß überall Verstand, Ueberlegung und guter Geschmak aus dem Werk hervor leuchten. Alles unnütze, alles unbestimmte, alles widersprechende, alles verworrene, muß auf das sorgfältigste vermieden werden. Wenn das Aug durch die gute Form des Ganzen gereizt worden, so muß es so gleich auf die wesentlichen Haupttheile geleitet werden, selbige wol unterscheiden können, und wenn es davon gesätiget ist, auf die kleinern Theile geführt werden; deren Bestimmung, Nothwendigkeit und Schiklichkeit zum Ganzen einleuchtend fühlen. In dem Ganzen muß eine solche Harmonie, ein solches Gleichgewicht der Theile seyn, daß kein Theil zum Schaden des Ganzen weder hervor steche, noch durch Mangel und Unvollkommenheit die Aufmerksamkeit stöhre. Kurz, alle Weisheit und aller Geschmak, den man an dem äußern und innern Bau des menschlichen Körpers bewundert, daran alles vollkommen ist, muß nach Beschaffenheit des Gegenstandes auch in einem vollkommenen Gebäude zu bemerken seyn.
Also hat der Baumeister, wie jeder andre Künstler, die Natur für seine eigentliche Schule zu halten. Jeder organisirte Körper ist ein Gebäude; jeder innere Theil ist vollkommen zu dem Gebrauch, wozu er bestimmt ist, tüchtig; alle innere Theile sind in der bequemsten und engesten Verbindung; das Ganze hat zugleich in seiner Art die beste äusserliche Form, und ist durch gute Verhältnisse, durch genaue Uebereinstimmung der Theile, durch Glanz und Farbe angenehm. Diese Eigenschaften hat auch jedes vollkommene Gebäude. Man könnte deswegen mit einigem Schein behaupten, daß dem Baumeister die Erfindungskraft und das Genie noch nöthiger sind, als dem Mahler; denn dieser kann schon durch eine pünktliche Nachahmung der Natur gute Werke hervor bringen, da der andre nicht die Werke der Natur, sondern das Genie und den Geist derselben nachzuahmen hat, wozu mehr, als ein blos leibliches Aug nöthig ist. Der Mahler erfindet seine Formen nicht, sie sind schon in der Natur vorhanden; aber der Baumeister muß sie erschaffen. [128] Deswegen gereicht die Vollkommenheit der Baukunst einer Nation zu nicht geringerer Ehre, als die ist, die sie durch andre Talente erwerben kann. Elende Gebäude, die bey einer gewissen Größe weder Bequemlichkeit noch Regelmäßigkeit haben; bey denen widersinnische Veranstaltungen, abentheuerliche Verhältnisse, Unfleiß der Arbeit, und andre Mängel dieser Art durchgehends herrschen, sind ein untrüglicher Beweis von dem Unverstand und dem schlechten Gemüthszustand einer Nation. Vortheilhafte Begriffe hingegen muß man von der Denkungsart eines Volkes bekommen, das auch in seinen geringsten Gebäuden und in den kleinesten Theilen derselben, wahren Geschmak, Ueberlegung, Schiklichkeit und edle Einfalt zeiget? Bey den Thebanern war ein Gesetz, nach welchem ein Mahler, der ein schlechtes Werk verfertiget hatte, um Geld gestraft wurd.1 Wichtiger wär es, in einem gesitteten Staat Gesetze zur Verhütung grober Fehler gegen die Baukunst einzuführen. Die Aufnahm der Baukunst und ihr Einfluß auf die geringste Privatgebäude ist gewiß der Aufmerksamkeit eines Gesetzgebers nicht unwürdig; und so gut, nach dem Urtheil der ehemaligen Spartaner, die Musik einen Einfluß auf die Sitten haben kann, so gewiß kann die Baukunst dieses thun. Schlechte, ohne Ordnung und Verstand entworfene und aufgeführte, oder mit närrischen, abentheuerlichen, oder ausschweifenden Zierrathen überladene Gebäude, die in einem Lande allgemein sind, haben unfehlbar eine schlimme Würkung auf die Denkungsart des Volks.
Der gute Geschmak der Baukunst ist im Grunde eben der, der sich so wol in andern Künsten, als in dem ganzen sittlichen Leben der Menschen vortheilhaft äußert. Seine Würkung ist, daß in einem Gebäude nichts unüberlegtes, nichts unverständiges, nichts, das der Richtigkeit der Vorstellungskräfte zuwider ist, angetroffen werde; daß jeder einzele Theil sich zum ganzen wol schike; daß das Ansehen und der Charakter, oder das Gepräge des Gebäudes, mit seiner Bestimmung wol überein komme; daß kein Theil und keine Zierrath daran sey, von der man nicht ohne Umschweif sagen könne, warum sie da sey: daß die edle Einfalt dem Ueberfluß an Zierrathen vorgezogen werde; daß endlich aus jedem einzeln Theile Fleiß und Verstand deutlich hervor leuchten. An den wenigen Gebäuden, die von der guten Zeit der griechischen Baukunst übrig geblieben sind, zeigen sich alle diese Eigenschaften deutlich; sie können als Muster des reinen Geschmaks angesehen werden.
Die ersten Bemühungen in dieser Kunst entstehen natürlicher Weise bey jedem Volke, so bald es sich aus der gröbsten Barbarey losgerissen, Muße zum Nachdenken und Begriffe von Ordnung, Bequemlichkeit und Schiklichkeit, bekommen hat. Denn es ist dem Menschen natürlich, das Ordentliche der Unordnung vorzuziehen. Also fällt der Ursprung der Baukunst in die entferntesten Zeiten, und ist nicht bey einem Volk allein anzutreffen. Es würde angenehm und lehrreich seyn, die Hauptarten des Geschmaks in der Baukunst, durch Aufzeichnung einiger Hauptgebäude der, diese Kunst übenden, aber sonst keine Gemeinschaft unter sich habenden, Nationen, vor Augen zu legen. Es würde sich viel von dem Nationalcharakter derselben daraus bestimmen lassen. Man würde zwar in allen dieselben Grundgesetze, aber auf sehr verschiedene Weise angewendet, finden.
Der Geschmak, den die neuern Europäer angenommen haben, ist im Grunde derselbe, der ehedem in Griechenland und in Italien geherrscht hat. Er scheinet, wie die ersten Anfänge verschiedener andrer Künste, nicht auf dem griechischen Boden erzeuget, sondern aus Phönizien und Egypten dahin gekommen zu seyn; aber durch das feine Gefühl und den männlichen Verstand der Griechen seine Vollkommenheit erreicht zu haben. In Egypten trift man noch Ruinen von Gebäuden an, die allem Ansehen nach älter, als der Anfang der eigentlichen Geschichte sind. An denselben ist schon der griechische Geschmak, auch so gar in kleinern Verzierungen zu entdeken.2 Von phönizischen, babylonischen und persischen Gebäuden hat sich nichts aus dem hohen Alterthum erhalten. Da aber der salomonische Tempel ohne Zweifel das Gepräge der phönizischen Bauart gehabt; so kann man auch von dieser sagen, daß sie mit der egyptischen überein gekommen.
Man muß also den Orient, und vermuthlich die Länder disseits des Euphrats, als den Geburthsort derjenigen Bauart ansehen, welche von den Griechen auf den höchsten Grad der Vollkommenheit erhoben worden. Diese scheinen die Kunst noch in einem[129] etwas rohen Zustande bekommen zu haben. Denn noch sind ansehnliche Ruinen griechischer Gebäude vorhanden, die weit über die gute Zeit des Geschmaks heraufsteigen, wie die Ruinen von Pestum am salernitanischen Meerbusen, und von Agrigent in Sicilien.3 Diese Bauart hat in Griechenland und Italien verschiedene besondre Wendungen, als so viel Schattirungen bekommen, die man hernach mit dem Namen der Ordnungen bezeichnet hat. Die Hetrurier und Dorier sind der alten Einfalt und Rohigkeit am nächsten geblieben. Die Jonier scheinen etwas mehr Annehmlichkeit und eine Art Weichlichkeit hineingebracht zu haben. Hernach aber, als Griechenland der Hauptsitz aller schönen Künste geworden war, kam noch mehr Zierlichkeit und so gar etwas Ueppigkeit hinein, wie an der corinthischen Ordnung zu sehen; dieses haben die späthern Römer noch weiter getrieben.4
Noch itzt wird allemal, wo Säulen oder Pfeiler angebracht werden, eine dieser fünf alten Ordnungen zur Richtschnur gewählt. Sie sind so gut ausgedacht, daß man, ohne Gefahr die Sachen schlechter zu machen, sich nicht weit von den Formen und Verhältnissen der Alten entfernen kann. Es ist nicht mehr zu erwarten, daß eine von diesen Ordnungen würklich verschiedene, und dennoch gute Gattung, werde erfunden werden. Die Römer scheinen schon alle mögliche Versuche hierüber erschöpft zu haben. Sie nahmen sich ernstlich vor, Rom durch die Schönheit der Gebäude über alle Städte der Welt zu erheben, und es ist angenehm zu lesen, was Strabo hievon erzählt.5 Dennoch haben diese außerordentlichen Bestrebungen von den besten aus allen Theilen Griechenlandes versammelten Baumeistern nichts, als die einzige römische Ordnung herausgebracht, die doch nur aus einer Vereinigung der corinthischen und jonischen besteht.
Nach Erlöschung der Familie der Cäsaren fieng in Rom die Baukunst an zu fallen. Man verließ nach und nach die edle Einfalt der Griechen, und überhäufte alles mit Zierrathen. Die Gebäude nahmen den Charakter der Sitten, die allen großen despotischen Höfen gemein sind, an: ein Gepränge, das die Augen verblenden sollte, kam in die Stelle der wahren Hoheit und Größe. Von dieser Art sind verschiedene noch aus diesen Zeiten vorhandene Werke, als; die Triumphbogen der Kayser Severus, des M. Aur. Antoninus, des Constantinus; besonders aber der Bäder des Diokletianus. So wie das Reich an Hoheit abnahm, sank auch die Baukunst. Die Römer brachten sie auch nach Constantinopel, wo sie sich viele Jahrhundert in einem Stande der Mittelmäßigkeit erhalten hat. In Italien wurd man immer mehr und mehr für die guten Verhältnisse. gleichgültig, und verlohr sie zulezt ganz. Als sich nach dem Untergang des Reichs, die Gothen, Longobarden, und hernach die Saracenen in ihren eroberten Ländern festgesezt hatten, unternahmen sie große Gebäude, an denen nur noch wenige Spuren des guten Geschmaks übrig blieben; fast gar alle Regeln der Schönheit wurden aus den Augen gesezt; desto mehr aber wurd das mühsame, das gezierte, das seltsame und einigermaaßen abentheuerliche gesucht.
Mitten in diesen Zeiten des barbarischen Geschmaks der Baukunst wurden die meisten Städte in Deutschland, und die meisten Kirchen im ganzen Occident gebauet, an denen wir das Gepräge einer über alle Regeln ausgeschweiften Bauart noch itzt sehen. Diese Gebäude setzen durch ihre Größe, durch die unermeßliche Verschwendung der Zierrathen, durch die gänzliche Vernachläßigung der Verhältnisse, in Erstaunen. Doch finden sich noch hin und wieder Spuren des nicht ganz erloschenen Geschmaks. An der Marcuskirche in Venedig, die zwischen den Jahren 977 und 1071 gebauet worden, ist noch etwas von wahrer Pracht und von guten Verhältnissen übrig; und in derselben Stadt ist die Kirche Sancta Maria formosa bey nahe noch im antiken Geschmak, im Jahr 1350 von Paulo Barbetta gebauet.
Aus den großen Gebäuden der mittlern Zeiten, die in verschiedenen Städten Italiens noch zu sehen sind, läßt sich ziemlich deutlich sehen, wie durch diese Zeiten sich noch immer etwas von dem guten Geschmak der Baukunst erhalten hat. Im Jahre 1013 wurd die Kirche zu St. Miniat in Florenz angelegt, die in einem erträglichen Geschmak gebauet ist, und im Jahr 1016 wurd der Grund zu dem Dohm in Pisa gelegt. Der Baumeister desselben war ein Grieche aus Dulichium, den die Italiäner Buschetto nennen. Die Pisaner, die damals einen großen Handel nach Griechenland trieben, ließen marmorne Säulen von alter Arbeit daher bringen, die an diesem Gebäude angebracht [130] wurden. Bey dieser Gelegenheit ließen sie auch Mahler und Bildhauer aus Griechenland kommen. Um dieselbe Zeit fieng man auch in Rom, Bologna und Florenz an zu bauen. Um das Jahr 1216 bauete ein gewisser Marchione, der zugleich ein Bildhauer war, die schöne Capelle von Marmor in der Kirche Sta. Maria Maggiore in Rom.
Einer der größten Baumeister der mittlern Zeiten war ein Deutscher, den man den Meister Jacob nennte. Er setzte sich in Florenz, wo er das große Franziskanerkloster gebauet hat. Sein Sohn, den die Welschen Arnolfo Lapo nennen, bauete die Kirche des heiligen Creuzes in Florenz, und gab die Zeichnung zu der prächtigen Kirche de Sancta Maria de fiore. Dieser starb im Jahre 1200.
Die kleinen Reste des guten Geschmaks breiteten sich doch in diesen Zeiten nicht außerhalb Italien aus. An allen den erstaunlichen Gebäuden dieser Zeit, die noch itzt von dem ehemaligen Reichthum der Niederlande zeugen, ist bey der unbegreiflichen Verschwendung der Arbeit wenig gesundes. Dieses muß man auch von dem Münster in Straßburg sagen, welches im 13. Jahrhundert aufgeführt worden, und unter die erstaunlichsten Gebäude der Welt gehört. Der Baumeister desselben war ein gewisser Erwin von Steinbach.
Aber in dem 15. Jahrhundert fieng die Baukunst an, sich aus den alten Trümmern wieder empor zu heben; die Städte erholten sich von den barbarischen Zerrüttungen, welche durch die Staatsverwirrungen angerichtet worden waren. Bey dem häufigen Bauen, das nach der wieder hergestellten Ruhe unternommen wurde, fieng man wieder an, auf die Schönheit zu sehen; man sah nun die alten Ueberbleibsel mit Nachdenken an, und maaß die Verhältnisse an denselben. Ein gewisser Ser Bruneleschi, der zu Anfange des 15. Jahrhunderts gelebt hat, war einer der ersten, die sich die Mühe gegeben, in Rom, mit dem Maaßstab in der Hand, auf den Trümmern der alten Gebäude herum zu gehen. Von dieser Zeit an wurd die Aufmerksamkeit auf diese Muster immer größer, bis am Ende dieses und am Anfange des 16. Jahrhunderts Alberti, Serlio, Palladio, Mich. Angelo, Vignola und andre Männer erschienen, die sich außerordentliche Mühe gegeben, jede Regel zu entdeken, durch welche die Gebäude der Alten ihre Schönheit bekommen haben. Und so wurde die Baukunst wieder hergestellt.
Doch erschien sie nicht in ihrer ehemaligen Reinigkeit. Auch die späthern Gebäude des alten Roms, die schon viel Fehler hatten, besonders die diokletianischen Bäder, wurden zu Mustern genommen. Selbst die größten Baumeister, Palladio und Mich. Angelo, nahmen die Fehler des unter den Kaysern schon sinkenden Geschmaks unter ihre Regeln auf, und das Ansehen dieser großen Männer gab ihnen ein Gewicht, das sich bey vielen bis auf diesen Tag erhalten hat. Inzwischen breitete sich der gute Geschmak aus Italien nach und nach auch in die übrigen Länder von Europa aus. Gegenwärtig findet man von Rußland bis nach Portugall, und von Stokholm bis nach Rom, aber nur hier und da, Gebäude, die zwar nicht ganz untadelhaft, aber doch größtentheils in dem wahren Geschmak aufgeführt sind. Doch sind sie so einzeln, daß man nicht sagen kann, die wahre Baukunst sey durch Europa gemein worden. Noch sind genug ansehnliche Städte, wo man die Spuren guter Baumeister fast gänzlich vermißt. Indessen, da fast alle Ueberbleibsel der griechischen und römischen Baukunst abgezeichnet, und überall ausgebreitet sind, fehlet es den neuern Baumeistern an nichts mehr, sich in den wahren Geschmak des Alterthums zu setzen, als an überlegter Betrachtung derselben. Wir wollen diesen Artikel mit einigen Betrachtungen über die Theorie der Baukunst beschließen.
Der Gebrauch, wozu jedes Gebäude bestimmt ist, giebt dem Baumeister fast allemal die Größe desselben und die Menge der Zimmer, oder inwendigen Haupttheile an, wenn er nur, von einem gesunden Urtheil geleitet, fühlt, was sich in jedem Fall für die Personen, Zeiten und Umstände schiket. Sein Werk ist es, die erfundenen Theile wol zusammen zu setzen, ihre besten Verhältnisse zu bestimmen, dem ganzen Gebäude eine bequeme und schöne Form zu geben, dessen äußerliches Ansehen so wol, als alles inwendige, nach der besondern Art des Gebäudes, angenehm und schön zu machen. Bey dieser Arbeit muß er durch gewisse Grundsätze geleitet werden, die sein Urtheil über das schöne und angenehme sicher machen; er muß gewisse Erfahrungen haben, die ihm da, wo seine Grundsätze nicht bestimmt genug sind, das Schöne hinlänglich [131] zu erkennen geben. Hieraus entsteht die Theorie der Baukunst. Man bemerke zuvoderst, daß es gewisse Regeln giebt, welche bey jedem Gebäude überhaupt, und bey jedem Theile desselben müssen beobachtet werden, wenn man nicht anstößige und beleidigende Fehler begehen will. Diese Regeln wollen wir die nothwendigen Regeln nennen. Andre aber sind von der Beschaffenheit, daß ihre gänzliche Verabsäumung zwar keinen Fehler veranlassen, aber einen gänzlichen Mangel der Schönheit hervor bringen würde. Diese nennen wir zufällige Regeln. Die Theorie der Baukunst muß demnach zuerst diejenige Regeln angeben, wodurch ein Gebäude so wol im ganzen, als in seinen Theilen richtig, ordentlich, natürlich und ohne Fehler wird. Diese sind größtentheils in den folgenden Artikeln begriffen: ⇒ Richtigkeit, ⇒ Regelmäßigkeit, ⇒ Zusammenhang, ⇒ Ordnung, ⇒ Gleichförmigkeit, Eurythmie. Denn die Eigenschaften, welche durch diese Wörter bezeichnet werden, sind alle jedem Gebäude so wesentlich, daß man niemals dagegen anstoßen kann, ohne ein aufmerksames Auge zu beleidigen.
Wenn aber alles anstößige in einem Gebäude vermieden worden, so ist es deshalb noch nicht schön. Denn dazu gehört nicht nur, daß das Auge nicht beleidiget werde, sondern daß das Gebäude angenehm in die Augen falle. Dieses erfodert zuerst eine genaue Verbindung des Mannigfaltigen in Eines, (S. ⇒ Schön.) welches durch die Verschiedenheit der Theile, und durch mannigfaltige und gute Verhältnisse derselben hervor gebracht wird. Die Theorie der Baukunst muß demnach zeigen, wie das Ganze des Gebäudes durch mancherley verschiedene Theile, die wol übereinstimmen und schöne Verhältnisse gegen einander haben, zusammen gesetzt werde.
Diejenigen, welche über die Baukunst geschrieben haben, sind nicht genau genug gewesen, den Unterschied dieser beyderley Arten der Regeln zu bemerken, und haben daher der Baukunst zu enge Schranken gesetzt.
Die meisten Baumeister sprechen von den Verhältnissen der Theile in den Säulenordnungen, und von den Vorzierungen derselben auf eine solche Art, die manchen vermuthen läßt, daß alle Regeln darüber schlechterdings nothwendig und bestimmt seyn. Sie halten die Abweichungen von diesen Regeln für wesentliche Fehler, da sie doch ofte ganz unschädlich, oder wol gar nützlich sind. Es wäre nach der Meynung vieler Baumeister ein schweeres Vergehen, wenn man die Zierrathen, welche nach der griechischen Baukunst dem dorischen Fries zukommen, dem corinthischen oder jonischen geben wollte. Viele gehen so weit, daß sie auch in den geringsten Kleinigkeiten nichts verändert wissen wollen. Vitruvius befiehlt z. E. man soll in dem dorischen Fries die Breite der Dreyschlitze zwey Drittel der Höhe, und die Metopen gerade so breit als hoch machen. Brächte ein Baumeister alle mögliche Schönheit in ein Gebäude, veränderte aber diese vitruvische Verhältnisse, so würde mancher ihn eines unverzeihlichen Fehlers beschuldigen.
Dies ist ein Vorurtheil, das den Geschmak zu sehr einschränkt. Nur die Regel ist gänzlich bestimmt und unveränderlich, deren Verabsäumung einen Fehler hervor bringt, der der natürlichen, allgemeinen Art aller Menschen zu denken und zu empfinden zuwider ist, und der das Aug nothwendig beleidiget. Auf diese Regeln muß man schlechterdings halten, denn sie sind unverletzlich. Da hingegen in der Natur kein Grund vorhanden ist, warum in einem Fries Dreyschlitze, in einem andern aber andre Zierrathen seyn sollen; warum das corinthische Capital drey, und nicht zwey Reihen Blätter haben soll; so muß man diese zufällige Schönheiten nicht in nothwendige Regeln fassen. Gleichwol vergiebt man insgemein einem Baumeister eher einen abgebrochenen Giebel, der ein Fehler wider die Natur ist, als einen Dreyschlitz, der außer dem vitruvischen Verhältniß ist; da doch dieses oft eine Schönheit und kein Fehler ist.
Die nothwendigen Regeln sind in der Natur unsrer Vorstellungen gegründet; die zufälligen sind die Frucht des Augenmaaßes und eines Gefühls, dessen eigentliche Schranken nicht zu bestimmen sind. Eine lange Erfahrung lehret, daß die griechischen Baumeister ein feines Auge gehabt haben, daß ihre Verhältnisse gefallen, daß ihre Verzierungen angenehm sind. Aber niemand ist im Stand, zu beweisen, daß sie die einzigen guten sind. Von verschiedenen Verzierungen wissen wir, daß sie ganz zufällig sind, und daß man oft angenehmere an ihre Stelle setzen könne. Sich gänzlich an die Regeln der Alten binden wollen, heißt eben so viel, als urtheilen, daß keine weibliche Figur schön seyn könne, die nicht in allen Stüken der mediceischen Venus [132] gleicht, und keine männliche, die nicht alle Verhältnisse des Apollo in Belvedere hat.
Wir rathen demnach denen, welche über die Theorie der Baukunst schreiben, daß sie zuvoderst die nothwendigen Regeln ausführlich und wol aus einander setzen, und deren Beobachtung genau einschärfen; weil es niemal erlaubt ist davon abzugehen. Die zufälligen Regeln können sie aus den besten Mustern des Alterthums, aus dem Vitruvius und den besten neuern Baumeistern nehmen, ohne deren genauste Beobachtung als schlechterdings nothwendig anzupreisen. Man muß sie nur als ungefehr richtige Gränzen ansehen, welche man niemal weit überschreiten kann, ohne in gefährliche Abwege zu gerathen. Für schlechte Baumeister, die selbst kein Augenmaaß und wenig Geschmak haben, ist es sehr gut, wenn sie sich genau an diese Regeln binden. Die aber ein feines Aug und einen sichern Geschmak haben, können sie sehr oft ohne Gefahr verlassen.
In allen Artikeln, wo wir von zufälligen Regeln zu sprechen haben, werden wir uns hauptsächlich an die halten, welche Goldmann angegeben hat. Man wird schweerlich einen Baumeister finden, der seine Kunst mit einem so scharfen Nachdenken bearbeitet hat, als dieser. Die allgemeinen, so wol nothwendigen, als zufälligen Regeln müssen auf folgende Hauptstüke besonders angewendet werden. 1) Auf die Anordnung oder Figur und Form der Gebäude überhaupt. 2) Auf die innere Eintheilung. 3) Auf die Verzierung besondrer Theile. Wenn also die Theorie in ihrem ganzen Umfange vorgetragen wird, so enthält sie folgende Hauptstüke. 1) Allgemeine Untersuchungen über die Vollkommenheit und Schönheit eines Gebäudes. 2) Regeln über die Anordnung. 3) Regeln über die Eintheilung. 4) Betrachtungen und Regeln über die Schönheit der Außenseiten (Façades.) 5) Betrachtungen und Beschreibungen der verschiedenen Säulenordnungen. 6) Von den kleinen Verzierungen der Glieder. 7) Von den inwendigen Verzierungen. Das mechanische der Baukunst übergehen wir hier.
DamenConvLex-1834: Karyatiden (Baukunst) · Kapital (Baukunst) · Baukunst
Goetzinger-1885: Romanische Baukunst
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Sulzer-1771: Jonisch (Baukunst) · Verhältnisse (Baukunst) · Galerie (Baukunst) · Capelle (Baukunst) · Fuß (Baukunst)
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