Baukunst

[198] Baukunst (die), nach dem Griechischen auch Architektonik, lehrt alle Arten Gebäude dauerhaft, bequem, schön und wohlfeil errichten und ist vor allen andern Künsten gemeinnützig und in genauer Verbindung mit dem geschäftigen Leben. Sie erscheint als die älteste aller Künste, als eine Tochter der Nothwendigkeit und des Bedürfnisses. [198] das sich in dem Verlangen nach einer sichern und bequemen Wohnung aussprach, und greift in ihren verschiedenen Richtungen fast in alle Zweige des öffentlichen und Privatlebens ein. Wird sie zur Sicherheit des Landes, zur Befestigung der Städte, zum Schutz gegen die Gewalt der Kriegswerkzeuge angewendet, lehrt sie den Gebrauch der letztern gegen den Feind, und Festungen bauen und erobern, so heißt sie Kriegsbaukunst; Anweisung zum Bau aller Arten Schiffe gibt die Schiffsbaukunst, und mit Errichtung der zur Bequemlichkeit und zu sonstigen Zwecken der in bürgerlicher Gemeinschaft lebenden Menschen nöthigen Gebäude, beschäftigt sich die bürgerliche Baukunst. Letztere zerfällt wieder in mehre Unterabtheilungen, als: die ökonomische oder landwirthschaftliche Baukunst, welche die zweckmäßige Anlage landwirthschaftlicher Bauten besorgt; die Wasserbaukunst, welche den Hafen-, Damm-, Ufer- und Kanalbau umfaßt; die Brücken- und Straßenbaukunst, welche Erleichterung der Communication bezweckt; die Maschinenbaukunft, wozu auch der Mühlenbau gehört; die Bergbaukunst, welche die Anlage der Erzgruben und der dabei nöthigen Maschinen leitet; die Stadtbaukunst, zu welcher nicht allein der Bau der bürgerlichen Wohnungen, der Fabriken und anderer Häuser für gewerbliche Zwecke, sondern auch der Prachtbau der Paläste, der Kirchen, der Schauspielhäuser, der Staatsgebäude, der Denkmäler und zum Theil auch die Gartenbaukunst gerechnet wird, die zunächst Anlage und Verschönerung der Gärten zum Gegenstande hat. Der Ursprung der Baukunst darf nicht bei einem Volke gesucht werden, da den Wunsch nach Sicherheit vor Wind und Wetter und wilden Thieren wol alle Menschen sehr frühzeitig theilten und je nachdem sie in Wäldern, Gebirgen oder als Nomaden lebten, durch Hütten, Höhlen und Zelte zu befriedigen suchten. An ihre Stelle traten bei den vom Jagd- und Hirtenleben zum Ackerbau übergehenden Stämmen dauerhaftere Wohnungen, anfänglich nach dem Vorbilde der bisherigen aus rohen Steinen, Lehm, unbehauenen Bäumen u.s.w. Bald lernte man aber das rohe Material bearbeiten, Steine aus Lehm formen und verbinden, endlich im Feuer härten; der Vortheil des Zusammenlebens ließ größere Ortschaften und Städte entstehen, man fing an, den bisher zum Theil im Freien verehrten Göttern Tempel zu errichten, welche nach und nach an Pracht und Umfang alle andern Gebäude übertrafen und mit Hallen und Säulengängen geziert wurden. So entstand die schöne Baukunst, welche erst viel später auf Paläste der Fürsten und Reichen und endlich im Allgemeinen angewendet wurde. Die meisten Völker folgten dabei dem eignen Erfindungsgeiste, nur wenige ahmten andern nach.

Die älteste Geschichte bezeichnet als Nationen, welche in der Baukunst Viel leisteten, die Babylonier, deren Hauptstadt das berühmte Babylon (s.d.) war; die Assyrer, welche Ninive; die Meder, welche das von sieben Mauern umschlossene Ekbatana; die Phönizier, welche Tirus, Sidon, Sarephta erbauten und als ein Seehandel treibendes Volk die Schiffsbaukunst sehr vervollkommneten; ferner die Israeliten, deren Tempel Salomonis in Jerusalem vorzüglich berühmt war, die aber nur den Ägyptern und Phöniziern nachahmten; endlich die Syrer und Philister. Da jedoch kein Denkmal der Baukunst dieser Völker bis auf unsere Zeit gekommen, so wendet sich unsere Aufmerksamkeit natürlich denen mehr zu, wo dies der Fall ist, wie z.B. mit den Indiern, von denen sich in Hindostan pyramidenförmige, und auf der Insel Elephanta unterirdische, in Felsen ausgehauene Tempel erhalten haben, sowie die Trümmer des prächtigen Palastes von Persepolis deutliche Begriffe von der pers., viele Obelisken, Pyramiden, Tempel und Ruinen von der alten ägypt. Baukunst geben. Unerschütterliche Festigkeit, welche vier Jahrtausende nicht ganz aufreiben konnten, zum Theil durch übereinander gehäufte, ungeheure Steinmassen erreicht, riesenmäßige Größe, verschwenderische Pracht sind der allgemeine Charakter jener Bauwerke, die der Schönheit und Anmuth entbehren, welche die Baukunst erst in späterer Zeit durch die Griechen erhielt. Von diesen wurde sie zur größten Vollkommenheit ausgebildet und die Regelmäßigkeit, edle Einfachheit und Erhabenheit ihrer Gebäude, wie sie vorzüglich im Zeitalter des Perikles (s.d.), der Periode des edelsten und größten Baustyls, zu Athen errichtet wurden, machte dieselben zu vollendeten Kunstwerken. Dieser glänzende Zeitraum war jedoch nicht von langer Dauer und schon während des peloponnes. Krieges, 431–404 v. Chr., wich man von der edlen Einfachheit ab und sann mehr auf Zierlichkeit, die aber mit großer Regelmäßigkeit vereinigt blieb, bis bald nach Alexander's des Großen Tode, 323 v. Chr., die griech. Baukunst sich ihrem Verfalle näherte. Innere Kriege verheerten das Land, das endlich 146 v. Chr. die Beute der Römer wurde, welche seine Tempel plünderten, zerstörten und Säulen und Statuen nach Rom sandten, wohin sich auch die wenigen lebenden griech. Baukünstler wendeten. Hier war schon Manches in der Baukunst geleistet und die Aufmerksamkeit vorzüglich auf Dinge gerichtet worden, welche die Griechen vernachlässigten, wie z.B. den Bau der Heerstraßen, Wasserleitungen und Cloaken. Die Römer, ein bis dahin vorzüglich kriegerisches Volk, bedienten sich dabei etruskischer Baumeister, aber unter Sylla verbreitete sich die griech. Baukunst, erlangte jedoch erst unter August, 31 v. Chr. bis 14 n. Chr., die frühere Vollkommenheit beinahe wieder. Viele Tempel wurden neu aufgebaut, Wasserleitungen, Theater angelegt, und auch beim Bau der Privatwohnungen wetteiferten die Künstler in Erzielung des Schönen.

Unter August's Nachfolgern wurde die Verschönerung Roms beständig fortgesetzt. Viele Kaiser ließen auch in den Provinzen prächtige Bauten ausführen; so Hadrian 117–138 eine Menge Tempel; Antoninus Pius 138–161 die Prachtgebäude von Balbek (s.d.); Aurelian 270–275 die von Palmyra; doch verminderte sich der gute Geschmack durch überhandnehmenden Luxus und Überladung mit Verzierungen. Als jedoch Konstantin der Große 330 Konstantinopel zu seiner Residenz machte, ward nicht mehr an Roms Verschönerung gedacht; beständige Kriege mit den das röm. Reich bestürmenden Arabern, Alemannen, Gothen und andern Völkern lenkten später die Aufmerksamkeit von der Kunst ab und wenn auch unter Justinian, 527–565, wieder viel gebaut, namentlich die Sophienkirche in Konstantinopel aufgeführt wurde, so kommen diese Leistungen der Baukunst doch denen aus ihrer frühern Blütezeit nicht gleich. Konstantinopel oder Byzanz war aber dennoch die anerkannte Schule der Baukunst und die dort übliche Bauart wurde deshalb die byzantin. oder neugriech. genannt. Die Abendländer und Rom waren indeß von Westgothen, Vandalen und andern Barbaren verheert worden und erst der in Konstantinopel erzogene Ostgothenkönig Theodorich, 492–526, [199] sorgte wieder für Erhaltung und Erneuerung röm. Gebäude, weshalb er griech. Baumeister kommen ließ. Fälschlich wird der plumpen und schwerfälligen Bauart dieser Zeiten, welche so gut wie die byzantin. ein ausgeartetes Kind der griech.-röm. war, die Benennung altgothisch beigelegt, wahrscheinlich nur, weil sie in Ländern unter gothischer Herrschaft ausgeübt wurde. In Italien erhielt sie sich auch unter der nachfolgenden Herrschaft der Longobarden, 568–774, im Ganzen in derselben Form, ging unter Karl dem Großen nach Gallien und Deutschland über und kam mit dem Christenthume nach England, wo sie unter den Angelsachsen herrschend und deshalb sächs. Bauart genannt wurde.

Zu den Arabern und Mauren waren ebenfalls griech. Baumeister berufen worden, und so entstand aus der byzantin. auch die arab. Bauart, die sich aber bald durch größere Leichtigkeit, hufeisenförmige und aus mehren Zirkelstücken zusammengesetzte Bogen und andere Eigenthümlichkeiten auszeichnete und auf die deutsche Bauart im 11. Jahrh. einwirkte, nachdem sie schon in Spanien und Frankreich Beifall gefunden. In Deutschland hatte man im Allgemeinen zwar den neugriech. Styl, jedoch mit mancherlei Eigenthümlichkeiten, beibehalten, wovon besonders der Spitzbogen zu erwähnen ist; jetzt verband man denselben mit dem arab. und es entstand nun eine gemischte Bauart, die sich in ihren beiden Hauptrichtungen am Münster zu Basel und den Domen zu Mainz, Speier u.s.w. ausspricht und aus der sich gegen Ende des 12. Jahrh. die sogenannte neugoth., eigentlich deutsche Bauart entwickelte, welche sich durch großartige Formen, kühn emporstrebende Säulen, hohe, kunstreiche Thürme auszeichnet und als deren vorzüglichste Meisterwerke der vordere Anbau und Thurm des strasburger Münster, der ausgebaute Theil des kölner Doms und die Münster zu Freiburg und Wien anzuführen sind. Von vielen andern damals und später entstandenen heiligen Gebäuden mögen neben jenen nur die Dome zu Meißen, Magdeburg, Erfurt, Regensburg, einige nürnberger Kirchen, die Liebfrauenkirche in München, die St.-Veitskirche in Prag und Maria-Stiegen in Wien, sowie der Thurm am Dome zu Frankfurt am Main genannt werden, der als letztes großes altdeutsches Bauwerk den Reihen schließt. Auch andere öffentliche Gebäude, Rathhäuser, Stadtthore, Brunnen und selbst Privathäuser in großen Städten wurden im Style der Kunst dieser Zeiten ausgeführt, der sich im 13. Jahrh. nach Frankreich, im 14. nach England und weiter nach Spanien und Schweden verbreitete, in Deutschland aber schon mit dem Ende des 14. Jahrh. seine größte Höhe erreicht hatte, sich aber, Italien ausgenommen, fast drei Jahrhunderte als herrschende Bauart in Europa erhielt, wozu die, den alten röm. Baucorporationen nachgebildeten Brüderschaften der Baukünstler und Steinmetzen viel beitrugen, welche die Regeln der Baukunst als Geheimnisse bewahrten, sich Logen und Hütten, ihre Mitglieder freie Maurer nannten und dadurch in England später die Entstehung der Gesellschaft der Freimaurer (s.d.) veranlaßten.

Im 16. Jahrh. wurde die deutsche Baukunst von der verjüngten antiken verdrängt, welche aus Italien kam, wo die deutsche erst im 13. Jahrh. Eingang fand und bis dahin alle Bauten von griech. Meistern geleitet wurden. Bei dem Aufschwunge, den die Kunst im 14. Jahrh. hier nahm, mußten die vorhandenen großen Werke des Alterthums Nacheiferer wecken. Als solche traten gegen Ende des 14. Jahrh. Brunelleschi, Erbauer der berühmten Kuppel des Doms zu Florenz, und Michelozzi auf, denen im 15. Jahrh. Bramante folgte, ein noch größerer Nachahmer des antiken röm. Styls, der die Risse zur Peterskirche lieferte und den Bau derselben begann. Diese Meister waren Muster bis in die Mitte des 16. Jahrh., wo Michel Angelo (s.d.), Erbauer der Kuppel der Peterskirche, eigenthümlich kühne, nur oft zu willkürliche Satzungen aufstellte. Überhaupt beschäftigten sich viele Maler jetzt mit der Baukunst und Rafael sogar stand dem Baue der Peterskirche eine Zeit lang vor. Im Geiste dieser strebten Andere weiter und man sieht vorzüglich die Baukünstler Palladio, Scamozzi, Serlio und Barozzio, auch Vignola genannt, als die Begründer des neuen Geschmacks an, der durch ital. Meister und Behufs ihrer Ausbildung Italien bereisende fremde Künstler, seit dem 16. Jahrh. sich überall hin verbreitete, noch der herrschende ist und nachdem er im Laufe der Zeit gestiegen und gefallen, neuerdings durch die Deutschen wieder einer höhern Ausbildung entgegengeführt zu werden scheint.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 198-200.
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198 | 199 | 200
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