Ordnung

[854] Ordnung. (Schöne Künste)

Man sagt von jeder Sache sie sey ordentlich, wenn man eine Regel entdeket, nach welcher ihre Theile neben einander stehen, oder auf einander folgen. Also bedeutet das Wort Ordnung im allgemeinen metaphysischen Sinne, eine durch eine, oder mehrere Regeln bestimmte besondere Art der Stellung, oder der Folge aller zu einem Ganzen gehörigen Theile, wodurch in dem Mehreren Einförmigkeit entsteht. In den Reyhen folgender Zahlen 1. 2. 3. 4. 5. oder 1. 2. 4. 8. 16. ist Ordnung; weil in beyden die verschiedenen Zahlen nach einem Gesez auf einander folgen, wodurch Einförmigkeit entsteht. Man entdeket es in der ersten Reyhe darin, daß jede folgende Zahl um 1 größer ist, als die vorhergehende; und in der andern darin, daß jede folgende das doppelte der vorhergehenden ist. Die Ordnung hat also da statt, wo mehrere Dinge nach einer gewissen Regel neben einander stehen, oder auf einander folgen können: sie wird durch die Regel, oder durch das Gesez, nach welcher diese Dinge neben einander stehen, oder auf einander folgen, bestimmt; und man erkennt, oder bemerkt sie, so bald man entdeket, daß die Sachen nach einem Gesez verbunden sind, wenn gleich dieses Gesez keine Absicht zum Grund hat und nicht aus Ueberlegung vorhanden ist. Man höret bisweilen, daß Regentropfen von einem Dach in gleichen Zeiten nach einander abtrüpfen. In dieser Folge der Tropfen ist Ordnung, ohne Absicht; die Umstände der Sache bringen es so mit sich, daß jede Tropfe gleich geschwinde auf die vorhergehende folget. Dies ist hier das Gesez der Folge, durch welches sie Ordnung bekommt. Es kann sich treffen, daß etliche Kugeln, ohne Absicht auf die Erde geworfen, in gerader Linie und gleich weit aus einander liegen bleiben. Wir entdeken alsdenn Ordnung und Geseze der Stellung darin, die keine Folge der Ueberlegung sind. Wo wir in Verbindung der Dinge kein Gesez, keine Regel der Einförmigkeit bemerken, da sagen wir, die Sachen seyen unordentlich durch einander. Dieses sagen wir z.B. von den Bäumen in einem Walde, wenn wir keine Regel bemerken, durch welche Einförmigkeit der Stellung entstanden wäre.

Die Ordnung kann sehr einfach, aber sie kann auch sehr verwikelt seyn; weil das Gesez derselben mehr oder weniger Bedingungen haben kann, denen die Folge der Theile genug thun muß. Es giebt auch vielerley ganz verschiedene Gattungen der Ordnung, nach Verschiedenheit der Absicht, in welcher man einer Folge von Dingen eine Regel der Einförmigkeit vorschreibt. Damit wir uns aber nicht in allgemeine metaphysische Betrachtungen vertiefen, sondern blos bey dem bleiben, was die allgemeine Theorie der schönen Künste davon nöthig hat; so wollen wir hier blos von den Dingen sprechen, die durch Ordnung eine ästhetische Kraft bekommen, ohne Ordnung aber völlig gleichgültig wären; denn nur an diese Weise läßt sich die Würkung der Ordnung vor allen Nebenwürkungen abgesondert erkennen.

Eine Menge vor unsern Augen zerstreut liegender Feldsteine, die wir mit völliger Gleichgültigkeit, ohne den geringsten Grad der Aufmerksamkeit sehen, kann durch Ordnung in einen Gegenstand verwandelt werden, den wir mit Aufmerksamkeit betrachten, und der uns wolgefällt. Hier hat kein einzeler Theil für sich ästhetische Kraft, sondern ist völlig unbedeutend: gefällt uns eine gewisse Anordnung dieser Steine, [854] so hat das materielle, oder das, was jeder Stein an sich hat, keinen Antheil an dieser Würkung. So haben einzele Schläge auf eine Trummel, oder auf einen Ambos nichts, das uns lokte; aber so bald wir Ordnung darin bemerken, besonders, wenn sie metrisch, oder rhythmisch werden, so bekommen sie ästhetische Kraft.

Ganz anders ist es mit solchen Dingen beschaffen, die schon einzeln, jedes für sich, eine Kraft haben, wie in der Rede, wo jedes Wort etwas bedeutet, oder in einem Gemählde, wo jede Figur für sich schon etwas hat, das den Geist oder das Herz beschäftiget. Wenn in dergleichen Gegenstände Ordnung gelegt wird, so kann daraus eine Würkung entstehen, wozu nicht blos die Ordnung, sondern auch das Materielle der geordneten Dinge das ihrige beyträgt.

In dem wir also hier die Ordnung und ihre Würkung betrachten, geschiehet es blos in so fern sie rein, und von aller materiellen Kraft der geordneten Sachen abgesondert ist, das ist, wir betrachten die reine Form der Dinge, ohne Rüksicht auf die Materie; kurz Ordnung, nicht Anordnung; denn dieses leztere Wort scheinet allemal die Ordnung auszudrüken, die in Rüksicht auf das Materielle der Sachen bestimmt wird. Hier ist sie also gar nichts, als der Erfolg der Regel des Nebeneinanderstehenden, oder Aufeinanderfolgenden. Bestimmt eine einzige einfache Regel die Folge der Dinge, so bewürket sie das, was insgemein Regelmäßigkeit, genennt wird, wie wenn Soldaten in Reyhen und Glieder stehen; wird aber die Folge durch mehrere Regeln bestimmt, so daß in der Folge der Dinge mancherley Bedingungen müssen erfüllt werden, so wird der Erfolg davon schon für etwas höheres, als bloße Regelmäßigkeit gehalten; es kann Symmetrie, Eurythmie und Schönheit daraus entstehen.

Die Ordnung würkt Aufmerksamkeit auf den Gegenstand, Gefallen an demselben, macht ihn faßlich und prägt ihn die Vorstellungskraft ein: das Unordentliche wird unbemerkt, und wenn man es auch betrachtet, so behält man es nicht in der Einbildungskraft; weil es keine faßliche Form hat. Aber die Würkung der Ordnung auf die Einbildungskraft kann sich bis auf einen hohen Grad des Wolgefallens und Vergnügens erstreken; wenn sie viel Mannigfaltigkeit genau in Eines verbindet, so bewürkt sie eine Art des Schönen, welches sehr gefällt. Man sieht sehr schöne mosaisch gepflasterte, oder von Holz eingelegte bunte Fußboden, da blos die Ordnung, in welcher kleine verschiedentlich gefärbte Drey- und Vierecke gesezt sind, eine sehr angenehme Mannigfaltigkeit von Formen und Verbindungen bewürket. So gar kann durch blos reine Ordnung schon etwas von sittlicher und leidenschaftlicher Kraft in den Gegenstand gelegt werden. Sie kann etwas phantastisches; aber auch etwas wol überlegtes, etwas sehr einfaches und gefälliges; aber auch etwas verwikeltes und lebhaftes haben. Das Spiehl der Trommel, wo ein Stük vom andern sich blos durch die Ordnung der aufeinanderfolgenden Schläge unterscheidet, kann allerley leidenschaftlichen Ausdruk annehmen. So mannigfaltig ist die Würkung der Ordnung.

Der Künstler kann also vielfachen Gebrauch von der Ordnung machen. In einigen Werken ist sie das einzige Aesthetische, wodurch sie zu Werken des Geschmaks werden. So gehören viel Werke der Baukunst nur darum unter die Werke der schönen Künste, weil die verschiedenen Theile des Gebäudes, die nicht das Genie, oder der Geschmak des Künstlers erfunden, sondern die Nothwendigkeit angegeben hat, ordentlich neben einander gesezt worden. Auch einige Gärten haben von dem Charakter der Werke des Geschmaks nichts, als die Ordnung. In der Musik hat man auch kleine ganz angenehme Melodien, die außer einer sehr gefälligen Ordnung der Töne nichts Aesthetisches haben. So geben die Dichter bisweilen einem epischen Vers, dessen Inhalt nichts ästhetisches hat, durch Ordnung der Sylben einen schönen Klang, wodurch er die epische Würde bekommt. Dergleichen kommen beym Homer nicht selten vor. Schon der niedrigste Grad der Ordnung, oder die bloße Regelmäßigkeit ist bisweilen hinreichend, ein Werk in den Rang der Werke des Geschmaks zu erheben. Wenn man die Werke der Kunst in eine Rangordnung sezen wollte, so würden dergleichen Werke, die blos durch Ordnung gefallen, weil ihr Stoff nichts von ästhetischen Werth hat, die niedrigste Classe machen.

Eine gar zu leicht in die Sinnen fallende Ordnung aber schicket sich nicht für Werke, deren Stoff nichts vorzügliches hat; sie werden matt, weil man auf einen Blik das wenige ästhetische, was sie haben, entdeket: darum ist nichts matter, als ein Gedicht [855] von sehr geringhaltigem Stoff, das durchaus einerley Vers hat. Dem schwachen Stoff muß schon durch eine künstlichere Ordnung, darin ein Rhythmus ist, etwas aufgeholfen werden.1 Dadurch bekommen Gebäude, die sonst gar nichts bemerkenswürdiges an sich haben, bisweilen ein sehr artiges Ansehen; dadurch werden Tonstüke, Tänze, auch wol bisweilen kleine lyrische Gedichte, die man ohne diese Zierde, die sie der Ordnung zu danken haben, gar nicht achten würde, ziemlich angenehm.

Das wichtigste was der Künstler in Absicht auf die Ordnung, die, so wie wir sie hier ansehen, allemal die Form seines Werks betrifft, zu bedenken hat, ist, daß dasjenige, was von Ordnung herkommt, dem Materiellen des Werks vollkommen angemessen sey, damit einem schwachen Stoff durch das Reizende der Ordnung aufgeholfen werde, einem wichtigen aber durch das schimmernde der Ordnung kein Nachtheil geschehe. Der Baumeister, dem es gelungen wäre für eine prächtige Cathedralkirche eine große Form zu erfinden, würde durch die schönste und verwikeltste Eurythmie viel kleiner Theile, den Haupteindruk, den das Gebäude machen sollte, schwächen. Wo die Empfindung schon stark getroffen worden, da muß die Phantasie nicht mehr gereizt werden. Vielleicht ist es aus diesem Grunde geschehen, daß der feine Geschmak der Griechen für den Hymnus, wo das Herz blos von Andacht und Bewundrung sollte gerührt werden, keine von den künstlichen lyrischen Versarten, sondern den einfachen Hexameter gewählt hat.

Eine verwikelte Ordnung hat mehr Reiz, als die einfachere, aber dieser Reiz ist blos für die Phantasie, und er kann sogar die Eindrüke auf den Verstand und auf das Herz schwächen. Außer dem ist das verwikelte auch nicht so leicht im Gedächtniß zu behalten, als das einfachere. Wo es also darum zu thun ist, daß das Materielle eines Werks fest in den Gemüthern zurük bleibe, da ist die einfacheste Ordnung, der verwikelten vorzuziehen. Jedermann wird finden, daß unsere ehemahlige sehr einfache lyrische Versarten bequämer sind, als die künstlichern Griechischen, um ein Lied oder eine Ode im Gedächtnis zu behalten. Aus eben dem Grund findet man in der Musik, daß die Melodien, die zum Tanzen gemacht werden, wo es nöthig ist, sie leicht ins Ohr zu fassen, allemal einen weit einfacheren Rhythmus haben, als Stüke von demselben Charakter, die blos zum Spiehlen für das Clavier gesezt sind.

1S. Metrisch.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 854-856.
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