[1138] Tanz.
Der Tanz ist, wie jedes andre Werk des Geschmaks, erst aus unüberlegtem Trieb der Natur entstanden, durch Geschmak und Genie aber allmählig zu einem Werke der Kunst erhoben worden. Fröhlichkeit bringt ihn überall hervor, wo sie sich einfindet; so daß man kaum ein Volk auf dem Erdboden antrift,[1138] das nicht seine Tänze der Fröhlichkeit hätte. Ob aber gleich der natürliche Tanz blos aus Freud und Fröhlichkeit entstehet, so schränket die Kunst sich nicht blos auf diese Gattung ein, sondern bedienet sich der ästhetischen Kraft, die in Stellung und Bewegung des Körpers liegt, so weit, als sie reichen kann.
Nun ist offenbar, daß kaum etwas in dem sittlichen Charakter der Menschen vorkommt, das nicht durch Stellung und Bewegung des Körpers verständlich und lebhaft könnte ausgedrükt werden. Deswegen ist der Tanz in seiner Art eben so fähig, als Musik und die Rede selbst, zur sittlichen und leidenschaftlichen Sprache gebildet zu werden. Wie aber nicht jede leidenschaftliche Red ein Gedicht, noch jede Folge leidenschaftlicher Töne ein Gesang ist, so ist auch nicht jeder Ausdruk der Empfindung durch Gang und Gebehrden ein Tanz. Also müssen wir vor allen Dingen untersuchen, wodurch ein solcher Gang zum Tanz wird. Die Rede wird durch Einheit des Inhalts und einen abgemessenen Gang der Worte zum Gedicht, und eine Folge von Tönen wird ebenfalls durch den abgemessenen Gang und Einheit des Tones zum Gesange1. Daher läßt sich schließen, daß auch Einheit des Charakters, oder Ausdruks mit abgemessener Bewegung oder mit Rhythmus verbunden, den Gang zum Tanz erhebe. Dieses bedärf keiner weitern Ausführung, da es klar gnug ist.
Wir haben also bey jedem Tanz auf zwey Dinge zu sehen, auf den Rhythmus, und auf den Charakter, oder den Ausdruk, in so fern er von dem Rhythmus unabhänglich ist. Schon der Rhythmus allein, ohne allen andern Ausdruk, kann der Bewegung nicht nur etwas angenehmes und unterhaltendes, sondern auch etwas vom Ausdruk der Empfindung geben. Dieses ist aus dem, was wir über die Natur des Rhythmus angemerkt haben, offenbar2. Also könnte schon in leblosen Körpern eine Bewegung statt haben, die durch Takt und Rhythmus nicht nur schön und daher angenehm wäre, sondern auch verschiedene Charaktere, als Lebhaftigkeit, Ernst, Artigkeit, Hoheit und mehr dergleichen, ausdrükte. Wollte man diese ästhetische Kraft einer solchen Bewegung verstärken, so müßte man sie mit Musik begleiten, deren Takt und Rhythmus genau mit denen, die in der Bewegung sind, übereinkommen; denn das Ohr vernihmt alles metrische weit leichter, als das Aug. Daß dieses das wesentliche des Tanzes sey, läßt sich so leicht fühlen, daß auch die Völker, bey denen der Geschmak noch völlig unentwikelt ist, ihre Tänze mit Musik begleiten. Sezet man nun noch hinzu, daß durch Minen, Stellung und Gebehrden jede Art der Empfindung in dieser rhythmischen Bewegung könne angebracht werden, so begreift man gar leichte, wie der Tanz zu einem Werk des Geschmaks werden könne, der an ästhetischer Kraft jedem andern den Vorzug streitig macht. Es ist keine Gemüthslage, kein Gemüthscharakter, keine Leidenschaft, die nicht durch den Tanz auf das lebhafteste geschildert werden könne.
Aber der Tanz hat, wie der Gesang, vor allen Werken der Künste noch dieses voraus, daß er nicht blos durch die lebhafte Schilderung würket, sondern über dem durch die Ausübung eine weit größere Kraft erhält, als irgend ein anderes Werk der Kunst, das wir blos durch das Anschauen, oder Anhören genießen. Wie das Lied, das wir selbst singen, ungleich mehr Kraft auf uns hat, als das, welches wir blos anhören: so hat auch der Tanz nur auf diejenigen, die ihn würklich ausüben, die volleste Kraft. Man wird darum von keiner andern Kunst so augenscheinliche und so lebhafte Würkung sehen, als die ist, die der Tanz auf die tanzenden Personen macht. Denn man hat, wo ich nicht irre, Beyspiehle, daß Menschen sich zu Tode getanzt haben; so sehr groß ist die Begierde die Rührungen zu empfinden, die das Tanzen hervorbringt.
Hieraus folget nun, daß man durch die Tanzkunst ungemein viel auswürken könnte, wenn nur Geschmak und Genie die Arbeiten und die Anwendung der Kunst leiteten. Man ist zwar gewohnt, das Tanzen, als eine bloße Lustbarkeit anzusehen, die keine größere Wichtigkeit hat, als hundert andere Ergözlichkeiten, denen Niemand großen Werth beylegt: und ich zweifle nicht, daß es manchem seltsam, oder gar ungereimt vorkommen werde, wenn er sehen wird, daß wir hier das Tanzen aus einem etwas ernsthaften Gesichtspunkt betrachten. Da wir aber in diesem ganzen Werke gar alle schönen Künste und selbst die geringern Werke derselben, die man durchgehends nur, als Gegenstände des Zeitvertreibes ansieht, in dem vollen Werthe betrachtet haben, den überlegende Vernunft ihnen geben kann; so soll uns das Vorurtheil gar nicht abhalten, auch den Tanz von seiner wichtigen Seite zu betrachten. [1139] Wenn man bedenket, was für eine große Kraft Tänze von etwas lebhafter Art haben, die Gesellschaft der Tanzenden vergnügt zu machen, und wie sehr oft es geschieht, daß durch Tänze zwischen Personen, die sich vorher mit gleichgültigen Augen angesehen haben, eine tiefsizende Zuneigung erwächst, so wird man auch begreifen, daß verschiedene andre Empfindungen durch das Tanzen in den Gemüthern aufgewekt und zu einem beträchtlichen Grad der Stärke könnten erhöht werden. Da nun nicht daran zu zweifeln ist, daß durch Minen, Stellung und Bewegung jede Empfindung auszudrüken ist, so ist auch nicht abzusehen, warum nicht sollten Tänze verfertiget werden können, die zu Erwekung und Verstärkung jeder gegebenen Empfindung tüchtig seyn sollten.
Wenn wir dieses voraussezen, so müssen wir es auch für möglich halten, daß so wol für die Jugend, als für das reifere Alter, Tänze von allerhand Art zu erfinden wären, die in der Ausübung als würkliche Uebungen in edlen Empfindungen anzusehen wären. Warum sollten nicht Tänze möglich seyn, wodurch z.B. die Jugend gegen Aeltern ehrfurchtsvolle Liebe an den Tag legten; oder solche, die Bescheidenheit und Mäßigung; Standhaftigkeit bey Wiederwärtigkeiten; Muth in Gefahren und dergleichen ausdrükten, und wodurch also die Tänzer sich in dergleichen Empfindungen übten. Wir wollen uns aber hier an diesem bloßen Wink begnügen, und Tänzern von wahrem Genie überlassen, denselben weiter zu verfolgen, und nun von den bekannten Arten der Tänze sprechen.
Man theilet insgemein die Tänze in zwey Hauptclassen ein, deren eine die gemeinen, oder gesellschaftlichen Tänze, (la belle danse); die andern die theatralischen Tänze begreift. Die gemeinen Tänze sind zum gesellschaftlichen Vergnügen erfunden worden; deswegen müssen sie auch so beschaffen seyn, daß Personen, die sich kein Hauptgeschäft aus der Tanzkunst machen, können gelernt werden. Die hohen Tänze können schon künstlicher seyn; weil sie nur von Tänzern von Profeßion, die besonders dazu bestellt sind, aufgeführt werden.
Die gesellschaftlichen Tänze kommen darin mit einander überein, daß zwey, oder mehr Personen gemeinschaftlich nach einer kurzen Melodie, die in Bewegung, Takt und Rhythmus ihren eigenen bestimmten Charakter hat, nach bestimmten Figuren eine bestimmte Anzahl zusammengesezter Schritte machen, und diese so lange wiederholen, als sie Lust haben. Diese Tänze sind in ihrer Art das, was in der Musik die Lieder, die eben so aus einer kleinen Anzahl Takte und Einschnitte bestehen, die man so lange wiederholt, als man zu singen Lust hat.
Bald jedes Land hat seine eigene Art des gesellschaftlichen Tanzes, und wir haben die Charaktere der bekanntesten in verschiedenen Artikeln angezeiget3. Ihr allgemeiner Charakter besteht darin, daß sie, wie das Lied, eine gewisse Empfindung oder eine Gemüthslage ausdrüken, die sich durchaus gleich bleibet; so, daß dieses Tanzen, wie das Singen der Lieder, den Zwek hat, sich eine Zeitlang in dieser Gemüthslage zu unterhalten. Diese Empfindung ist in einigen hüpfende Freude, wie im schwäbischen Tanz, in andern galante Gefälligkeit, mit Ehrerbietung verbunden, wie in der Menuet u.s.f. Diese verschiedenen gesellschaftlichen Tänze haben sich in Europa mehr oder weniger ausgebreitet und verschiedene sind so durchgehends angenommen worden, daß sie bey allen Gelegenheiten, wo in gesellschaftlichen. Zusammenkünften getanzt wird, vorkommen, wie die Menuet und verschiedene englische Tänze. Man scheinet aber darin durchgehends übereinzustimmen, daß der Menuet der Vorzug über alle Tänze dieser Art einzuräumen sey. Es ist auch in der That schweerlich ein andrer Tanz erfunden worden, worin so viel Zierlichkeit, edler Anstand und höchst gefälliges Wesen anzutreffen wäre.
Man könnte zwey Arten solcher Tänze machen. Die erste würde so, wie die gewöhnlichen, für mehrere Personen zugleich eingerichtet seyn, und eine Gemüthslage, sie sey sittlich oder leidenschaftlich zum Ausdruk haben, in welcher sich natürlicher Weise eine ganze Gesellschaft zugleich befinden kann. Die andre Art könnte etwas näher bestimmte Charaktere ausdrüken. Diese müßten ihrer Natur nach nur von einzeln Personen getanzt werden. Dergleichen Tänze scheinen bey den Griechen gewöhnlich gewesen zu seyn. Man findet so gar, daß sie Charaktere einzeler berühmter Personen, einer Phädra, einer Rhodope, eines Achilles durch den Tanz geschildert haben. Es läßt sich auch gar wol begreifen, wie bekannte Charaktere durch Musik und Tanz können abgebildet werden. Wie der gemeine gesellschaftliche Tanz, der blos eine vorübergehende Gemüthslage schildert, mit dem Lied übereinkommt, so hat [1140] ein solcher Solotanz von bestimmtem Charakter einige Aehnlichkeit mit der Ode, und die Musik müßte dazu so eingerichtet werden, daß bey jeder Wiederholung die Strophe mit Veränderungen gespiehlt würde, damit der Tänzer Gelegenheit bekäme, den Charakter, den er schildert, in verschiedenen Schattirungen zu zeigen.
Die theatralischen Tänze werden nur von Tänzern von Profeßion als ein Schauspiehl aufgeführt. Man theilet sie insgemein in vier Classen ab. Die erste, oder unterste Classe, wird Groteske genennt; ihr Charakter ist Ausgelassenheit oder etwas Abentheuerliches. Diese Tänze stellen im Grunde nichts, als ungewöhnliche Sprünge und seltsame närrische Gebehrden, Lustbarkeiten und Abentheuer der niedrigsten Classe der Menschen vor. Der gute Geschmak kommt dabey wenig in Betrachtung, und es wird auch so genau nicht genommen, ob die Cadenzen der Tänzer mit denen, die die Musik macht, so genau übereinstimmen oder nicht. Dieser Tanz erfodert hauptsächlich Stärke.
Die zweyte Classe machen die comischen Tänze aus. Ihr Inhalt ist schon etwas weniger ausgelassen, und sie schildern Sitten, Lustbarkeiten und Liebesintriguen des gemeinen Volks. Bewegungen und Sprünge sind weniger ausgelassen, aber doch lebhaft, etwas muthwillig und stark in die Augen fallend. Sie müssen aber immer etwas belustigendes und fröhliches haben. Die Hauptsache ist hier Leichtigkeit, schnelle künstliche Bewegung und etwas muthwilliges.
Die dritte Classe begreift die Tänze, die man in der Kunstsprache halbe Charaktere (demi Caractères) nennt. Ihr Inhalt ist eine Handlung aus dem gemeinen Leben, in dem Charakter der comischen Schaubühne, ein Liebeshandel, oder irgend eine Intrigue, darin schon Personen von nicht ganz gemeiner Lebensart verwikelt sind. Diese Tänze erfodern schon Zierlichkeit, angenehme Manieren und feinen Geschmak.
Die vierte Classe begreift die Tänze von ernsthaftem hohen Charakter, wie die tragische Schaubühne ihn erfodert. Sie bestehen entweder in Solotänzen, die bloß große und ernsthafte Charaktere schildern, oder in ganzen Handlungen von bestimmten Inhalt. Hier muß schon alles, was die Kunst an Stellung und Bewegung zum Ausdruk großer Empfindungen darzustellen vermag, zusammen kommen. Von diesem hohen Tanz, der eine bestimmte Handlung vorstellt, haben wir im Artikel Ballet besonders gesprochen.
Jede der vier Gattungen des theatralischen Tanzes kann von zweyerley Art seyn. Entweder schildern sie blos Charaktere und Sitten, oder sie stellen eine bestimmte Handlung mit Verwiklung und Auflösung vor. Im ersten Falle haben die verschiedenen Auftritte des Tanzes keine genaue Verbindung unter einander; es ist schon hinlänglich, daß die Einheit des Charakters durchaus beybehalten werde: im übrigen kann der Balletmeister nach Gutdünken die Scenen bald mit mehr, bald mit weniger Personen anfüllen, und hat nur auf Abwechslung und Mannigfaltigkeit zu sehen. Aber die andere Art erfodert in Ansehung der Anordnung der Handlung die Ueberlegung, mit welcher auch der dramatische Dichter seine Fabel zu behandeln hat, und von Seite der Tänzer ein gutes pantomimisches Spiehl, um die Handlung verständlich zu machen4; daher diese Tänze besonders pantomimische Tänze genennt werden.
Hohe pantomimische Tänze sind erst seit wenig Jahren von Noverre bey Schauspiehlen eingeführt worden, nachdem er vorher in seinen über das Tanzen herausgegebenen Briefen5 die Theorie dieser Tänze mit vieler Gründlichkeit entworfen hatte. Man kann den Balletmeistern sowol diese Briefe, als die verschiedenen Entwürfe, die dieser geschikte Mann von seinen in Wien aufgeführten pantomimischen Balleten herausgegeben hat, nicht genug empfehlen.
Die theatralischen Tänze werden, wie ihre Benennung schon anzeiget, nur auf der Schaubühne vorgestellt, und zwar insgemein als Zwischenspiehle zwischen den Aufzügen, und denn zulezt auch zum Beschluß des ganzen Schauspiehles. Als Zwischenspiehle werden sie izt nur in der Oper durchgehends gebraucht, bey andern Schauspiehlen aber erscheinen sie gemeiniglich nur am Ende, als ein besonderes Nachspiehl, das mit dem aufgeführten Schauspiehl keine Verbindung hat. Selten haben auch die zwischen den Aufzügen der Oper vorgestellte Ballette würkliche Beziehung auf das Schauspiehl, und sind in der That nichts anders, als völlige hors d'oeuvres, die die Eindrüke, welche das Schauspiehl gemacht hat, wieder auslöschen.
Nach unserm Bedünken wär es leicht die Ballete mit dem Schauspiehl selbst nicht nur in Verbindung[1141] zu bringen, sondern es auch dazu anzuwenden, daß sie den Eindruk des Schauspiehles unterhielten, oder auch verstärkten. Die Sache hat an sich so wenig Schwierigkeit, daß wir nicht einmal für nöthig halten uns hier darüber einzulassen, nachdem wir an einem andern Orte die verschiedenen Mittel dazu bereits vorgeschlagen haben6.
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