Schildkröte

1. Die Schildkröte will keinen Streit, darum trägt sie ihr Haus auf dem Rücken.

Wer keinen Streit will, bleibe zu Hause für sich.


2. Eine Schildkröte erschrickt nicht, wenn man ihr auch auf den Rücken tritt.

Von dem, der zu Schutz und Trutz gewappnet ist.


[179] 3. Es kann wol eine Schildkröte den Adler besiegen.

Nach einer Fabel, als Ironie, wenn der Unbefähigte, Unwissende das Talent, den Gelehrten meistern will; oder eigentlich, wenn jemand einen Mächtigern durch List überwindet, wenn er, was er durch Kraft nicht vermag, durch Beharrlichkeit und Ausdauer ausrichtet. Die Schildkröte kommt in deutschen Sprichwörtern, wenn das vorstehende als solches gilt, wenig vor, desto häufiger aber in altgriechischen. Von denen, die ein angefangenes Geschäft kalt betreiben und es weder zu Ende bringen, noch liegen lassen, sagten die alten Griechen: Man muss der Schildkröte Fleisch entweder ordentlich essen, oder gar nicht. Man glaubte nämlich, dass es, wenn man nur wenig davon geniesse, Leibbeschwerden mache, während es dieselben hebe, wenn man viel esse. – Von dem, der unbesonnen etwas angefangen und nachher anderer Hülfe begehrte, um sie in ihre (der Anfänger) Sache zu verwickeln, sagte man: Wer die Schildkröte gefangen hat, mag sie essen. Aus einer Fabel entstanden. Einige Fischer, welche die von ihnen gefangenen Schildkröten nicht alle verzehren konnten, luden den Merkur zu Gaste, der aber nicht kam, sondern ihnen befahl, was sie gefangen hätten selbst zu essen. Einige dieser Redensarten sind in die deutsche Literatur übergegangen. – In den Sprichwörtern der englischen Neger in Surinam ist die Schildkröte sehr zu Hause. Von jemand, der Unmögliches verlangt oder Streit um jeden Preis sucht, Händel, wie wir sagen, vom Zaune brechen will, sagt eins ihrer Sprichwörter: Die Schildkröte hat zwar keine Haare, dennoch ruft sie (es ist hier das Männchen gemeint) das Weibchen, ihr das Ungeziefer wegzufangen. – Um zu sagen, dass Geduld auch ans Ziel führt, dass Langsam ebenfalls kommt, heisst es sprichwörtlich: Die Schildkröte kommt auch dahin, wohin der Hirsch läuft. Um den Gedanken auszudrücken: Er hat's wol, aber es hilft ihm nicht; bei all' seinem Reichthum ist er nicht glücklich, sagt man: Die Schildkröte macht ihre Schale zur Schlafdecke und ist doch kalt. Um von jemand zu sagen: Taugt er nicht für hohe Dinge, so füllt er doch seinen Platz aus, hat man das Sprichwort: Die Schildkröte passt in ihre Schale.


4. Man muss die Schildkröte erst fangen, ehe man ihre Schale (das Schildpatt) ausbieten (verkaufen) kann.Altmann VI, 507.


5. Was hat die Schildkröte mit dem Wipfel des Baumes zu schaffen? (Surinam.)

Wenn sich jemand an Sachen macht, denen er nicht gewachsen ist.


6. Wenn die Schildkröte auf dem Rücken liegt, ist sie gefangen.

Der Mensch auch; beide müssen hübsch auf den Beinen bleiben.


*7. Die Schildkröte wird eher einen Hasen erlaufen.

Von etwas sehr Unwahrscheinlichem.

Holl.: De schildpad zou eerder den haas voorbij loopen. (Harrebomée, II, 248b.)


*8. Eine Schildkröte mit dem Pegasus vergleichen. (Altgriech.)

Das Unähnlichste; hier das Langsamste mit dem Schnellsten.


*9. Einer Schildkröte mit einem Pferde nachsetzen.

Von der Anwendung ungereimter Mittel.


*10. Er ist wie die Schildkröte überall zu Hause.

Holl.: Hij slacht de schildpad, hij is overal t'huis. (Harrebomée, II, 248b.)


Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 5. Leipzig 1880.
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