Bürger

Bürger

[351] Bürger (Gottfr. Aug.), der berühmteste unter den deutschen Volksdichtern, geb. 1. Jan. 1748 zu Wolmerswende im Halberstädtischen, wo sein Vater Prediger war, ward bis in sein zwölftes Jahr in seiner geistigen Ausbildung sehr vernachlässigt.

Schon in dieser frühen Zeit offenbarte sich aber das dichterische Talent des Knaben, dessen einzige Vorbilder Bibel und Gesangbuch waren. Nach des Vaters Tode nahm sich der Großvater seiner an und ließ ihn die Schule zu Aschersleben besuchen, wo ihm aber ein Spottgedicht auf den ungeheuern Haarbeutel eines Primaners von Seiten des Rectors eine so unbarmherzige Züchtigung zuzog, daß ihn der sonst strenge Großvater sofort auf das Pädagogium nach Halle brachte, wo er 1764 zur Universität überging, um Theologie zu studiren. Neben mancher ihm später nützlich gewordenen Verbindung knüpfte er hier aber auch andere, welche den lebenslustigen Jüngling zu Ausschweifungen verleiteten und ihm den geistlichen Stand zuwider machten. Daher ging er 1768 nach Göttingen und wendete sich von der Theologie zur Rechtsgelehrsamkeit, gerieth aber von Neuem in seinen frühern unregelmäßigen Lebenswandel, sodaß sein Großvater, dessen Unterstützung ihm bisher fortgeholfen hatte, [351] ihm dieselbe ganz entzog. B. gerieth dadurch in Verhältnisse, daß man ihn kennen und schätzen mußte, um seine Nähe nicht zu meiden. Indessen nahm sich jener literarisch berühmte Freundekreis seiner an, zu dem Hölty, Voß, die Grafen Stolberg und K. F. Cramer gehörten, und trotz aller Misverhältnisse stählte sich seine Dichterkraft durch eifriges Studium alter wie neuer, besonders span. und engl. Muster. Schon hatten einzelne seiner Gedichte Aufmerksamkeit erregt, als es 1772 seinen Freunden glückte, ihm die wenig einträgliche Stelle eines Justizamtmanns zu Altengleichen zu verschaffen, was ihn zugleich mit seinem Großvater versöhnte, der ihm nun 800 Thlr. zu der erfoderlichen Bürgschaft und Bezahlung seiner Schulden vorschoß. Bald nachher erschien seine berühmte Ballade »Leonore«, welche mit der spätern, »Der Pfarrerstochter von Taubenheim« und andern, des Dichters Namen bald durch ganz Deutschland nennen machte. B. verheirathete sich 1774, trug aber schon vor der Trauung den Keim einer Leidenschaft zu der in seinen Gedichten gefeierten Molly, der 14–15jährigen Schwester seiner Gattin, im Herzen, die sich später unwiderstehlich entfaltete und ein Verhältniß herbeiführte, von dem er selbst sagt, weltliche Gesetze würden es nicht zugegeben haben, was sich drei Personen zu ihrer allerseitigen Rettung vom Verderben gestatteten. Nachdem 1784 seine Gattin gestorben und er sein Amt, sowie eine mit Verlust für ihn verbundene Pachtung aufgegeben hatte, heirathete er 1785 die Geliebte und lebte nun in Göttingen anfänglich als Privatdocent, seit 1789 als außerordentlicher Professor, jedoch ohne Gehalt. Schon 1786 starb aber auch seine zweite Gattin und der Gram darüber drückte B. fast zu Boden, allein der Wunsch, seinen Kindern eine Mutter zu geben, ließ ihn dennoch 1790 eine neue Ehe mit Marie Christine Elisabeth Hahn aus Stuttgart schließen, welche dem Anscheine nach von seinen Werken begeistert, ihm in einem Gedichte öffentlich ihre Hand antrug. Nach zwei Jahren wurde jedoch diese unglückselige Verbindung wieder getrennt und B. sagte damals, er habe bisher neben diesem unnatürlichen Weibe wie an einer Schandsäule gestanden. Die Geschiedene durchzog nun als Schauspielerin ganz Deutschland, befand sich nach langem unstäten Leben 1815 in Regensburg als Vorsteherin einer Töchterschule und starb 1834 in Frankfurt am Main. Von den überstandenen Leiden konnte B. sich nicht wieder erholen; geistig und körperlich ermattet, fristete er mit vollends aufreibenden Lohnarbeiten in der Hoffnung besserer Tage kümmerlich sein Dasein, starb aber schon am 18. Jun. 1794 an der Lungenschwindsucht und ein nicht lange vorher erhaltenes Geschenk von der hanöv. Regierung schützte gewissermaßen nur seine letzten Augenblicke vor Mangel. Von Person war B. klein und hager und die starken und großen Züge seines Gesichts vertrugen sich kaum mit seinem unscheinbaren Auftreten. Die erste Sammlung seiner Gedichte erschien 1778 zu Göttingen, die beste Ausgabe seiner Werke aber, besorgt von Karl von Reinhard, in sieben Bänden 1823–25 in Berlin; auch wird B. als Verfasser der »Wunderbaren Abenteuer und Reisen des Freiherrn von Münchhausen« (Götting. 1787) genannt, die er aber nur aus dem Englischen übersetzt hat.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 351-352.
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