Fénélon

[25] Fénélon (François de Salignac de Lamotte), geb. am 6. Aug. 1651, gest. am 7. Jan. 1715 als Erzbischof von Cambray, war ein ebenso liebenswürdiger Mensch als wahrhaft frommer Priester und ausgezeichneter Schriftsteller der Franzosen. Er stammte aus einer vornehmen Familie und widmete sich aus der reinsten Neigung dem Priesterstande. Bald nachdem er zu Paris seine theologischen Studien gemacht hatte, trat er als Kanzelredner mit begeisternden Predigten auf. Nachdem er durch ausgezeichnete Schriften einen ausgebreiteten Ruf sich erworben hatte, trug ihm König Ludwig XIV. die Bekehrung der Protestanten in Poitou auf. Dragoner sollten bei dem Bekehrungsgeschäfte behülflich sein. Aber F., der die Liebe als erstes und vornehmstes Gebot des Christenthums im Herzen trug, übernahm das ihm aufgetragene Amt nicht eher, als bis die Soldaten abberufen waren. Nun aber vollführte er es durch seine Beredtsamkeit und seinen liebevollen Charakter mit solchem Erfolg, daß ihm der König die Erziehung des Dauphin (Kronprinzen) übergab. Aber dieser, der unter dem Einflusse eines so ausgezeichneten Lehrers der trefflichste Regent zu werden versprach, wurde Frankreich durch den Tod entrissen. F. wurde, nachdem er Erzbischof geworden war, in ärgerliche theologische Streitigkeiten hineingezogen, so fern auch seinem sanften Charakter alle Streitsucht lag. Er schrieb eine Vertheidigungsschrift, wegen der man ihn verketzerte. Der Papst verurtheilte F. zum Widerruf der von ihm ausgesprochenen Ansichten und der König verwies ihn vom Hofe in seinen Sprengel. Hier lebte er als ein wahrer Bischof, ein Hirt der ihm anvertrauten Heerde, bis an seinen Tod. Hunderte von Beispielen seiner Tugend, seines schlichten, liebevollen Sinnes werden erzählt. Seine Entfernung vom Hofe soll noch beschleunigt worden sein durch das Erscheinen seiner »Abenteuer des Telemach«, in denen man Anspielungen auf Verhältnisse am Hofe Ludwig XIV. suchte. Dieses Buch durfte deshalb auch anfangs nicht zu Ende gedruckt werden, fand aber so großen Beifall, daß seit F.'s Tode über 200 Auflagen desselben erschienen sind. Es enthält die Erziehungsgeschichte des Telemach, Sohn des vor Troja kämpfenden Ulysses, durch Mentor, dessen Gestalt Minerva, die Göttin der Weisheit, angenommen hat, und ist in einer schönen, wenn auch etwas zu blumenreichen Sprache, geschrieben. Es ist mehre Male ins Deutsche übersetzt worden (Nürnb. 1806, Stuttg. 1808). Außer dem Telemach sind namentlich F.'s religiöse Schriften ausgezeichnet, welche Claudius (der wandsbecker Bote) übersetzt hat (3 Bde., Hamb. 1800–9). – F. wurde 1826 zu Cambray ein Denkmal errichtet.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 25.
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