[789] Biegeversuche dienen im Gegensatz zur »Biegeprobe«, die in der Hauptsache die Feststellung der Bearbeitungsfähigkeit des Materials bezweckt, zur Ermittlung der Widerstandsfähigkeit des Materials gegen Biegungsbelastung und der hierbei entwickelten Biegungsarbeit. Beim Biegeversuch sind daher neben der Durchbiegung des Stückes auch die zur Erzeugung der letzteren erforderlichen [789] Kräfte zu bestimmen. Als Materialprobe im strengeren Sinne ist der Biegeversuch allgemein nur bei Prüfungen von Gußeisen, Legierungen und Holz im Gebrauch; ferner dient er zur Prüfung der Konstruktionsfestigkeit von Eisenbahnschienen, Blattfedern für Eisenbahnfahrzeuge und ganzer Bauwerke, besonders Brücken und Decken.
Die gebräuchlichste Belastungsweise bei Materialprüfungen ist, den geraden Probestab mit seinen beiden Enden auf Stützen zu legen und in der Mitte zwischen letzteren mit einer Einzellast P zu beanspruchen (Fig. 1). Seltener sind Biegeversuche, bei denen der Stab an einem Ende fest eingespannt und am andern belastet wird (Fig. 2), oder bei denen die Belastungen an die über die beiden Stützen hinausragenden Enden des Stabes angebracht werden (Fig. 3). Die letztgenannte Belastungsweise hat den Vorzug, daß sämtliche Querschnitte des prismatischen Stabes zwischen den beiden Stützen gleich hoch beansprucht sind, so daß beim Versuch die geringste Fertigkeit des Materials innerhalb der Stützweite ermittelt wird; dagegen sind die Bruchlasten bei den beiden andern Belastungsweisen wesentlich von der zufälligen Fertigkeit des Stabes in der Mitte (Fig. 1) oder am Einspannende (Fig. 2) abhängig. Als Stützen dienen meist Rollen oder Schneiden. Solange die ersteren unter der Last beweglich bleiben, verdienen sie den Vorzug, weil sie beim Durchbiegen und Gleiten des Stabes auf den Auflagern die zusätzlichen, durch Reibung veranlaßten Zugspannungen hintanhalten. Um letztere ganz zu vermeiden, wendet Keep bei Schlagbiegeversuchen Stützen nach Fig. 4 an, bei denen die Stabenden in Schuhen stecken, die auf leicht nachgiebigen Blattfedern ruhen [1]. Um zu erreichen, daß auch windschiefe Stäbe in der ganzen Breite auf den Stützen aufliegen, ordnet man die letzteren in der Ebene des Auflagerdruckes beweglich an. Stützschneiden erhalten zu diesem Zweck parallele Seitenflächen, mit denen sie, gegen Umschlagen gesichert, in einem Schlitz geführt sind, und eine gewölbte untere Fläche, die dann auf ihrem Widerlager gleitet, bis die Schneidenkante die gewünschte Neigung angenommen hat. Stützrollen werden in besonderen Lagern untergebracht, die wie die vorbeschriebenen Stützschneiden drehbar sind. Die Belastung wird in der Regel bei der Versuchsanwendung nach Fig. 1 durch abgerundete Druckstücke auf den Probestab übertragen. Diese Druckstücke erzeugen, besonders bei weichem Probematerial, leicht örtliche Ueberanstrengungen durch Druck, die dann die Bruchfestigkeit beeinträchtigen. Um diesen Uebelstand zu vermeiden, verwendet man häufig Zwischenlagen, sogenannte Reiter. Hiermit ist aber der Mangel verbunden, daß der Lastangriff auf eine nicht bestimmbare Länge verteilt und die Spannungsberechnung daher unsicher wird. Empfehlenswert sind daher Reiter nach Fig. 5, die aus zwei halben Zylindern als Zwischenlagen und dem für beide gemeinsamen Druckstück D bestehen. Beim Durchbiegen der Probe drehen sich die Halbzylinder im Druckstück, ihre Auflageflächen bleiben gleichmäßig belastet, so daß die Zylinderachsen stets als Angriffsstellen der Belastung angesehen werden können. Ihr gegenseitiger Abstand a ist bei der Spannungsberechnung von der gesamten Stützweite in Abzug zu bringen [2]. Die Durchbiegung λ des belasteten Stabes wird bei rohen Messungen als senkrechte Entfernung a der Querschnittskante b (Fig. 6) von der durch die beiden Stützlinien gelegten Ebene gemessen. Hierbei bleibt unbeachtet, daß der Stab auf den Auflagern gleitet, die Stablänge, für welche die gemessene Durchbiegung gilt, also mit wachsender Durchbiegung zunimmt, und daß die Verdrückungen an den Auflagern in den Messungen mit hineingehen. Zu genaueren Messungen legt man auf dem geraden Stabe in der neutralen Faserschicht drei Marken fest, je eine über den beiden Auflagern und die dritte in der Mitte, und mißt nun als Durchbiegung die Verschiebung der mittleren Marke aus der Verbindegeraden zwischen den beiden Endmarken, und zwar am einfachsten mit Hilfe eines zwischen die letzteren ausgespannten Fadens. Bauschinger konstruierte Rollenapparate, mit denen die Bewegungen der drei Marken in Richtung der Belastung gemessen werden (Fig. 7). Die Durchbiegung λ berechnet sich dann nach der Gleichung λ = c (a + b ) : 2, d.h. aus dem Weg c der mittleren Marke, vermindert um die halbe algebraische Summe α + b der Wege der beiden Endmarken. Innerhalb der Elastizitätsgrenze lassen sich die Durchbiegungen bestimmen, indem man nach[790] Fig. 8 über den Auflagern je einen Spiegel S auf dem Probestabe anbringt und mittels Meßlatte L und Fernrohr F die Drehungswinkel β des Spiegels, d.h. den Winkel, den die elastische Linie über den Auflagern mit der ursprünglich geraden Stabachse bildet, beobachtet und aus β dann die Durchbiegung λ berechnet. Verhältnismäßig seine Messungen gestattet die aus einfachen Hilfsmitteln hergestellte Einrichtung Fig. 9. Gegen die Probe P ist die Latte L bei N mit einem und bei Nλ mit zwei gespreizt stehenden Stiften über den Auflagern abgestützt, die am festen Winkel W das Bogenstück B trägt. Gegenüber von W fleht, bei a mit Spitzenschrauben an die Probe angelenkt und durch eine Feder gegen W gedrückt, die Schiene S. Zwischen W und S ist eine Nadel geklemmt, die den leichten Zeiger (Strohhalm) Z trägt. Die Nadel dreht sich entsprechend der Durchbiegung, und diese wird durch den Zeiger auf dem Bogenstück angezeigt. Eine wesentlich größere Uebersetzung wird erreicht, wenn an Stelle der Nadel mit Zeiger ein rhombischer Körper mit Spiegel (Spiegelapparat Martens) eingefügt und die Drehung des Spiegels mittels Fernrohrablesung (s. Fig. 8) beobachtet wird [3]. Von Einfluß auf die Größe der Durchbiegung sind die beim Biegeversuch auftretenden Schubspannungen. Sie werden von praktischer Bedeutung, wenn die Höhe des Stabquerschnittes im Verhältnis zur Stützweite groß ist [4].
Die Probebelastungen der Brücken werden in der Regel der höchsten Betriebsinanspruchnahme angepaßt und die hierbei eintretenden Gesamtdurchbiegungen der Brücke oder Längenänderung einzelner Teile mit Hilfe besonderer Apparate ermittelt (s. Durchbiegungs- und Dehnungszeichner). Der Wert der Biege- oder Belastungsprobe bei eisernen Brücken zur Bestimmung der Gesamtdurchbiegung (s. Belastungsprobe) ist mehrfach umstritten. Gegen die Probe wird in der Hauptsache eingewendet, daß die Belastungen zu geringe sind und durch sie eine ebenso große Inanspruchnahme aller Brückenteile nicht erreicht wird, wie sie im gewöhnlichen Betriebe dann eintritt, wenn alle ungünstigen Umstände (Winddruck, Spannungen infolge ungleicher Erwärmungen, die Schleuderkraft der Maschine, Druck beim Bremsen u.s.w.) zusammenwirken; ferner wird angeführt, daß die Kenntnis der Durchbiegungen allein gar keinen Wert hat, weil aus letzteren kein Schluß auf die etwa vorhandene Ueberanstrengung einzelner Teile gezogen werden kann, und daß es mit Rücksicht auf den verschieden großen Elastizitätsmodul des Brückenbaumaterials nicht möglich sei, bestimmte Vorschriften für die zulässige Durchbiegung der Brücken bei der Probebelastung aufzustellen. Von andrer Seite wird der Wert der Belastungsprobe dahin eingeschränkt, daß sie bei ungewöhnlich großen Durchbiegungen auf das Vorhandensein irgendwelcher Mängel hinweise und eingehendere Untersuchungen nahelege, während die Beobachtung kleiner Durchbiegungen, also ein günstiger Ausfall der Probe, durchaus kein Beweis für die Zuverlässigkeit der Konstruktion sei. Immerhin könnte trotzdem irgend ein Glied durch äußere örtliche Verletzungen oder Rostbildungen bis zur Gefahr für die Brücke beschädigt sein, ohne daß dieser Zustand in der Größe der Durchbiegung erkannt würde [5][10]. Bei Eisenbahnschienen bezweckt die Biegeprobe die Feststellung der Widerstandsfähigkeit gegen bestimmte ruhende Belastungen ohne Annahme bleibender Durchbiegung, sowie der Biegungsfähigkeit unter großen Belastungen über die Elastizitätsgrenze hinaus. Die Größe der anzuwendenden ruhenden Belastung richtet sich nach dem Profil der betreffenden Schiene.
Als Gütemaßstab dienen die Materialspannung k an der Proportionalitätsgrenze, Biege- oder Fließgrenze und beim Bruch der Probe, berechnet nach der bekannten Biegungsformel k = P ∙ l : 4 ∙ W und die Biegungsarbeit des Stabes, ausgedrückt durch das bis zur Bruchlast fortgeführte Biegungsdiagramm.
Maschinen zur Ausführung von Biegeversuchen s. Festigkeitsprobiermaschinen. Ueber die Abhängigkeit der Versuchsergebnisse von der Form und Bearbeitung der Proben s. Gußeisenprüfung und Holzprüfung.
Literatur: [1] Engineering 1900, Bd. 1, S. 182. [2] Engineering 1896, Bd. 1, S. 277. [3] Martens, A., Materialienkunde für den Maschinenbau, 1898, S. 132. [4] Bach, Elastizität und Festigkeit, Berlin 1902, S. 431. [5] Ebert, Ueber Eisenbrücken, Deutsche Bauztg. 1892, S. 14. [6] Breuer, Vorschläge zur Verbesserung der Prüfungen eiserner Brücken, Deutsche Bauztg. 1892, S. 158 und 165. [7] Der Wert der Belastungsproben eiserner Brücken, Zentralbl. der Bauverwaltung 1892, S. 143. [8] Zentralbl. der Bauverwaltung 1892, S. 197. [9] Deutsche Bauztg. 1892, S. 255. [10] Zimmermann, Ueber die Prüfung von eisernen Brückenkonstruktionen, Deutsche Bauztg. 1892, S. 378.
Rudeloff.
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