[88] Blutegel (Discophori, Hirudinei), Gruppe der Ringelwürmer, langgestreckte, nicht selten abgeflachte Würmer mit großer Hastscheibe hinten und meist kleinem Saugnapf vorn, ohne Borsten und Fußstummel.
Die schmalen, äußerlich sichtbaren Ringel der Haut sind nicht die eigentlichen Segmente, vielmehr bilden erst mehrere Ringel ein Segment, von denen es etwa 30 gibt. Der Mund liegt fast ganz vorn auf der Bauchseite (Fig. 1 M) und leitet in einen muskulösen Schlund (S), der entweder mit drei bezahnten Kieferplatten (Fig. 2 K) bewaffnet ist (Gnathobdellidae) oder einen vorstreckbaren Rüssel hat (Rhynchobdellidae). Auf den Schlund folgt der Magendarm (D), dieser führt in einen kurzen Enddarm (E), der oberhalb der hintern Sanggrube (Sa) durch den After (A) ausmündet. Vorn auf dem Rücken stehen in einer Bogenlinie paarweise hintereinander die Augen; auch Tastwerkzeuge (Tastkegel) sind vorhanden. Über Gehirn (Fig. 1 G), Bauchstrang (B), Blutgefäße und Nieren (N) s. Art. »Ringelwürmer«.
Alle B. sind Zwitter und begatten sich, wie es scheint, zum Teil wechselseitig. Zur Ablage der Eier, die im Innern des Körpers befruchtet worden sind, suchen die Tiere geeignete Stellen an Steinen und Pflanzen auf oder wühlen sich in feuchte Erde ein, heften sich dann mit der Bauchscheibe fest und umhüllen den Vorderleib mit dem allmählich erstarrenden Sekret der Hautdrüsen. Dann läßt der B. eine Anzahl Eier nebst vielem Eiweiß aus der weiblichen Öffnung austreten und zieht sich selbst aus der Hülle zurück, die sich schließt und als Kokon die Eier in sich birgt. Wenn die jungen B. diese verlassen, haben sie bereits eine ziemliche Länge (beim medizinischen B. von ungefähr 2 cm) erreicht und sehen den erwachsenen ähnlich. Die B. leben großenteils im Wasser, bewegen sich kriechend mit Hilfe der Haftscheiben und schwimmend. Viele leben parasitisch an Fischen; die Kieferegel aber suchen nur vorübergehend die äußere oder innere Haut von Warmblütern auf, heften sich auf[88] ihr an, durchsägen sie mit ihren Kiefern, die wie eine Kreissäge wirken (Fig. 3), und saugen sich voll Blut, das meist für lange Zeit ausreicht. Einige Arten leben von Schnecken und Regenwürmern.
Rüsselegel sind die Fischegel, ferner die Haementaria Ghilianii (Riesenblutegel vom Amazonenstrom) und die H. officinalis, die in Mexiko dieselbe Verwendung finden soll wie bei uns der medizinische B. Letzterer hingegen ist ein Kieferegel und gehört zur Gattung Hirudo. Diese greifen den Menschen an und bilden zum Teil, besonders in tropischen Gegenden, eine förmliche Landplage. Der medizinische oder offizinelle B. (H. medicinalis) wird spannenlang; man unterscheidet über 60 Varietäten, von denen die häufigsten der deutsche B., mit sechs rostroten Längsbinden auf dem Rücken, und der ungarische B., mit vier roten oder braunen Längsbinden, sind. Er war früher in ganz Europa, dem südwestlichen Asien und Nordafrika heimisch, ist aber jetzt in vielen Gegenden, besonders Deutschlands, vollständig ausgerottet. Der kleine Dragoneregel (H. interrupta), mit sechs Reihen gelber, schwarz getüpfelter Flecke auf dem Rücken, besonders in Algerien, Italien u. Spanien, wird in großer Zahl nach Frankreich, England und Südamerika ausgeführt. Der senegalische Egel (H. mesomelas) wird aus Senegambien nach Frankreich gebracht. Der Pferdeegel (Haemopis vorax), mit mehr zylindrischem Körper, bewohnt Gräben und Teiche in Mittel- und Südeuropa, besonders auch in Nordafrika, und wird an manchen Orten für Menschen und Vieh gefährlich, indem die jungen Tiere beim Trinken verschluckt werden und sich dann für längere Zeit im Rachen, am Kehldeckel und in der Luftröhre festsetzen. Hirudo ceylonica, ein bis 20 mm langer Landblutegel, lebt auf Ceylon, mitunter in ungeheuern Schwärmen, auf der Erde, im Gebüsch und auf Bäumen. Er wirft sich aus dem Gras auf sein Opfer oder läßt sich von den Bäumen herabfallen. Der Biß wird gefährlich bei großer Zahl und schlechter Behandlung durch die lang dauernde Eiterung. Ähnliche Landblutegel finden sich auf den Sundainseln, den Philippinen, in den Nilgiri, im Himalaja, in Südaustralien und Chile.
Die medizinischen B. leben in ruhigen Teichen und Sümpfen mit Lehm-, Moor- oder Tonboden und Pflanzenwuchs, schwimmen am Tag, namentlich bei warmem Wetter, lebhaft umher und vergraben sich im Herbst tief im Schlamm. Die Fortpflanzung geschieht vom Mai bis Juli. Nach der Begattung bohren sie Gänge in die feuchte Ufererde über dem Wasserspiegel und formen ihre Kokons (s. oben) von Größe und Gestalt einer Eichel. Jeder enthält 616 Eier von 0,15 mm Durchmesser. Nach 6 Wochen kriechen die Jungen aus, aber erst nach 3 Jahren sind sie zu medizinischen Zwecken tauglich; sie erreichen im 5. Jahr ihre volle Größe und können 20 Jahre alt werden. Man züchtet sie in Blutegelleichen, in denen sie mit kleinen Fischen oder Fröschen gefüttert werden. Früher lieferte Deutschland sehr viele B. für den Markt. dann auch Südrußland, Ungarn, Polen. Gegenwärtig ist man meist auf künstliche Zucht angewiesen. Die Stöltersche Anstalt bei Hildesheim vertreibt jährlich fast 3,5 Mill. B. und versendet sie in mit Moorerde gefüllten Kisten. Das südliche Europa, besonders die Gegend an den Donaumündungen, ist reich an Blutegeln, die nach allen Ländern der Erde versendet werden. Große Egel saugen nicht selten gegen eine Stunde und nehmen bis 10 g Blut auf, kleine saugen eine Quantität Blut, die 41/2mal soviel wie ihr Körper wiegt. Die Verdauung währt bei jungen Blutegeln immerhin 35 Monate, bei alten wohl über 11/2 Jahr. Nach 24 Monaten beißen sie wieder an, aber ihre volle Saugkraft erreichen sie erst viel später. Ein völlig leerer B. kann über zwei Jahre fasten.
Der medizinische Gebrauch der B. ist nicht sehr alt. In den Pariser Hospitälern sollen von 18291836 jährlich 56 Mill. B. verbraucht worden sein, gegenwärtig werden sie nur noch gelegentlich als Ableitung benutzt. Erwachsenen setzt man 430 Stück auf einmal an, Kindern selten über 6. Die Hautstelle wird von Haaren und anhaftenden Unreinigkeiten sorgfältig befreit, mit kühlem Wasser abgewaschen, mitunter mit Milch, Zuckerwasser oder Blut benetzt, um die Tiere anzulocken. Die Tiere werden früher oder später durch Bestreuen mit Salz, Asche, Tabak von der Haut entfernt, wenn sie nicht von selbst abfallen; man schließt später die kleinen Wunden durch Druck oder Schwamm, Scharpie oder kaltes Wasser, Alaunlösung, Höllenstein etc. Vgl. Moquin-Tandon, Monographie des hirudinées (neue Ausg., Montpellier 1846); Ebrard, Nouvelle monographie des sangsues (Par. 1857); Leuckart, Parasiten des Menschen, Bd. 2 (2. Aufl., Leipz. 1901); Blanchard, Revision d'Hirudinées du musée de Dresde (Berl. 1894); Hesse, Sehorgane der Hirudineen (Leipz. 1897); Stölter, Praktische Resultate der Blutegelzucht (Hildesheim 1860); Landois, Eine westfälische Blutegelzucht (im »Zoologischen Garten«, Frankf. 1877).
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