[521] Eisenbahnfahrgeschwindigkeit wird angegeben in Kilometern auf die Stunde (Stundenkilometer oder km/Stde.), seltener in Metern auf die Sekunde (= 1: 3,6 der erstern). Die größte erreichbare E. hängt ab von den Neigungen und Krümmungen der Bahn (die den Widerstand erhöhen), von der Leistungsfähigkeit der Lokomotiven und von Gewicht und Länge der Züge. Die größte zulässige E. wird bedingt durch den kräftigen, betriebssichern Zustand der Bahn und der Fahrzeuge, insbes. durch deren Bremseinrichtungen, durch die Schärfe der Gleiskrümmung, durch die Entfernung der Blockstationen und durch die Ausrüstung der Strecke und der Bahnhöfe mit Signalstellwerks- und andern Sicherungseinrichtungen (s. Eisenbahnbetriebssicherheit). Diese Grenze der E. wird demnach je nach den Umständen für jede einzelne Strecke, für jede Zuggattung und Lokomotivart besonders festgesetzt. Sie wechselt unter sonst gleichen Umständen namentlich mit den Neigungen und Krümmungen der Bahn, indem auf steilem Gefälle eine zu große Fahrgeschwindigkeit die rechtzeitige Wirkung der Bremsen erschweren und dadurch Gefahr herbeiführen kann und in scharfen Krümmungen bei zu rascher Fahrt die Flieh kraft Gefahr der Entgleisung herbeiführen kann. An den Lokomotiven sind namentlich die Störungsbewegungen (»Schlingern« etc.), die durch die hin und her gehenden Massen der Kolben und Schubstangen sowie durch die umlaufenden Massen des Kurbelmechanismus und seiner Gegengewichte verursacht werden, bei höhern Geschwindigkeiten gefahrbringend, zumal wenn alle Achsen der Lokomotive (abgesehen vom Tender) vor der Feuerbüchse liegen. Solche Lokomotiven sind deshalb für Schnellzüge unzulässig. In der »Betriebsordnung für die Haupteisenbahnen Deutschlands« vom 1. April 1902 sind als Geschwindigkeitsgrenzen festgesetzt:
Auf Gefällen über 50/00 und in Kurven unter 900 m Halbmesser ist die zulässige Geschwindigkeit herabgesetzt, so daß sie z. B. bei 250/00 und bei 200 m Halbmesser nur noch 50 km beträgt. Wenn Gefälle und Krümmungen zusammentreffen, so gilt die kleinere von beiden Fahrgeschwindigkeitsgrenzen als maßgebend (Betriebsordnung, § 26). In England pflegt man den Lokomotivführern bezüglich der Geschwindigkeit keine festen Schranken zu ziehen, überläßt ihnen vielmehr auf günstigen Strecken, durch tunlichst große Fahrgeschwindigkeiten die etwa eingetretenen Verspätungen auszugleichen. Es sind deshalb dort in einzelnen Zügen streckenweise Fahrgeschwindigkeiten von 110 km, ja bis 120 km in der Stunde nicht ungewöhnlich. Auch in Frankreich sind Geschwindigkeiten bis 120 km zulässig. Das setzt jedoch besonders günstige Umstände, sehr lange ohne Aufenthalt durchfahrene Strecken und ausgezeichnetes Personal voraus. In Deutschland pflegt man im Gegenteil die Innehaltung der Geschwindigkeitsgrenzen,[521] namentlich auf Schnellzugbahnen und auf Strecken mit scharfen Neigungen und Krümmungen, durch besondere Vorkehrungen streng zu überwachen und die Überschreitungen zu bestrafen. Dazu dienen die Schienen-Kontaktvorrichtungen, die in bestimmten Entfernungen auf der Strecke neben oder unter der Schiene angebracht sind und jede Überfahrt eines Zuges auf elektrischem Weg an der Abgangsstation melden, bez. auf einem mittels Uhrwerk sich abwickelnden, eingeteilten Papierstreifen vermerken, so daß die Fahrgeschwindigkeit des Zuges in dessen ganzem Verlauf noch geprüft werden kann. Auf den Lokomotiven werden außerdem Geschwindigkeitszeiger angebracht, um (auf Grund einer Übertragung der Umdrehungen einer Achse) dem Führer jederzeit die Fahrgeschwindigkeit erkennbar zu machen (s. Geschwindigkeitsmesser).
Für Nebenbahnen bestimmt die »Bahnordnung für die Nebeneisenbahnen Deutschlands« vom 5. Juli 1892 und vom 1. Okt. 1898, daß Fahrgeschwindigkeiten über 30 km bis zur äußersten Grenze von 40 km in der Stunde nur auf vollspurigen Bahnstrecken mit eignem Bahnkörper (nicht auf dem Straßenkörper) gestattet werden dürfen, und zwar nur für Personenzüge mit durchgehender Bremse und nicht über 26 Wagenachsen.
Bei Berechnung der Fahrpläne dient die bisher besprochene reine Fahrgeschwindigkeit als sogen. Grundgeschwindigkeit und wird als solche für jede Bahnstrecke nach vorstehenden Bestimmungen und Rücksichten festgesetzt. Für jede, eine Ermäßigung dieser Grundgeschwindigkeit erfordernde Teilstrecke wird alsdann entweder ein Zusatz an Zeit gemacht, oder es wird dafür eine entsprechend vergrößert gedachte Länge, die sogen. virtuelle Länge, in Rechnung gestellt, deren Ermittelung aus der wirklichen Länge nach einer mehr oder weniger empirischen Formel erfolgt, die den Krümmungen und Neigungen Rechnung trägt. Außerdem ist für jeden Aufenthalt ein Zusatz an Zeit erforderlich, der selbst bei leichten Schnellzügen mit guten Bremsen außer der Haltezeit noch mindestens 2 Minuten beträgt (je eine für Verlangsamen und für Ingangbringen des Zuges). Demnach wird die aus der Fahrzeit zwischen zwei Stationen nach dem Fahrplan ermittelte Durchschnittsgeschwindigkeit stets unter der reinen Fahrgeschwindigkeit oder Grundgeschwindigkeit bleiben, sich ihr jedoch desto mehr nähern, je größer und gleichmäßiger die aufenthaltlos durchfahrene Strecke ist; umgekehrt wird sie desto mehr darunter herabgehen, je mehr Aufenthalte und Ungleichmäßigkeiten zwischen den Endpunkten des Zuges liegen. Auch die ohne Halten durchfahrenen Bahnhöfe beeinflussen die Fahrzeit, indem sie eine Verminderung der größten Fahrgeschwindigkeit bedingen, wenn dies auch neuerdings in Deutschland bei Stationen mit geeigneten Stellwerken und Spitzenverschlüssen (s. Eisenbahnbetriebssicherheit) nicht mehr unbedingt vorgeschrieben ist. Ein zutreffender Vergleich der Fahrgeschwindigkeit nach den Fahrplänen ist deshalb nur angängig zwischen Linien von annähernd gleichen Verhältnissen namentlich in Hinsicht auf Neigungen und Krümmungen sowie auf Länge der Strecke und Zahl nebst Dauer der Aufenthalte. Die Durchschnittsgeschwindigkeit für größere Strecken mit Einrechnung der Aufenthalte wird als Reisegeschwindigkeit bezeichnet. Einen richtigern Vergleich erzielt man jedoch durch Aussonderung der Aufenthaltszeiten. In der folgenden Übersicht sind für einige Hauptlinien des In- und Auslandes die Geschwindigkeiten der schnellsten Züge nach beiden Gesichtspunkten auf Grund der Fahrpläne vom Sommer 1900 angeführt. (Eine umfangreiche Zusammenstellung derart findet sich im »Archiv für Eisenbahnwesen« 1901, S. 124 ff.)
Aus der Tabelle geht hervor, daß auf große Entfernungen in England (vereinzelt auch in Frankreich) raschere Züge verkehren als in Deutschland. Namentlich der große von London ausgehende Durchgangsverkehr bewirkt, daß von da aus manche Züge mit sehr wenig Aufenthalten durchfahren können, ohne deshalb ertragsunfähig zu werden. In Deutschland ist ein solcher Durchgangsverkehr wegen der in zahlreichen Richtungen laufenden, sich vielfach durchkreuzenden Hauptlinien noch nicht in dem Grade vorhanden. Vielmehr erfordern hier die häufigen Übergänge auf gleichwertige Linien und die Rücksicht auf die Anschlüsse des internationalen Verkehrs an den Landesgrenzen und an vielen Knotenpunkten eine große Zahl von nicht ganz kurzen Aufenthalten und verbieten eine allzu hohe Fahrgeschwindigkeit, weil Verspätungen unvermeidlich und dann nicht wieder einzuholen, demnach die erforderlichen Anschlüsse nicht mit Sicherheit innezuhalten sind. Bei kürzern Strecken, wo der Einfluß der Aufenthalte mehr zurücktritt, zeigt sich dagegen, daß die Fahrgeschwindigkeit auf deutschen Bahnen derjenigen auf entsprechenden englischen Linien nicht erheblich[522] nachsteht. Die größte Geschwindigkeit für kürzere oder mittlere Strecken kommt (jedoch nur in einzelnen Fällen) in Frankreich vor. Vergleicht man aber die einzelnen Hauptlinien nach der Gesamtzahl der darauf verkehrenden Schnellzüge und bildet von jeder solchen Linie die Durchschnittsgeschwindigkeit aller zugehörigen Schnellzüge, so findet man, daß die deutschen Hauptlinien erheblich besser mit Schnellzügen ausgestattet sind als fast alle französischen. Zudem ist man in Deutschland neuerdings mit Erfolg bestrebt, durch Abkürzung der Aufenthalte die Reisegeschwindigkeit zu erhöhen. Eine bedeutende weiter gehende Abkürzung der Fahrzeiten dagegen, namentlich bei den Lokalzügen mit ihren zahllosen Aufenthalten, wie sie von manchen Seiten gefordert wird, würde entweder eine beträchtliche Verminderung des Zuggewichts, also eine weit größere Zahl von Zügen erfordern und deshalb in hohem Maß unwirtschaftlich sein, oder, sofern die Betriebssicherheit nicht gefährdet werden soll, neben erheblichen und (wegen Vergrößerung der toten Last) sehr kostspieligen Verstärkungen der Lokomotiven auch solche der eisernen Brücken und der Gleise voraussetzen, da eine wesentliche Erhöhung der Zugkraft nur mit einer Gewichtsvergrößerung der Maschinen und kaum ohne Erhöhung des Raddruckes der Triebachsen über die jetzige Grenze von 8 Ton. hinaus zu erreichen wäre, auf welche die Gleise und Eisenbrücken zurzeit eingerichtet sind (in England sind Raddrücke bis 9 T. üblich). Eine bedeutende Erhöhung der Fahrgeschwindigkeit ohne Vergrößerung der Gefahr dürfte jedoch nicht unwahrscheinlich sein, wenn es gelingt, die elektrische Triebkraft für große Eisenbahnstrecken anwendbar zu machen, ohne die erforderliche Freiheit der Bewegung in den Bahnhofsgleisen zu lähmen. Denn der elektrische Antrieb kann mittels Wirkung der Dynamomaschinen auf die Achsen der Lokomotive den Bewegungsmechanismus außerordentlich vereinfachen, die schwingenden Massen sowie die Kurbeln und deren Gegengewichte, also die Ursachen der Störungsbewegungen, beseitigen, oder auch (bei geschlossenen durchgehenden Personenzügen) durch Verteilung des Antriebs auf eine größere Zahl von Wagenachsen die Lokomotive ersetzen, dabei zugleich den Raddruck der Triebachsen vermindern und voraussichtlich ein sehr rasches Bremsen ermöglichen. Dadurch dürfte mithin trotz erhöhter Fahrgeschwindigkeit ein ruhigerer und sicherer Gang des Zuges erreichbar sein. Ausgedehnte Versuche dieser Art auf der Militärbahn Berlin-Zossen, die freilich nur sehr flache Kurven besitzt, haben bereits Geschwindigkeiten bis zu 160 km erreicht und werden nach entsprechender Umgestaltung des Gleises, dessen Sicherheit hierfür maßgebend ist, mit Erfolg fortgesetzt (im Oktober 1903 wurden 207 km erreicht). Die Durchführung beliebig zusammengesetzter Güterzüge und ebenso die Beibehaltung der bisherigen Art des Personenzugbetriebs mit mehrfachem Ab- und Ansetzen von Wagen auf Knotenpunktstationen würde freilich die Einführung elektrischer Lokomotiven unentbehrlich machen. (Vgl. Elektrische Eisenbahn und Hängebahn.) Anderseits wird auch bei den Dampflokomotiven eine erhebliche Erhöhung der Geschwindigkeit angestrebt, unter anderm durch Anwendung überhitzten Dampfes (Heißdampf) und mittels Ersatzes der Kolbenbewegung durch Dampfturbinen.
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