Formaldehyd

[766] Formaldehyd (Methylaldehyd, Methanal) CH2O oder H.COH entsteht durch Oxydation von Methylalkohol, wenn man dessen Dämpfe mit Luft gemengt über glühendes Kupfer leitet, auch bei Einwirkung von Chlor und Brom auf Methylalkohol, beim Erwärmen von Methylal CH2(OCH3)2 mit Schwefelsäure, bei trockner Destillation von ameisensaurem Kalk, aus Äthylen und Sauerstoff bei 400°. Er bildet ein farbloses, stechend riechendes, bei anhaltendem Einatmen großer Mengen giftiges Gas, das sich in wässeriger Lösung an der Luft zu Ameisensäure oxydiert und Silbernitrat unter Bildung eines Silberspiegels reduziert. F. läßt sich durch starke Abkühlung zu einer farblosen Flüssigkeit verdichten, die bei etwa -21° siedet und bei -80° das spez. Gew. 0,9172 besitzt. Bei -20° verwandelt sich der verflüssigte F. langsam, bei gewöhnlicher Temperatur schnell u. unter knatterndem Geräusch in Trioxymethylen oder Metaformaldehyd (CH2O)3. Dies entsteht auch bei Einwirkung von Silberoxyd auf Methylenjodid, beim Erhitzen von Methylenazetat mit Wasser und beim Erhitzen von Glykolsäure mit konzentrierter Schwefelsäure. Es ist kristallinisch, in Wasser, Alkohol und Äther unlöslich, schmilzt bei 172° und zerfällt beim Erhitzen in F. Die konzentrierte wässerige Lösung des Formaldehyds enthält wahrscheinlich außer dem flüchtigen CH2O noch das Hydrat CH2(OH)2. d. h. das hypothetische Methylenglykol, und nichtflüchtige Polyhydrate. Beim völligen Verdampfen der Lösung kondensieren sich die Hydrate zu dem festen Paraformaldehyd (CH2O)n der auch aus Glyzerin, Mannit, Traubenzucker etc. durch Elektrolyse erhalten wi rd. Er ist kristallinisch, riecht beim Erwärmen scharf, reizend, schmilzt bei 152°, sublimiert unter 100° und gibt, mit einer Spur Schwefelsäure erhitzt, isomeres Trioxymethylen. Bei Gegenwart von Ätzkalk kondensiert sich F. zu Akrose oder Fruktose, einer Zuckerart, und mit Azetaldehyd und Kalk zu Pentaerythrit C(CH2OH)4. Durch Behandlung von Trioxymethylen mit Kalkwasser entsteht durch Kondensation Methylenitan (Formose), die erste synthetisch dargestellte zuckerartige Substanz. F. bildet mit Anilin Diamidodiphenylmethan, das bei oxydierender Behandlung mit Anilin Pararosanilin liefert. Wie Anilin verhalten sich auch dessen Homologe, und mithin läßt sich auf diese Weise eine große Anzahl von [766] Farbstoffen herstellen. Die Lösung von F. macht übelriechendes Fleisch, faulenden Harn, Exkremente nahezu geruchlos, indem der F. mit dem Schwefelwasserstoff und dem Methylmerkaptan der Exkremente Verbindungen eingeht. In wässeriger Lösung (Formalin, Formol) dient F. als sehr wirksames desinfizierendes und antiseptisches Mittel, das auch zerstäubt werden kann und auf Möbel etc. nicht zerstörend wirkt. Um es als Streupulver benutzen zu können, läßt man es von Kieselgur auffangen (Formalith). S. Desinfektion. Vgl. Flügge, Wohnungsdesinfektion durch F. (Jena 1900); Vanino, Der F. (Wien 1901); Heß, Der F. (2. Aufl., Marb. 1901); Czaplewski, Über Wohnungsdesinfektion mit F. (Münch. 1902); Petruschky, Bericht über meine Informationsreise zum Studium der Wohnungsdesinfektion mit F. (Leipz. 1903); Goldschmidt, Formaldehyd (Bonn 1903).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 766-767.
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