[668] Desinfektion (franz.), das Verfahren, durch das man die als Übertrager von Krankheiten, als Ansteckungsstoffe, erkannten mikroskopischen Organismen, die pathogenen Bakterien, zur Verhütung weiterer Verbreitung ohne Schädigung der zu desinfizierenden Objekte zu zerstören sucht. Häufig wird noch D. verwechselt mit Desodorisation, indem man die Schädlichkeiten von den durch übeln Geruch sich bemerkbar machenden Stoffen ableitet und den gewünschten Erfolg erreicht zu haben glaubt, sobald dieser Geruch beseitigt ist. Sicher sind übelriechende Gase, die aus faulenden Substanzen, Exkrementen etc. sich entwickeln und der Luft der Wohnräume sich beimischen, nachteilig, und der Wert des Eisenvitriols, der Manganlaugen etc. besteht darin, daß sie gewisse Fäulnisprodukte, wie Schwefelwasserstoff und Ammoniakgas, binden und die Verbreitung solcher Gase aus Abtrittsgruben, Klosetten etc. verhindern. Eine Maskierung des Geruchs jener Gase durch stark riechende Räuchermittel ist selbstverständlich zwecklos, die einfachste Ventilation ist sehr viel wirksamer, da sie die schädlichen Gase beseitigt. Freilich richtet auch gute Ventilation auf die Dauer wenig aus, wenn nicht die Quelle jener Gase verstopft wird. Und dies gilt für alle Desinfektionsmaßregeln, denen man nicht den Kampf gegen Schädlichkeiten aufbürden soll, die auf andre Weise leicht und sicher beseitigt werden können. Wenn aus unreinen, feuchten Kellern, aus Kanälen, Abtritten etc. beständig schädliche Gase in Zimmer eindringen, wenn auf feuchten Wänden Tapeten verrotten, unter den Dielen unreiner Schutt lagert, der gelegentlich durch einsickerndes Scheuerwasser angefeuchtet wird, so sind diese Übelstände zu beseitigen, und dann wird eine besondere D. nicht mehr erforderlich sein. Reinlichkeit, Trockenheit, reichliche Ventilation sind von der Gesundheitspflege als so wichtige Faktoren für das Wohlbefinden in den Wohnräumen anerkannt worden, daß auf sie in erster Linie zu achten ist. Nachdem dies aber geschehen, bleibt noch für die D. ein weites Gebiet, auf dem große Anstrengungen gemacht werden müssen, wenn der Erfolg gesichert werden soll. Es handelt sich bei der D. sehr wenig um Beseitigung übler Gerüche, vielmehr ganz besonders um die Zerstörung pathogener Bakterien. Im allgemeinen sind die Bakterien sehr viel widerstandsfähiger, als man glauben möchte, Räucherungen mit Chlor in belegten Krankenzimmern, also in einem Grade, daß Menschen dabei noch ohne Beschwerde atmen können, Besprengungen mit Karbolsäure, welche die Luft mit intensivem Karbolgeruch füllen, haben kaum eine andre Bedeutung als Räucherkerzen und schaden oft mehr als sie nützen, weil sie eine Sicherheit vortäuschen, die durchaus nicht vorhanden ist. Die verschiedenen Bakterien zeigen auch ein durchaus eigenartiges Verhalten gegen die einzelnen Desinfektionsmittel, und besonders widerstandsfähig sind die Dauersporen, die aber bei den Infektionskrankheiten des Menschen nur eine sehr geringe Rolle spielen.
Zur Zerstörung der Bakterien können physikalische und chemische Mittel angewendet werden. Zu den physikalischen Mitteln gehört vor allem die Wärme. Aufkochen mit Wasser tötet Tuberkel-, Cholera-, Typhus- und Diphtheriebazillen, halbstündiges Kochen vernichtet auch die widerstandsfähigsten Sporen. Dies tut auch ungespannter Dampf von 100° in 1530 Min., gespannter Dampf von 110125° in 510 Min. Dampf ist um so wirksamer, je gesättigter und heißer er ist. Bei überhitztem Dampf sinkt von etwa 120° ab die Wirksamkeit trotz weiterer Steigerung der Temperatur. Sehr wichtig ist bei Anwendung von Dampf, daß er überall Wege findet, auf denen er in die zu desinfizierenden Körper eindringen kann. Wo dies nicht möglich ist, werden die Körper innen nur durch geleitete Wärme erhitzt. Dies erfolgt sehr langsam, und es ist eine viel höhere Temperatur zur Tötung der Bakterien erforderlich als bei Berührung mit gesättigtem Dampf. Trockne Hitze ist nur bei Oberflächendesinfektion anwendbar, wenn eine Temperatur von 150160° gegeben werden kann. Strömender Dampf hat keinen andern Vorzug, als daß er unter Umständen die Luft aus den Desinfektionsapparaten verdrängt, also die Zeit abkürzt, die zur Füllung der Apparate mit reinem Dampf nötig ist. Mischungen von Dampf mit Luft (20 Proz.) sind bedeutend unwirksamer als reiner Dampf. Kälte ist kein allgemeines Desinfektionsmittel, sondern hemmt nur die Entwickelung der Bakterien. Sonnenlicht ist sehr wirksam, wird aber bis jetzt kaum in der Praxis verwertet.
Unter den chemischen Desinfektionsmitteln ist Sublimat (Quecksilberchlorid) eins der wirksamsten. Man wendet es gewöhnlich in einer wässerigen Lösung von 1: 1000 an, die auch die widerstandsfähigsten Sporen tötet. In eiweiß-, pepton-, mucinhältigen Flüssigkeiten ist es nicht anwendbar, weil in solchen das Quecksilber gefällt wird. Silber-, Eisen-, Kupfersalze stehen dem Sublimat weit nach. Chlorkalk (12 auf 1000) tötet Bakterien, auch manche Sporen in wenigen Minuten; bei Gegenwart von viel organischer Substanz ist mehr Chlorkalk (1 Proz.) erforderlich. Karbolsäure von 35 Proz. ist sehr wirksam, nur auf Milzbrandsporen ist sie nicht anwendbar. Noch energischer wirkt Phenolsulfosäure, die auch Milzbrandsporen in einem Tage tötet. Sehr wirksam sind die Kresole (Lysol, Solveol, Solutol, Saprol), 20proz. Kalkmilch, 1proz. Mineralsäuren, 0,5proz. Lösung von übermangansaurem Kali, 0,1proz. Lösung von Salizylsäure. 5proz. Seifenlösungen (bes. Schmierseife) töten weniger widerstandsfähige Keime (Cholera) in wenigen Minuten. Bei Tetanus, Milzbrand, Rauschbrand, malignem Ödem gelingt die D. sehr schwierig. Gasförmige Desinfektionsmittel zerstören die Bakterien meist nur, wenn die zu desinfizierenden Gegenstände mit Wasser benetzt sind. Höchst energisch wirkt Chlor, doch ist es wegen seiner schädlichen Wirkung auf Menschen und auf Gebrauchsgegenstände schwer anwendbar. Soll mit Chlor geräuchert werden, so nimmt man auf 1 cbm Rauminhalt 0,25 kg Chlorkalk[668] und 0,35 kg Salzsäure. Man bringt nicht mehr als 0,5 kg Chlorkalk in je eine Schale und stülpt darauf möglichst gleichzeitig in jede Schale eine Flasche mit Salzsäure, worauf man sich so schnell wie möglich aus dem fest zu schließenden Raum entfernt und denselben 24 Stunden geschlossen läßt. Dabei muß man für möglichste Feuchtigkeit der Luft in dem Raum sorgen. Brom ist fast noch schwerer anwendbar als Chlor. Dagegen läßt sich schweflige Säure (durch Verbrennen von Schwefel erzeugt) leicht verwenden, sie steht aber dem Chlor weit nach, und bei sporenhaltigem Material ist der Erfolg durchaus nicht sicher; auf tiefes Eindringen in Gegenstände ist nicht zurechnen. Formalin (40proz. Formaldehydlösung) ist ein gutes Desinfektionsmittel, und Formaldehyd als gasförmiges Mittel wird jetzt am häufigsten angewendet. Hauptbedingung ist Feuchtigkeit der Luft.
Die Temperatur soll mindestens 10° betragen. Auf 1 cbm rechnet man 23 g Formaldehyd.
Im wesentlichen wirkt Formaldehyd nur auf die Oberfläche der Körper, dringt wenig tief in sie ein. Nach 45stündiger Einwirkung der Dämpfe muß man diese, da sie die Schleimhaut der Nase und der Augen sehr heftig angreifen, durch Ammoniak binden. Absonderungen der Kranken, soweit sie Infektionsstoffe enthalten, werden mit dem gleichen Volumen 5proz. Karbolsäure oder Sublimatlösung (1: 1000) übergossen und nach 624 Stunden beseitigt. Auswurf wird am besten in Sägespänen aufgefangen und verbrannt. Typhus- und Choleraexkremente können mit Kalkmilch versetzt werden. Leib- und Bettwäsche wird in einem nassen Tuch zur Waschküche gebracht und 1 Stunde lang gekocht. Enthält die Wäsche Kot, Blut, Schleim, so bringt man sie zunächst in 30proz. Karbolsäure oder bei 50° in 3proz. Schmierseifenlösung. Kleider, Betten, Decken etc. werden durch Wasserdampf sterilisiert, wenn sie weder Blut noch Eiter enthalten. Polstermöbel sind sehr schwer zu desinfizieren. Am besten eignet sich Formaldehyd, im übrigen müssen Lüftung und Sonnenschein ausreichen. Wände und Fußboden werden mit Formaldehyd desinfiziert, wo sie aber beschmutzt sind, mit Sublimatlösung, dann mit 5proz. Karbolsäurelösung gewaschen. Für die D. mit Wasserdampf sind mehrere Apparate konstruiert worden. Der Apparat von Schimmel u. Komp. in Chemnitz (Fig. 1) besitzt elliptische Form mit Türen an beiden Seiten und durch fahrbarem Wagen, der die zu desinfizierenden Gegenstände aufnimmt. Die Beladung des Apparats bei a und die Entladung bei b sind durch eine Mauer voneinander getrennt, befinden sich in verschiedenen Räumen. Für Vorwärmung und Nachtrocknung der Gegenstände sind in dem Apparat Rippenheizröhren angebracht. Wenn der Wagen beladen ist, wird er eingefahren, die Tür geschlossen und das Innere auf 60° angewärmt. Dann läßt man 30 Minuten Wasserdampf von 100° einströmen, öffnet hierauf die Luftklappen, ventiliert 1015 Minuten und trocknet schließlich durch Heizung mittels der Heizröhren.
Zur T. mittels Formaldehyd sind ebenfalls mehrere Apparate angegeben worden. Bei Scherings kombiniertem Äskulapapparat (Fig. 2) wird fester (polymerisierter) Formaldehyd über der Spiritusflamme erhitzt, wobei er in gasförmiges Formaldehyd übergeht, und gleichzeitig wird Wasser verdampft. Bei dem Breslauer Apparat (Fig. 3) werden die Formaldehyddämpfe durch Verdampfen einer Formalinlösung entwickelt. Noch einfacher sind die Karboformal-Glühblocks von Krell-Elb, Briketts, in deren Innerm ein Kern von festem Formaldehyd sich befindet. Man zündet sie mit einem Streichholz an und läßt sie verglühen. Dabei muß durch Einlegen glühend gemachter Ziegelsteine in einen Eimer mit[669] Wasser der nötige Wasserdampf entwickelt werden. Nach der D. mit Formaldehyd ist in das verschlossene Zimmer durch ein Schlüsselloch Ammoniak zu leiten. Alles dies kann nur durch erfahrene Desinfektoren ausgeführt werden. Vgl. »Mitteilungen des kaiserlichen Gesundheitsamtes« (Berl. 1883); Reichardt, D. und desinfizierende Mittel (2. Aufl., Stuttg. 1881); Wernich, Desinfektionslehre (2. Aufl., Wien 1882); Desinfektionsanweisung. Ausführungsbestimmungen des Gesetzes zur Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 15. Okt. 1900; Göldner, Anleitung zur Wohnungsdesinfektion (Berl. 1891); Kirstein, Leitfaden für Desinfektoren (das. 1901); Weyl, Öffentliche Maßnahmen gegen ansteckende Krankheiten mit besonderer Rücksicht auf D. (»Weyls Handbuch der Hygiene«, Bd. 9, Jena 1900).
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