Funktion [2]

[212] Funktion bezeichnet in der Mathematik, aber auch sonst die Abhängigkeit einer Größe von einer oder von mehreren andern. So ist der Flächeninhalt eines Quadrats eine F. der Seite des Quadrats, der Widerstand, den ein aus einem Geschütz abgefeuertes Geschoß in der Luft findet, eine F. der Geschwindigkeit des Geschosses, die Geschwindigkeit, mit der das Geschoß die Mündung verläßt, eine F. der Pulverladung etc. Über den allgemeinen Begriff der F. einer und mehrerer Veränderlichen, über Eindeutigkeit, Stetigkeit und Differentiierbarkeit von Funktionen s. Differentialrechnung, S. 906. Ist y als F. von x bestimmt durch eine nach y aufgelöste Gleichung von der Form: y = f(x), so sagt man, y ist eine explizite F. von x, ist es durch eine Gleichung von der Form: F(x, y) = 0 bestimmt, z. B. durch die Gleichung x2+y2 = 1, aus der folgt: y = √(1-x2), so sagt man: y ist eine implizite F. von x. Ist y = f(x), so gehört nicht nur zu jedem Werte von x ein oder mehrere Werte von y, sondern auch umgekehrt zu jedem Werte von y ein oder mehrere Werte von x, es ist also auch x eine (implizite) F. von y, die man durch Auflösung der Gleichung y = f(x) nach x erhält. Ergibt sich etwa x = φ(y), so nennt man die beiden Funktionen f(x) und φ(y) zueinander invers oder sagt: die eine ist die Umkehrung der andern. So sind die Funktioneny = x/1+x und x = y/1-y, zueinander invers. Auf der Einführung der inversen F. beruht ferner das Wurzelausziehen und das Rechnen mit Logarithmen (s.d.), denn die zu y = xn inverse F. ist: x = n√y und die zu y = ax inverse ist: x = dem Logarithmus von y für die Basis a. Von großer Wichtigkeit sind die Funktionen von x, deren Argument x nicht bloß reelle, sondern auch komplexe Zahlenwerte annehmen kann, bei denen man also x = a+bi setzen kann, unter a und b beliebige reelle (positive oder negative) Zahlen und unter i die Quadratwurzel aus -1 verstanden: i = √-1. Die Lehre von diesen Funktionen einer komplexen Veränderlichen bildet den Hauptinhalt der modernen Funktionentheorie, die namentlich durch Cauchy, Riemann und Weierstraß geschaffen worden ist. Insbesondere verdankt man Weierstraß den Begriff und die Theorie der analytischen, d. h. der durch Potenzreihen (s.d.) darstellbaren Funktionen. Den ersten Anstoß zur Entwickelung einer solchen allgemeinen Funktionentheorie hat die Integralrechnung (s.d.) gegeben, die überhaupt die ergiebigste Quelle immer neuer Funktionen ist. Durch die Betrachtung gewisser Integrale wurden z. B. Abel und Jacobi auf die elliptischen Funktionen geführt, von denen die elementaren trigonometrischen Funktionen sin x, cos x etc. (s. Trigonometrie) und die Exponentialfunktion (s.d.) besondere Fälle sind. Indem anderseits Abel die Integrale beliebiger algebraischer Funktionen untersuchte, gelangte er zu einem äußerst allgemeinen Satz über diese Integrale, der unter dem Namen des Abelschen Theorems bekannt ist, und auf den gestützt Riemann und Weierstraß die Theorie einer nach allgemeinern Klasse von Funktionen, der sogen. Abelschen, ausbauten. Auch sonst hat man noch eine Menge von verschiedenen Funktionen untersucht und mit besondern Namen belegt, z. B. die Gammafunktion, die Thetafunktionen, die Modulfunktionen etc., und auch in Zukunft wird es von Zeit zu Zeit immer wieder nötig sein, neue Gattungen von Funktionen in die Analysis einzuführen, so daß da kein Ende abzusehen ist. – Den Ausdruck F. hat Leibniz zuerst in dem hier betrachteten Sinne gebraucht, doch verstanden er und seine Nachfolger, besonders Euler und Lagrange, unter einer F. von x nur einen gegebenen oder gegeben gedachten Rechenausdruck, der irgendwie aus x gebildet ist. Der allgemeine Begriff der F. (s. Differentialrechnung) stammt von Dirichlet, er ist aber in seiner Allgemeinheit zur Untersuchung nicht geeignet, wenn man nicht von vornherein die F. als stetig voraussetzt. Lange Zeit glaubte man beweisen zu können, daß eine stetige F. notwendig auch differentiierbar sei, bis es Weierstraß gelang, eine stetige F. zu bilden, die gleichwohl nicht differentiierbar ist. Vgl. Dini, Grundlagen für eine Theorie der Funktionen (a. d. Ital. von Lüroth u. Schepp, Leipz. 1892); Durège, Elemente der Theorie der F. einer komplexen veränderlichen Größe (4. Aufl., das. 1893); Thomae, Elementare Theorie der analytischen F. (2. Aufl., Halle 1898).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 212.
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