[762] Pharmakopöe (griech., »Vorschrift für die Arzneibereitung«, Dispensatorium), ein Werk, das die rohen Arzneistoffe und gewisse Mischungen und Zubereitungen beschreibt, die in den Apotheken vorrätig zu halten oder anzufertigen sind. In der Regel werden die Pharmakopöen von den Staatsbehörden herausgegeben und mit Gesetzeskraft ausgestattet, in den Vereinigten Staaten Nordamerikas und der Schweiz von den Apothekervereinen. Zweck der Pharmakopöen ist, die stets gleiche und richtige Beschaffenheit der angedeuteten Stoffe zu sichern. Die Rohstoffe werden so geschildert, daß ihre Echtheit, Güte und zweckmäßige Erhaltung zu erkennen ist und Verwechselungen ausgeschlossen sind. Bei den chemisch einfachen Körpern und den chemischen Verbindungen heben die bessern Pharmakopöen für den Apotheker und den Arzt mit vollkommener Schärfe die Mittel zur ausreichenden Prüfung hervor. Dies ist um so notwendiger, als der Apotheker heutzutage die chemischen Präparate ankauft, nicht mehr selbst darstellt und doch für ihre Güte verantwortlich ist. Manche Mischungen, z. B. Pflaster, Salben, Pulver, sogen. Teespezies, werden vorrätig gehalten, während gewisse andre Arzneien nur im Augenblick des Bedarfs gemischt werden dürfen. Darüber geben die Pharmakopöen ebenfalls Vorschriften. Sämtliche Bestimmungen sind möglichst kurz gefaßt, da die Pharmakopöen Gesetzbücher, nicht Lehrbücher sein sollen: die pharmazeutische Literatur hat deshalb auch eigne erläuternde Werke, Kommentare, zu den Pharmakopöen aufzuweisen. Die Pharmakopöen pflegen zur Bequemlichkeit des Apothekers auch praktische Tabellen zu enthalten sowie Angaben über die Gewichtsmengen, in denen Gifte nicht mehr verabreicht werden dürfen, sofern es nicht vom Arzt ganz ausdrücklich verlangt wird (Tabelle A des deutschen Arzneibuches). Ebenso schreibt die P. vor, welche Arzneimittel an abgeschlossenen Orten (»sehr vorsichtig«) aufzubewahren sind (Tabelle B: Arsenige Säure, Atropinsulfat, Fowlersche Lösung, Homatropinhydrobromid, Phosphor, Psysostigminsalizylat und -Sulfat, Quecksilberchlorid,-Cyanid,-Jodid,-Oxyd,-Präzipitat [weißer], Quecksilbersalizylat, Skopolaminhydrobromid, Strychninnitrat, Sublimatpastillen, Veratrin), und diejenigen, die von den übrigen Arzneimitteln getrennt (»vorsichtig«) aufzubewahren sind (Tabelle C). In frühern Zeiten wurden im Anhang die Preise[762] der Arzneistoffe vorgeschrieben; im 17. und 18. Jahrh. hatte jeder deutsche Staat seine besondere Taxe und meist auch seine eigne P. Über die heutigen bezüglichen Anschauungen vgl. Hirsch, Über die der Bearbeitung einer P. zugrunde zu legenden Prinzipien (Berl. 1876). Die frühesten dem Begriff einer P. ungefähr entsprechenden Werke wurden im 9.12. Jahrh. von den Arabern verfaßt, dann besonders in der Zeit von 1050 bis in die Mitte des 15. Jahrh. von der medizinischen Schule in Salerno. Deutschland erhielt zuerst 1535 durch Cordus (s. Pharmakognosie) auf Verlangen des Rates in Nürnberg eine P., der 1564 diejenige von Augsburg folgte. 1872 trat in Deutschland an Stelle der in den einzelnen Bundesstaaten geltenden Pharmakopöen die von einer ständigen Kommission beim Kaiserlichen Gesundheitsamt (die 1901 im Reichsgesundheitsrat ausging) bearbeitete, in lateinischer Sprache abgefaßte »Pharmacopoea germanica« (2. Aufl. 1882, in 3. Aufl. in deutscher Sprache als »Arzneibuch für das Deutsche Reich«, 1890, 4. Aufl. 1900; dazu »Ergänzungsbuch für das Deutsche Reich: Arzneimittel, welche in dem Arzneibuch nicht enthalten sind«, hrsg. von dem Deutschen Apothekerverein, 3. Ausg., Berl. 1906); die übrigen Pharmakopöen sind sehr vollzählig angeführt in Scherer, Literatura pharmacopoearum (Leipz. 1822). Es gibt zurzeit 20 Pharmakopöen, von denen die norwegische 519, die französische aber 2039 Mittel aufzählt; nur 150 Mittel finden sich in allen Pharmakopöen. Vgl. Hirsch, Universalpharmakopöe. Vergleichende Zusammenstellung der zurzeit in Europa, Nordamerika und Japan gültigen Pharmakopöen (2. Aufl., Göttingen 1902, 2 Bde.). Kommentare zur deutschen P. lieferten: Hager, Fischer und Hartwich (2. Aufl., Berl. 189095, 2 Bde.; Ergänzungsband von Fischer und Hartwich, 1901), Buchner (Münch. 187283, 2 Bde.; Supplement 188596), B. Hirsch und Schneider (2. Ausg., Götting. 1891; 3. Aufl. von Schneider und Süß, das. 190002), Vulpius und Holdermann (Leipz. 1895), Jehn und Crato (das. 1901); zur österreichischen P. Schneider und Vogl (3. Aufl., Wien 1893, 3 Bde.), Bryk (das. 1896).