Scherer

[742] Scherer, 1) Georg, Dichter, geb. 16. März 1828 in Dennenlohe bei Ansbach, studierte in München Philosophie und Philologie, wurde nach größern Studienreisen 1865 Dozent für Literatur- und Kunstgeschichte am Polytechnikum in Stuttgart und 1875 Professor an der Kunstschule daselbst. Seit 1881 lebt er als Schriftsteller wieder in München. Seine Gedichte zeichnen sich durch Gemütstiefe und Formvollendung aus; seine Sprache ist schlicht und volkstümlich. Um die Erforschung und Auszeichnung des deutschen Volksliedes hat S. sich besonders verdient gemacht. Er veröffentlichte: »Gedichte« (Leipz. 1864; 6. Aufl. mit Illustrationen von P. Thumann, Stuttg. 1897); »Deutscher Dichterwald«, lyrische Anthologie (22. Aufl., Stuttg. 1906); »Die schönsten deutschen Volkslieder«, mit Bildern und Singweisen (u. Aufl., Leipz. 1868; Prachtausgabe ohne Singweisen, 1875); »Jungbrunnen«, deutsche Volkslieder (3. Aufl., Berl. 1874); »Illustriertes deutsches Kinderbuch« (Bd. 1, 7. Aufl., Leipz. 1905; Bd. 2, 2. Aufl. 1877); »Rätselbuch« (3. Aufl., Münch. 1899); »Die Wacht am Rhein«, Monographie (Berl. 1871); »Liederborn«, 200 Volks- und volkstümliche Lieder mit Singweisen (das. 1880) und gab das »Birket Foster-Album« (Münch. 1881) mit deutschem Text heraus.

2) Wilhelm, namhafter Germanist, geb. 26. April 1841 zu Schönborn in Niederösterreich, gest. 6. Aug. 1886 in Berlin, begann 1858 auf der Universität zu Wien seine sprachwissenschaftlichen Studien, die er seit 1860 in Berlin fortsetzte, habilitierte sich 1864 an der Wiener Hochschule und wurde hier 1868 nach Fr. Pfeiffers Tode zum ordentlichen Professor für deutsche Sprache und Literatur ernannt. 1872 in gleicher Eigenschaft nach Straßburg berufen, entfaltete er hier eine äußerst fruchtbare Lehrtätigkeit, bis er im Herbst 1877 einem Ruf als Professor der neuern deutschen Literaturgeschichte an der Universität Berlin folgte, wo er 1884 auch zum Mitglied der Akademie ernannt wurde. Von Scherers literarischen Publikationen, die im wesentlichen deutsche Sprachwissenschaft und Literaturgeschichte (letztere von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart) behandeln, sind hervorzuheben: »Denkmäler deutscher Poesie und Prosa« (mit Müllenhoff, Berl. 1864; 3. Aufl. 1892); seine Untersuchungen über die Literatur des 11. und 12. Jahrh.: »Deutsche Studien« (Wien 1870–78, 3 Tle.; 2. Aufl., Prag 1891), »Geistliche Poeten der deutschen Kaiserzeit« (Straßb. 1874–75,2 Hefte), »Geschichte der deutschen Dichtung im 11. und 12. Jahrhundert« (das. 1875); ferner die Monographie »Jakob Grimm« (Berl. 1865, 2. erweiterte Aufl. 1885); »Zur Geschichte der deutschen Sprache« (das. 1868, 3. Ausg. 1890); »Vorträge und Aufsätze zur Geschichte des geistigen Lebens in Deutschland und Österreich« (das. 1874); »Die Anfänge des deutschen Prosaromans« (Straßb. 1877); »Aus Goethes Frühzeit, Bruchstücke eines Kommentars zum jungen Goethe« (das. 1879) und seine »Geschichte der deutschen Literatur« (Berl. 1883, 10. Aufl. 1905), die sich als ein hochbedeutender Versuch zeigt, unter Berücksichtigung aller gewonnenen wissenschaftlichen Resultate, gleichsam aus der Mitte der Forschung heraus, eine allen Kreisen zugängliche, durch anmutig lebendige Darstellung ausgezeichnete Geschichte der Entwickelung der deutschen Nationalliteratur zu geben. Für O. Lorenz' »Geschichte des Elsasses« (3. Aufl., Berl. 1884) behandelte er die Literatur des Elsaß, mitten Brink begründete er 1874 in Straßburg die »Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker«. Aus seinem Nachlaß erschienen die »Aufsätze über Goethe« (Berl. 1886, 2. Aufl. 1900), die »Poetik« (das. 1888), die »Kleinen Schriften« (hrsg. von Burdach und Erich Schmidt, das. 1893, 2 Bde.) und »Karl Müllenhoff, ein Lebensbild« (das. 1896). Als akademischer Lehrer entwickelte S. eine überaus anregende Tätigkeit und begründete eine lange Zeit vorherrschende literarhistorische Schule von ausgeprägter Eigenart.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 742.
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