Zufall

[1008] Zufall (lat. Casus), im gewöhnlichen Leben alles, was uns nicht als notwendig oder beabsichtigt erscheint, oder für dessen Eintreten wir einen Grund nicht nachweisen können, das also nach unsrer Meinung ebensogut in andrer Weise und zu andrer Zeit hätte geschehen können. Demgemäß wird die Zufälligkeit bald der Notwendigkeit, bald der Wesentlichkeit, bald der Absichtlichkeit entgegengesetzt. Genauer hat man den Z. in relativem und in absolutem Sinne zu unterscheiden. Nur relativ zufällig ist ein Vorkommnis, dessen nähere Bedingungen wir nicht kennen, oder das mit gewissen andern gerade in Betracht gezogenen Umständen in keinem notwendigen Zusammenhange steht; ein absoluter Z. würde vorliegen, wenn ein Ereignis überhaupt durch keinerlei Umstände bedingt wäre. Wenn z. B. ein Vorübergehender durch einen herabfallenden Stein erschlagen wird, so ist dies nur insofern zufällig, als zwischen dem Vorübergehen und dem Herabfallen kein ursachlicher Zusammenhang besteht; dagegen wären nach der Lehre des Indeterminismus (s. d.) unsre Willenshandlungen als gänzlich ursachlos zugleich absolut zufällig. Im Rahmen der wissenschaftlichen Weltauffassung findet zwar der relative Z. (auf den sich die Wahrscheinlichkeitsrechnung und die statistischen Methoden beziehen), nicht aber der absolute Z., weil dem Kausalgesetz (s. d.) widersprechend, Platz. Vgl. Windelband, Die Lehren vom Z. (Berl. 1870); Cantor, Das Gesetz im Z. (das. 1877). – In juristischer Beziehung bedeutet Z. ein Ereignis, das nicht in dem Willen und der Absicht des Handelnden liegt. Im allgemeinen haftet daher auch niemand für Z. Jedoch bestimmt § 287, Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches, daß der Schuldner während des Verzuges (s. d.) auch für Z. haften muß, es sei denn, daß der Schaden auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten wäre. Ebenso haftet auch der Geschäftsführer bei einer Geschäftsführung wider Willen des Geschäftsherrn für Z. (§ 678 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Vgl. weiter Bürgerliches Gesetzbuch § 350, 701, Handelsgesetzbuch § 456 und Artikel »Gefahr«; ferner M. Rümelin, Der Z. im Recht (Freib. 1896); Schoberlechner, Der Z. im Straf- und Zivilrecht (Wien 1897).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 1008.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: