[302] Botānik, Gewächs- oder Pflanzenkunde heißt die Wissenschaft, welche die Gewächse in allen Beziehungen kennen lehrt. Sie wird zunächst in die theoretische oder reine Botanik, welche sich nur mit äußerlicher Kenntniß und Beschreibung der Gewächse beschäftigt, und in die praktische oder angewandte Botanik abgetheilt, welche die Erkenntniß der übrigen Eigenschaften der Gewächse und der vortheilhaften Benutzung derselben zum Zwecke hat, und wieder in die medicinische oder pharmaceutische, in die technische, ökonomische, Forst- und Gartenbotanik zerfällt. Da nun die bestimmte Erkenntniß der Pflanzen im Allgemeinen oder wenigstens in Bezug auf ein Fach der Botanik allem Weitern vorausgehen muß, so wird zuerst nöthig, sich die unterscheidenden Merkmale der Gewächse nach Anleitung der reinen Botanik und nach der dafür angenommenen botanischen Kunstsprache anzueignen, welche ihre Ausdrücke ursprünglich meist der lat. und auch der griech. Sprache entlehnt hat und deren Anwendung, wo es auf Genauigkeit abgesehen ist, unerlaßlich scheint. Allein damit würde man sich in dem unermeßlichen Gebiete des Pflanzenreiches noch lange nicht zurecht finden, hätte man nicht leitende Grundsätze aufgefunden, nach denen bestimmte Anordnungen der Gewächse in gewisse Abtheilungen und Unterabtheilungen möglich wurden. Durch Auffassung und Anordnung der Gewächse nach solchen übereinstimmenden Grundsätzen erhielt man botanische Systeme, deren Bedürfniß sich aber erst dann fühlbar machte, als die Zahl der bekannt gewordenen oder beachteten Gewächse sehr anwuchs und die Ähnlichkeit vieler derselben theils auf ihre Verwandtschaft hinwies, theils zu genauerer Unterscheidung auffoderte. Geschieht diese Anordnung nach Pflanzen, Familien oder Gruppen, wie sie z.B. die Gräser, die Palmen, die Nadelhölzer bilden, und gelten dabei die innern und äußern, oft sehr mühsam aufzufindenden Übereinstimmungen und Verschiedenheiten als Richtschnur, so heißt sie ein natürliches System, auf das schon die früheste Abtheilung der Gewächse in Bäume, Sträucher, Staudengewächse, Moose u.s.w. leitete. Legt man jedoch bei Eintheilung der Pflanzen einen gewissen allgemeinen Begriff, ein bestimmtes Fachwerk zum Grunde, in welches man die Gewächse nach den mannichfaltigen Unterschieden der als entscheidend über die Stelle derselben angenommenen Theile einordnet, z.B. nach Zahl, Stellung, Gestalt u.s.w. der Blüten und Fruchttheile, so erhält man ein künstliches System.
Ungeachtet schon 300 v. Chr. der griech. Philosoph und Naturforscher Theophrast ein freilich sehr mangelhaftes Werk über die Gewächse schrieb, trat doch sehr spät die Botanik in die Reihe der Wissenschaften und beschränkte sich viele Jahrhunderte auf die Kenntniß der wenigen als Heilmittel benutzten Pflanzen. Erst zu Ende des 15. Jahrh. erhielt sie in dem mainzer Theologen und Arzte Otto Brunfels einen thätigern Bearbeiter, dem bald mehre nacheiferten, der 1603 verstorbene Leibarzt Papst Clemens VIII., Andreas Cäsalpinus, war aber der Erste, welcher die bekannten Gewächse nach gewissen Ähnlichkeiten in ein System brachte. Unter der langen Reihe seiner Nachfolger, von denen viele durch Reisen und neue Entdeckungen die Botanik ruhmvoll förderten und auch neue Pflanzensysteme aufstellten, fand aber keiner so allgemein beifällige Anerkennung, als Karl v. Linné (s.d.), der Erfinder des nach ihm benannten botanischen Systems, welches auch zum Unterschiede von andern das [302] Sexual- oder Geschlechtssystem heißt, weil es von den Blüte- oder Geschlechtstheilen der Pflanzen ausgeht. Nach demselben werden alle Gewächse zuerst in zwei Hauptabtheilungen geschieden, von denen die erste alle mit kenntlichen Geschlechtstheilen oder die phanerogamischen, die andere alle mit unkenntlichen Geschlechtstheilen oder die kryptogamischen Gewächse umfaßt, die phanerogamischen aber je nach der Verschiedenheit der Anzahl, der Gestaltung und des Standpunktes ihrer Geschlechtstheile wieder in 23 Classen abgetheilt sind. Die Kenntniß der Gewächse ward durch dieses System, das selbst Denen beim ersten Unterrichte unentbehrlich scheint, welche davon abgegangen sind, ungemein erleichtert, auch geschah das noch besonders dadurch, daß Linné dem Gattungsnamen der Gewächse einen zweiten folgen ließ, durch welchen die Arten bezeichnet wurden, wozu man vorher ganze Sätze brauchte. Da jedoch die strenge Befolgung des Linné'schen Systems sehr oft Pflanzen trennt, welche offenbar große Übereinstimmung miteinander haben und dadurch, sowie durch andere Mängel, der Auffassung des innern Zusammenhanges des Gewächsreiches hinderlich wird, und da ferner seine Eintheilungsgrundsätze auf die kryptogamischen Gewächse, gewiß den vierten Theil von allen, nicht anwendbar sind, so haben die gewonnenen tiefern Einsichten in die Natur der Gewächse in neuerer Zeit wieder zu der natürlichen Anordnung zurückgeführt. Vorzüglich ist das von dem größten Botaniker des 18. Jahrh. nach Linné, dem franz. Arzte Bernard de Jussieu, gest. 1776 zu Paris, aufgestellte natürliche System in Aufnahme gekommen, um dessen Vervollkommnung sich dessen Neffe, Anton Lorenz de Jussieu, später Verdienste erwarb.
Da es die Kenntniß der Pflanzen ungemein erleichtert, wenn man sie im lebenden Zustande untersuchen oder sich wenigstens die wirkliche Anschauung derselben verschaffen kann, so pflegen Pflanzenkundige und die es werden wollen, nicht nur deshalb Ausflüge in die Umgegend ihrer Wohnorte anzustellen, was botanische Excursionen machen und Botanisiren genannt wird, sondern sammeln auch die ihnen zugänglichen Pflanzen ein, trocknen sie sorgfältig und bewahren sie zwischen Papierbogen mit genauer Bezeichnung und nach einem bestimmten Systeme geordnet, auf. Eine solche Pflanzensammlung führt den lat. Namen Herbarium und kann durch Tausch oder Kauf mit getrockneten Pflanzen der entferntesten Weltgegenden vermehrt werden. Die für ein Herbarium bestimmten Pflanzen müssen übrigens in möglichst vollständigem Zustande, oder wenn das nicht angeht, wenigstens nach ihren wesentlichen Theilen ausgewählt werden, wozu Wurzel, Blüte, Frucht, Stengel und die oft verschiedenartigen Blätter gehören, und wird beim Trocknen und Aufbewahren die nöthige Vorsicht angewendet, so erhalten sie sich Jahrhunderte lang in brauchbarem Zustande. In noch höherm Grade befördern denselben Zweck die botanischen Gärten, wie Anlagen genannt werden, in denen man Gewächse aus allen Gegenden der Erde im freien Lande und in Treibhäusern meist zur Benutzung beim Unterrichte und zur Erweiterung der Wissenschaft erzieht. Dergleichen Anlagen werden daher gewöhnlich auf Kosten des Staats bei Universitäten und andern größern Bildungsanstalten begründet und unterhalten und stehen insgemein unter besonderer Aufsicht der daselbst angestellten Professoren und Lehrer der Botanik. In Deutschland befinden sich die vorzüglichsten botanischen Gärten zu Schöndrunn bei Wien und zu Schönberg bei Berlin; zu den berühmtesten im Auslande gehören der Pflanzengarten zu Paris, in England der kön. Garten zu Kew, der Chelseagarten und andere.
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