Leder

[712] Leder wird im Allgemeinen jede Thierhaut genannt, welche so zubereitet worden ist, daß sie vermöge gewisser Substanzen, die an den Fasern und dem Zellgewebe eingedrungen sind, der Fäulniß längere Zeit widersteht und, daß sie zugleich einen höhern Grad von Geschmeidigkeit erlangt hat. Die Kunst der Lederbereitung heißt Gerberei und unterscheidet sich in mehre Arten, je nachdem man verschiedene Wege einschlägt, um die Häute mit der Haarbekleidung oder nach Entfernung derselben zu bearbeiten. Bei der Lohgerberei bedient man sich als Gerbematerial vorzugsweise der Eichenlohe, aber auch der Rinde der Birken, Erlen, Tannen, Fichten, Lerchen, Weiden und anderer Substanzen, welche sogenannten Gerbestoff enthalten; die gemeine Lohgerberei oder Rothgerberei liefert Sohl-, Schmal- oder Fahlleder. Ochsenhäute, auch schwere Kuhhäute geben das Sohlleder, Pfundleder. Nachdem jene gehörig in Wasser eingeweicht worden sind, reinigt sie der Gerber mit Hülfe eines stumpfen Eisens (des Streich-oder Schabeisens) auf dem Schabebaum von dem anhaftenden Schmuze und spült sie in fließendem Wasser aus. Durch Anwendung von Kalkmilch, welche die Oberhaut zerstört, in der die Haare festsitzen, oder durch das sogenannte Schwitzen, werden hierauf die Häute zum Enthaaren vorbereitet. Beim Schwitzen sind die Häute zusammengeschlagen, sodaß die rauhe Seite nach außen kommt, übereinander geschichtet, und werden einige Zeit der Fäulniß überlassen; damit diese jedoch nicht in das Innere der Häute eindringe, so hat man diese vorher auf der Fleischseite mit Salz und Asche eingerieben. Das Enthaaren geschieht mit Hülfe des Schabeisens. Abermals werden nun die Häute in einem Flusse gereinigt, um dann zum Scheeren zu schreiten, bei welchem die überflüssigen Fleischtheile mit einem scharfen Messer abgeschnitten werden. Nach wiederholter Einwässerung der Häute werden sie auf der Narbenseite (wo die Haare standen) von Schmuz und Kalktheilen durch das Streichen gereinigt. Alle bisher erwähnten Arbeiten sind nur vorbereitende, und zu diesen gehört auch noch das Schwellen oder Beizen, durch welches die Häute so aufgeschwemmt oder in ihrer Structur aufgelockert werden, daß sie zur Aufnahme der Gerbsäure geschickt werden. Das Schwellen geschieht durch Einweichung der Häute in die aus Roggen- oder Gerstenschrot-Kleie und Sauerteig (welcher die Gährung befördert) bereitete Schwellbeize, der noch eine Quantität Wasser zugesetzt wird. Statt dieser sauern Getreidemaische nimmt man auch wol eine Lohbrühe, die man aus schon gebrauchter Lohe durch einen Aufguß von Wasser gewinnt. Nachdem (worüber Wochen vergehen) die Häute gehörig aufgeschwellt sind, bringt man sie in die Farbe, welche in einer schwachen Brühe aus frischer Lohe besteht, und nachdem sie hier in einem bis zwei Tagen eine röthliche Farbe angenommen haben, sind sie zum Versetzen oder zum Einlegen in die Gruben geschickt. Diese bestehen aus Vertiefungen (in die Erde versenkten Bottichen) von acht bis zehn F. Tiefe und sechs F. Länge. Schichten faseriger Lohe wechseln in diesen Gruben mit den einzelnen Häuten ab; oben auf kommt aber noch eine starke Schicht schon gebrauchter Lohe und endlich werden Breter und Steine aufgelegt. Auf die Lohe wird nun so viel Flußwasser geschüttet, als die Grube noch zu fassen vermag und sich in die Lohe einzieht. Nach 10–14 Wochen erst nimmt man die Häute aus der Grube aber nur um sie umzuwenden und abermal einzulegen (der zweite Satz) und mit frischer Lohe zu versehen. Nach vier Monaten erhalten sie einen dritten Satz, in dem sie abermals vier Monate oder noch länger liegen bleiben. Nun erst ist die Gerbung der Häute vollendet und diese haben durch jene an Festigkeit, Weiße und Schwere gewonnen. Die Beschaffenheit der Haut, die Behandlung derselben beim Gerben und die Beschaffenheit der Lohe bestimmen zusammen die Güte des Leders. Nach Vollendung der Gerbung werden die Häute von der Lohe gereinigt, langsam getrocknet, gepreßt, mit einer Keule gestampft, mit einer Walze geebnet und endlich auf ein nicht zu trockenes Lager gebracht. Das Leder ist vollkommen durchgegerbt (lohgar), wenn beim Durchschnitt die Schnittfläche durchgängig bräunlichgelb ist, nicht in der Mitte noch ein weißlicher Strich erscheint. Die nicht mehr brauchbare Lohe wird in hölzerne Formen gepreßt und getrocknet. Auf diese Weise erhält man die Lohkuchen oder Lohballen, welche als Brennmaterial dienen.

Das Fahl- oder Schmalleder wird aus Kalbfellen bereitet, auf ähnliche Weise wie das Sohlleder. Nachdem aber die Felle aus der Grube genommen worden. werden sie mit einer Thranschmiere bestrichen, am stärksten auf der Fleischseite, schwächer auf der Narbenseite. Nach dem Trocknen wird ihnen durch die Zurichtung ein glattes Ansehen gegeben, dann werden sie gekrispelt, wozu man sich eines bogenförmigen gekerbten Holzes (des Krispelholzes) bedient und endlich durch das Falzen oder Schlichten zu gleichmäßiger Dicke gebracht und mit dem Pantoffelholz glatt gerieben. – Kuh- und [712] Schweinshäute werden ähnlich wie Kalbshäute, Roßhäute wie Sohlleder behandelt. Das dänische Leder wird aus Lamm- und Ziegenfellen gewonnen, die man mittels Weidenrinde gerbt, von welcher es einen eigenthümlichen Geruch annimmt. – Schaffelle befreit man von der Wolle nicht durch Kalken, sondern durch Schwitzen, um die Wolle nicht zu verderben, welche als Gerberwolle in den Handel kommt. Übrigens werden die Schaffelle wie die Kalbfelle behandelt. – Um das beschriebene sehr lange Zeit erfoderliche Gerbeverfahren abzukürzen, hat man auf andere Methoden gesonnen, und namentlich hat der Engländer Macbride eine Schnellgerberei vorgeschlagen, welche der Franzose Seguin verbessert hat. Bei derselben geschieht das Schwellen durch verdünnte Schwefelsäure und das eigentliche Gerben in Lohbrühen von verschiedener Stärke, in welche die Felle nacheinander von der schwächsten bis zur stärksten fortschreitend gehängt werden. Auf diese Weise kann man Kalb- und Ziegenfelle schon binnen acht bis zehn und dünne Kuh- und Roßhäute binnen 14–21 Tagen gerben. Diese Fabrikate stehen indeß an Güte im Allgemeinen denen nach, welche durch die gewöhnliche Lohgerberei gewonnen werden. Auch noch andere Arten der Schnellgerberei sind erfunden worden und namentlich hat man in Amerika dieselbe ausgebildet. Noch ist der Gerberei des Justen (s.d.) und des Saffian (s.d.) zu gedenken.

Bei der Weißgerberei bedient man sich statt der Lohe einer Auflösung von Alaun und Kochsalz, um Kalb-, Schaf- und Ziegenfelle, sowie leichte Ochsen-, Kuh- und Roßhäute weißgar zu machen. Die Vorarbeiten der gemeinen Weißgerberei sind ziemlich dieselben wie bei der Lohgerberei. Nach Vollendung derselben werden die geschwellten und gereinigten Häute in erwärmter Kleienbeize durchweicht und gewalkt und dann in der Alaunbrühe gegerbt. Man zieht sie durch und läßt sie kurze Zeit in der Brühe, schlägt sie dann zusammen und läßt sie zwei bis drei Tage in einem Fasse geschichtet liegen, bis sie gar sind, worauf man sie trocknet und zurichtet. Zu diesem Zwecke werden sie angefeuchtet, über einem halbrunden Eisen (Stollen) gereckt, ausgedehnt und von den Falten befreit. Zuweilen wird noch die Narbenseite geglättet und gefärbt. Das Handschuhleder, auch franz. oder erlanger Leder, wird aus Lamm-und Ziegenfellen gemacht, die man nach dem Gerben in der Alaunbrühe noch in einem Gerberbrei durcharbeitet, welcher das Leder noch weicher, milder und weißer macht und aus Alaunbrühe besteht, die mit Weizenmehl, Eigelb u.s.w. zu einem Teig zusammengeknetet ist. Beim Zurichten werden diese Felle mit einem Glättstein oder einer Glaskugel geglättet, auch wol noch mit einem Überzuge von Stärke und Traganth versehen. – Um Schaffelle mit der Wolle zu gerben, darf man keinen Kalk anwenden. – Die dickern Häute macht die ungarische Weißgerberei weißgar. Nach dem Gerben und Walken werden diese Häute über Kohlenfeuer erwärmt, auf der Fleischseite mit geschmolzenem Talg getränkt und nochmals erwärmt, damit sich der Talg in die Haut einzieht. – Die Sämischgerberei, welche in Deutschland gewöhnlich die Weißgerber betreiben, behandelt Wild-, Schaf-, Ziegen- und Kalbhäute, auch schwache Kuh- und Ochsenhäute. Die Vorarbeiten sind wie bei der Weißgerberei. Nach dem Enthaaren stößt man mit einem concaven Messer, welches an den Seiten scharf, in der Mitte stumpf ist, die Narben ab, bringt die Häute zum zweiten Mal in den Kalk, schabt die Fleischseite, thut sie zum dritten Mal in den Kalk, stampft sie mit der Stoßkeule in der Kleienbeize, ringt sie auf dem Windestab aus, walkt sie mit Thran. Hierauf werden die Häute in ein Leinentuch geschlagen, wo sie sich erhitzen, in eine Art Gährung kommen und dadurch das Fett in die Poren einziehen. Man nennt dies das Färben in der Braut. Den überflüssigen Thran entfernt man durch Auswaschen in lauwarmer Pottaschenauflösung (Entfetten oder Degrasiren). Die Appretur ist dieselbe wie beim weißgaren Leder.

Zu dem loh- oder rothgaren Leder gehören der Saffian (s.d.), der Justen (s.d.), der Corduan (vergl. Cordova), das lohgare Kalbleder, vorzüglich aber folgende Sorten. Das Pfund-oder Sohlleder wird aus starken Büffel-, Ochsen-, Pferde-, Wildschwein-, Seehund- und Wallroßhäuten gemacht, nach dem Pfunde verkauft und besonders zu Sohlen von dem Schuhmacher verarbeitet. Das engl., lütticher und mastrichter ist das beste. Das Fahl-, Schmal- oder Oberleder wird von den Schuhmachern gebraucht und nach dem Stück verkauft. Fischleder ist ein lohgares, gekrispeltes und schwarz gefärbtes Kalbleder. Das jämtländische Leder kommt aus der schwed. Provinz Jämtland, ist ein geschmeidiges, wasserdichtes Leder, zu dem die Häute verschiedener Thiere genommen werden, die in einer heißen Lauge von guter Fichtenrinde gestampft, in der Kälte getrocknet, mit Fett eingeschmiert, erhitzt und schnell mit Fett abgerieben werden. Das Blankleder besteht aus lohgaren Rindshäuten, die mit Fischthran getränkt und geglättet sind. Das braune ist mit Fichtenlohe gegerbt, das schwarze noch durch eine Eisenauflösung gefärbt. Sattler und Riemer bedienen sich desselben. Das Krempel- oder Kratzenleder ist dünnes, weiches Kuhleder, ähnlich dem Blankleder und wird zur Herstellung von Kratzen und Kardätschen (s. Krempeln) gebraucht.

Das alaungare und weißgare Leder hat vorzüglich folgende Sorten. Die Farbenfelle sind auf der Narbenseite weiße, auf der Fleischseite verschieden gefärbte Kalbfelle. Das brüsseler Leder ist gefärbtes Handschuhleder. Das dän. Leder und das glacirte oder erlanger, auch franz. Leder sind schon erwähnt worden. Vorzüglich Handschuhmacher, Sattler und Riemer bedienen sich dieser Lederarten. Das Sämischleder wird besonders zu Beinkleidern, Handschuhen, Collets, Degenkuppeln u. dgl. verarbeitet. Am vorzüglichsten ist das Gemsleder, welches auch aus Bock-, Hammel- und Biberfellen nachgemacht wird. Ferner gehören hierher das Bockleder, das weiche Rehleder, das festere Hirschleder, das starke und etwas weiche Elennthierleder, das dauerhafte Rennthierleder, das Hundeleder, das sehr starke und harte Nashornleder. – Vieles Leder wird zu Pergament (s.d.) verarbeitet.

Die größten Gerbereien des preuß. Staates sind zu Malmedy, wo jährlich an 80,000 Stück amerik. Häute zubereitet werden; ferner zu St.-Vith, Stromberg, Köln, St.-Goar, Mühlhausen, Königsberg, Danzig, Stettin, Breslau, Brandenburg, Halberstadt, Naumburg u.s.w. In Östreich zeichnet sich Wien, in Ungarn Pesth durch bedeutende Gerberei aus. Saffian und Corduan liefern Siebenbürgen [713] und die Bukowina. In Baiern ist Erlangen bedeutend. England und Frankreich fabriciren sehr vieles und gutes Leder und verarbeiten es, namentlich in Paris, zu Handschuhen, Schuhwerk und Sattlerarbeit, die weithin ausgeführt wird. Auch in Rußland und Nordamerika sind zahlreiche und sehr ansehnliche Gerbereien.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 712-714.
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