Mysterien

[229] Mysterĭen nannten die alten Griechen und nach ihrem Beispiele die Römer, die regelmäßige, der Theilnahme und zumeist auch dem Auge Ungeweihter entzogene Feier religiöser Feste, wie sie in sehr früher Zeit bei den alten Völkern üblich waren. Neben der höhern Verehrung der Gottheit, welcher sie ausdrücklich gewidmet waren, mochten sie auch den Zweck haben, durch künstlerische Ausschmückung, z.B. durch Gesang und dramatische Darstellungen, den Geweiheten eine tiefere und erbaulichere Bedeutung der religiösen Überlieferungen, welche in der von der Menge blos aufgefaßten äußern Gestalt nur als Aberglaube auftraten, in erfreulicher Weise vorzuführen. Dergleichen Feierlichkeiten wurden in Ägypten unter Anderm zu Ehren des Nil, der Isis und des Osiris begangen; bei den Griechen gehörten die eleusinischen (s. Eleusis), die samothrazischen (zu Ehren des Jupiter, des Bacchus oder der Ceres), die dionysischen (s. Bacchus), bei den Römern auch die Mysterien der Isis zu den wichtigern. In einem großen Umfange mögen freilich dergleichen geheimnißvolle Feste von den Priestern und andern Verbindungen dazu gemisbraucht worden sein, bei dem so leicht vom wunderbaren Scheine befangenen Volke Ansehen und Einfluß zu behaupten, und erst im 2. und 3. Jahrh. n. Chr. gab man sie allmälig auf, nachdem ihre Achtung durch die große Zahl, durch das meist verlorene Geheimniß und die theilweise Ausartung in Orgien längst untergraben war. – In der spätern christlichen Zeit bekamen zuerst von den Franzosen die religiösen Schauspiele den Namen von Mysterien, welche nach Stoffen aus der h. Geschichte von Geistlichen und Mönchen gleichsam als ein Theil des Gottesdienstes zur Erbauung der Gläubigen in Kirchen und auf Kirchhöfen aufgeführt wurden. Von weltlichen Personen nachgeahmt, wurden sie indeß bald eine der beliebtesten Lustbarkeiten der Großen und des Volks und in die seltsamste Mischung des Heiligen und Weltlichen verwandelt, wobei die Geistlichkeit nicht zum besten fuhr. So sah man in den Mysterien, welche 1313 zu Paris gegeben wurden, als König Philipp IV. seine drei Söhne in Gegenwart des Königs von England zu Rittern schlug, Adam und Eva, die Auferstehung, Himmel und Hölle, Kaiphas und Pilatus, aber auch den Meister Fuchs erst als gemeinen Pfaffen, dann als Bischof und als Papst, wobei er jedoch fortwährend alte und junge Hühner fraß. Dem Teufel ward gewöhnlich ein großer Antheil zugestanden und in einer deutschen Mysterie vom Jahre 1480 treten ihrer nicht nur acht, sondern auch des Teufels Großmutter, Frau Lillis, auf, und im Personenverzeichnisse Anderer findet sich bei sechs bis acht angeführten Teufeln häufig die wohlmeinende Bemerkung: »Allhie mag man auch wol mehr Teufel verordnen.«

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 229.
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