[586] Prosĕlyt ist ein dem Griechischen entlehnter Ausdruck, der einen Hinzugekommenen bedeutet und jetzt vorzugsweise zur Bezeichnung von Personen dient, welche von einem der christlichen Religionsbekenntnisse zum andern übertreten oder ihren nicht christlichen Glauben abschwören und Christen werden, während man Abtrünnige der christlichen Religion, besonders wenn sie Mohammedaner werden, Renegaten nennt, was so viel wie Religionsverleugner heißt. Schon die Juden verstanden unter Proselyten die vom Götzendienste zum Mosaischen Cultus Übergetretenen, unterschieden aber sogenannte Proselyten der Gerechtigkeit, welche durch die Beschneidung und die darauf folgende Proselytentaufe, die in Gegenwart dreier Richter durch Untertauchen des ganzen Körpers in einer Cisterne voll Wasser vollzogen und durch welche Jeder als von Neuem geboren angesehen wurde, als Mosaische Glaubensgenossen aufgenommen und zu vollständiger Beobachtung des Mosaischen Gesetzes verbunden waren, während die Proselyten des Thores, welche in Luther's Bibelübersetzung Judengenossen genannt werden, sich blos vom Götzendienste lossagten und zur Verehrung des einzigen wahren Gottes unter Beobachtung der sieben Gebote der Kinder Noah's verpflichteten. Vom Tempel durften sie blos den Vorhof betreten und hatten an dem nach dem Innern führenden Thore desselben ihren Platz sowie davon ihren Namen. Unter Proselytenmacherei versteht man im allgemeinsten und unbefangensten Sinne das Bestreben, Jemand rein durch mündliche oder schriftliche Überzeugung für eine Meinung, eine Partei, Verfolgung eines Zweckes u. dergl. m. zu gewinnen. Vorzugsweise versteht man aber darunter das Bemühen, dergleichen durch Anwendung von unredlichen Mitteln auf religiösem Gebiete zu erzielen, d.h. durch Benutzung von Familienverhältnissen, berechneten Einflüsterungen, Bestechungen und Versprechungen, Drohungen und wenn es die Umstände erlauben, wol gar mit Gewalt, den Übertritt christlicher Glaubensgenossen von einem Bekenntnisse der christlichen Kirche zum andern oder auch die sogenannte Bekehrung von Juden und Nichtchristen zum Christenthum zu erlangen. Allerdings ist in Bezug auf letztere der Christ darüber gerechtfertigt, daß er die erhebenden Glaubenslehren der Religion Jesu den damit Unbekannten zugänglich und sie der beglückenden Tröstungen derselben theilhaftig zu machen sucht, wozu aber kein Zwang und keine zudringliche List, sondern blos die überzeugende Kraft ihrer Wahrheit führen kann. Dagegen sollte schon die Ehrfurcht vor den von sämmtlichen christlichen Confessionen anerkannten Grundwahrheiten des Christenthums allein hinreichen, die Proselytenmacherei unter den verschiedenen christlichen Glaubensgenossen zu verhindern. Denn welche Überzeugung auch Jemand von der Wahrheit der Unterscheidungslehren und der Vortrefflichkeit der kirchlichen Gebräuche seiner Confession besitzt, sie werden dem gleich sehr überzeugten Anhänger einer andern doch blos als persönliche, vielleicht zugleich als irrige vorkommen und nimmer auf gleiche Stufe mit jenen Grundwahrheiten der christlichen Religion gestellt werden können. Aus diesen aber wird der denkende Christ jeder Confession Antrieb und Erleuchtung genug zu einem christlichen Leben im Geiste und in der Wahrheit schöpfen, und den Foderungen christlicher Liebe gemäß schonend über die Eigenthümlichkeiten der verschiedenen christlichen Glaubensbekenntnisse urtheilen lernen, von denen ja keins die Erwerbung rein christlicher Überzeugung und Gesinnung ausschließt. Deshalb aber wird er es auch um so mehr für unchristliche Anmaßung erkennen, wenn das Eine oder Andere sich als das unbedingt Alleingültige darstellt, allein die Kraft in Anspruch nimmt, zur Seligkeit anzuleiten und kein Mittel unversucht läßt, so viel Proselyten als möglich zu machen. Diese Ansichten aber hält die röm.-katholische Kirche aufrecht, welche deshalb auch alleinseligmachende sich nennt, und obgleich sie die gewaltsame Proselytenmacherei früherer Zeit hat aufgeben müssen, darum doch nicht minder eifrig andere und geheime Mittel dazu benutzt und von den ausdrücklich dazu verpflichteten Orden der Jesuiten, der Lazaristen, sowie von der Propaganda (s.d.) und andern dazu gestifteten Vereinen darin unterstützt wird. Auch ihre Bischöfe und Priester sind eidlich dazu verbunden und benutzen den Beichtstuhl und besonders die gemischten Ehen, d.h. die zwischen einem protestantischen und katholischen Ehegatten, um dem letztern das Versprechen abzunöthigen, alle Kinder katholisch zu erziehen und die Bekehrung des andern Theils zu betreiben. Aufgeklärte Regierungen von Staaten, in [586] denen verschiedene christliche Confessionsverwandte nebeneinander wohnen, haben daher auch diesem ungerechten und durch Störung des häuslichen und öffentlichen Friedens gemeinschädlichen Beginnen in neuerer Zeit Schranken zu setzen gesucht, da ohnedies die Einsichtigen aller Confessionen darin einverstanden sind, daß kein Glaubensbekenntniß den alleinigen Weg zu der aus Christen aller Confessionen bestehenden unsichtbaren Kirche Gottes eröffne, sondern einzig die in den Lehren Jesu und seiner Apostel wirkende und zum Menschen redende Kraft des göttlichen Geistes. Nie hat die protestantische Kirche die schuldige Achtung vor andern christlichen Glaubensbekenntnissen so weit vergessen, um planmäßig und zudringlich Proselyten unter ihren Bekennern zu machen, und daher hat sie ein um so größeres Recht, zu fodern, daß auch der Friede ihrer Angehörigen nicht auf solche Weise gestört werde. Nähere Beleuchtung des Unwesens der Proselytenmacherei geben unter Andern: Krug's »Neueste Geschichte der Proselytenmacherei in Deutschland« (Lpz. 1827); Weda's »Beiträge zur Geschichte der Proselytenmacherei« (Neust. a. d. Orla 1827); Bretschneider's »Heinrich und Antonio, oder die Proselyten der röm. und der evangelischen Kirche« (4. Aufl., Gotha 1831).